Hamburg. Vor 40 Jahren beschloss der Hamburger Senat den Bau eines eigenen Vergnügungsdampfers. Am Ende stand eine riesige Pleite.
Der Plan klingt brillant, der Beschluss allerdings nur kühl und der Initiator entsprechend angefressen: Vor 40 Jahren, am 23. Oktober 1979, genehmigt der Senat den Bau eines eigenen Musikdampfers erst nach langem Hin und Her und nur unter klaren Bedingungen. Strenge Auflagen sollen das finanzielle Risiko wenigstens einigermaßen in Grenzen halten.
Doch die finanzpolitische Vorsicht der Stadtväter nach den in Hamburg besonders populären Prinzipien eines „Ehrbaren Kaufmanns“ rettet weder die Kasse noch den Ruf Hamburgs vor schweren Schäden: Das vorgeblich gewinnträchtige Projekt „Hammonia“ entpuppt sich als peinlicher Flop auf Kosten des Steuerzahlers. Ersonnen und vorangetrieben wird der verheißungsvolle Schiffsbau von einem Manager, der die städtische Hafendampfschiffahrts-Actien-Gesellschaft (Hadag) wie ein privates Unternehmen führt: Jens F. K. Jacobsen.
Erstaunliche Karriere
Der bärtige Zweizentnermann steht damals auf dem Höhepunkt einer erstaunlichen Karriere. 1962 hat er sich mit erst 26 Jahren als Schiffsmakler selbstständig gemacht. Die Hadag ist sein bester Kunde – und er bald ihr bester Mann: Im gleichen Jahr 1962 hat sie ihr Seebäderschiff „Wappen von Hamburg“ für den Winter an eine US-Reederei verchartert, und nun liegt es wegen der Kuba-Krise vor Florida fest. Jacobsen kommt auf die Idee, sie der US-Regierung als Lazarettschiff anzudienen, und kann den Dampfer bald danach loseisen.
1972 steuert er die Hadag als neuer Chef mit Volldampf auf Expansionskurs: mit Butterfahrten, sechs Lufttaxis nach Sylt oder Helgoland und auch als Schiffsausrüster. Als er im Oktober 1975 zwei an eine bald darauf pleitegehende schwedische Fährlinie vercharterte Schiffe vor der Nase wütender Gläubiger nach Hamburg entführt, wird er als neuer „Störtebeker“ gefeiert. Ende der 1970er-Jahre aber sinkt Jacobsens Stern: Die Butterfahrten machen Verluste, und der „Big Boss“ muss Schiffe verkaufen, bis seine Flotte wieder so klein ist wie zuvor. Das schmeckt ihm nicht, ein Typ wie er greift lieber an.
Ein Unternehmensberater bläst ihm ein, die Hadag solle ein Kreuzfahrtschiff bauen. Es trifft sich gut, dass Hamburgs Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD) meuternden Arbeitern der Howaldtswerke (HDW) Hamburg soeben versprochen hat, neue Aufträge an Land zu ziehen. Jacobsens Traumschiff lockt mit interessanten Daten: 18.000 BRT, 110 Millionen DM, 800 Arbeitsplätze.
Warum das Schiff auf den Namen „Astor“ getauft wurde
SPD-Wirtschaftssenator Jürgen Steinert ist gleich mit an Bord, bekommt aber Druck von der Basis: Kapitalismuskritische Genossen werfen ihm vor, er lasse mit Staatsknete ein Amüsierschiff für Geldsäcke bauen. Also müssen auch private Geldgeber her. Der Hadag-Hansdampf findet sie im Bekanntenkreis: Wie die „Zeit“ später schreibt, „keilt“ er „auf Klubveranstaltungen und Saufabenden einige Kapitalgeber zusammen“.
Es sind illustre Investoren: der „Kaffeezar“ Günter Herz (Tchibo) und der „Bananenhändler“ Willy Bruns (Bajella). Zusammen mit der Hamburgischen Landesbank gründen sie die Kymo Verwaltungsgesellschaft für Schiffsbeteiligungen mbH & Co. Zu ihren 34 Millionen kommen 14 Millionen vom Bund, 64 Millionen der Hamburgischen Landesbank und ein dickes Darlehen der Hadag.
Der Senat fordert in der entscheidenden Sitzung vor 40 Jahren aber außerdem noch eine „professionelle Vermarktung“ der „Hammonia“, und das verdirbt Jacobsen die Laune: „Kautelen!“ knurrt er sauer, als seien solche Sicherungen etwas Verwerfliches. In Windeseile gründet er die Kreuzfahrtreederei Hadag Cruise Line GmbH & Co. KG. Als Kommanditisten zeichnen die TUI und die von Tchibo-Herz kontrollierte Zigaretten-und-Bier-Firma Reemtsma („Peter Stuyvesant“, „Astra“).
Die Hadag Cruise verpflichtet sich, der Kymo 14 Jahre lang jeden Tag 150.000 DM zu zahlen. Der Senat betrachtet seine Auflagen als erfüllt und winkt den Deal endgültig durch. Niemand macht sich so richtig klar, dass sich das Projekt nur dann lohnen kann, wenn auf Dauer mindestens 80 Prozent der 683 Betten verkauft werden können. Und dass nach der sehr speziellen finanziellen Konstruktion die Rendite vor allem bei den privaten Kapitalgebern, das Risiko aber allein bei der Hadag, also beim Steuerzahler, liegt.
Angenehmer Nebeneffekt
Angenehmer Nebeneffekt für Günter Herz: Der neue Dampfer trägt nicht mehr den Traditionsnamen „Hammonia“, sondern heißt plötzlich „Astor“. Bei der Schiffstaufe am 16. Dezember 1980 vor 4000 Hamburgern verrenkt sich der Redetext zu einer Eloge auf den US-Milliardär Johann Jakob Astor als „wagemutigen, einfallsreichen, bedeutenden und erfolgreichen Mann, der unvergessen ist und mit dem sich auch heute noch für alle das Besondere verbindet“. Mit Hamburg hat er nicht das Geringste zu tun, aber „Astor“ heißt nicht ganz zufällig eine neue Zigarettenmarke aus dem Hause Reemtsma, und so klingt die Rede denn auch wie der Text einer Tabakreklame.
Das abenteuerliche Unternehmen geht bald schief: Im Mai 1981 zerstört Feuer ein Deck, und die ersten vier Reisen fallen aus. Danach schafft die „Astor“ nur eine Auslastung um die 60 Prozent und fährt Millionenverluste ein. Schon nach einem Jahr muss Jacobsen bekennen: „Wir haben unsere freien Rücklagen aufgegessen und das Eigenkapital angeknabbert.“ Auch 1982 sei „noch mit hohen Auflaufverlusten zu rechnen“. Sein verwegenes Versprechen: „Ab 1984 sehen wir Land.“ Doch da glaubt ihm schon keiner mehr.
Eine kurze Karriere als „Traumschiff“ des ZDF
Bilanz: Die HDW hat durch ihr Festpreisversprechen 27 Millionen DM zugesetzt. Die Hadag büßt den gesamten Firmenwert ein und ist fortan nur noch ein defizitärer Fährbetrieb, den der Senat bezuschussen muss, damit die Leute im Hafen weiter an ihre Arbeitsplätze kommen. Experten beziffern die Verluste auf mehr als 100 Millionen DM. Und Jacobsen geht 1983 nach durchverhandelter Nacht mit einem goldenen Handschlag von Bord.
Die „Astor“ aber wird nach einer kurzen Karriere als „Traumschiff“ der gleichnamigen ZDF-Fernsehserie nach Südafrika und schon 1985 an die DDR-Linie VEB Deutfracht Seereederei Rostock verkauft. Sie fährt als MS „Arkona“ ausgewählte Werktätige nach Kuba, landet 2002 vorübergehend auf den Bahamas und schaukelt seit 2010 als MS „Saga Pearl II“ für eine britische Reederei Senioren über die Meere.