Hamburg. Die Reporterin von rund 500 Gerichtsprozessen, feierte Geburtstag. Ein Lebenswerk, begleitet von Angst – und Mut.

Es ist ein Glücksfall, dass Peggy Parnass in Hamburg lebt. Die Zeitzeugin, die nicht zuletzt als Gerichtsreporterin und politische Aktivistin populär wurde, kam als Kind eines jüdischen Paares in Hamburg zur Welt. Trotz der Massenmorde an den Juden, denen auch ihre Eltern im KZ Treblinka zum Opfer fielen, kehrte Peggy Parnass aus ihrem schwedischen Exil nach Hamburg zurück. Und wurde schnell zur Ikone der Linken und zur unerschrockenen Chronistin von Gerichtsprozessen. „Ich bin unglaublich ängstlich und unglaublich mutig. In beiden Fällen da, wo andere es nicht sind“, sagte sie in einem Abendblatt-Interview.

Am Freitag feierte die Schauspielerin, Kolumnistin und Autorin ihren Geburtstag. Das genaue Alter weiß vermutlich nur sie selbst. Eigenen Angaben zufolge geht sie nun ins 93. Lebensjahr. Wikipedia und Munzinger dagegen behaupten, sie sei 1934 geboren und wäre damit 85 Jahre alt. Auch wenn sie sich selbst als Atheistin bezeichnet, lebt mit dieser nonchalanten Haltung gegenüber dem Alter die orthodoxe jüdische Auffassung fort, die eigenen Lebensjahre nicht kalendarisch zu zählen. „Vielleicht bin ich älter, vielleicht bin ich jünger“, sagt sie. Und versichert: „Der Geburtstag stimmt, das Jahr nicht.“

Wohnung von Peggy Parnass ist Spiegelbild ihrer Seele

Ihre Wohnung in St. Georg ist mit den zahllosen Büchern ein Spiegelbild ihrer Seele und ihrer Lebensgeschichte. Es sind sichtbare Erweiterungen ihres Geistes. Die vier Wände bergen Dokumente aus jener Zeit, da sie als Gerichtsreporterin („Konkret“) 500 Prozesse begleitete. Darunter waren auch drei Verfahren gegen NS-Täter. Über den Majdanek-Prozess, in dem 17 ehemalige SS-Angehörige vor Gericht standen, schrieb sie 1981 – und es zeigt ihre Fähigkeit unerschrockenen Beobachtens: „Ich werde ermahnt, sitzen zu bleiben, weil man sonst bei dem Andrang meinen Platz weggeben würde. Ich kann nicht, muss nach vorne, muss die Leute aus der Nähe sehen, stehe plötzlich, halb geschubst, halb gedrängt, direkt vor Hermine Ryan, ihren Opfern als „Stute“ oder „Schindmähre“ bekannt. (...) Ich will die sehen, von Angesicht zu Angesicht! Ich will die sehen! Diese Frau, von Ehrgeiz zerfressen, dieses Arbeiterkind, das mit seinen eisenbeschlagenen Schaftstiefeln hilflose Frauen tottrampelte. (…) Ich gehe in die Hocke vor ihr. Nichts. Die Verteidiger sind wachsam. Was befürchten sie? Ich hab keine Kugeln im Kugelschreiber. Leider?“

Noch heute vermeidet Peggy Parnass den Aufenthalt auf dem Hamburger Hauptbahnhof. Dort musste ihre Mutterin der NS-Zeitvon den beiden Kindern vor deren Reise nach Schweden Abschied nehmen, vielleicht doch ahnend, dass es für immer sein werde.

Vor zwei Jahren hatte die „Jüdische Allgemeine“ die Hamburgerin in einem Geburtstagsbeitrag gewürdigt. Ihre damalige politische Befindlichkeit brachte sie mit einem Zitat ihres Weggefährten Peter Rühmkorf auf den Punkt: „Wir leben zwischen den Kriegen.“ An dieser Einschätzung dürfte sich bis heute nichts geändert haben.