Hamburg. Der Zwei-Sterne-Küchenchef im Vier Jahreszeiten sucht nicht den medialen Auftritt wie viele seiner Kollegen.

Als Christoph Rüffer nach vielen Jahren mit Wohnsitz im schleswig-holsteinischen Umland im Sommer nach Hamburg umgezogen war, sagte die Dame auf dem Einwohnermeldeamt: „Herzlichen Glückwunsch, willkommen in Hamburg!“ Der 46-Jährige bedankte sich höflich und schob hinterher: „Im Herzen bin ich noch Essener!“ Außerdem Sternzeichen Fische, zurückhaltend und ruhig. Und heimatverbunden. „Ich bin schon so lange weg, aber das Ruhrgebiet ist immer noch in mir drin.“ Und in der Sprachfärbung ist es unüberhörbar.

Christoph Rüffer prägt seit 17 Jahren als Küchenchef das Restaurant Haerlin im Hotel Vier Jahreszeiten an der Binnenalster. Zwei Michelin-Sterne, stilvoll-eleganter Treffpunkt für Gourmets, Top-Produkte auf handwerklich höchstem Niveau. Er kennt alles aus dem Effeff und hat seit 16 Jahren mit Tobias Günther einen treuen Sous-Chef an seiner Seite. „Der ist super.“

Mit 46 Jahren ist Rüffer in einem Alter, in dem man noch mal etwas Neues machen könnte. Aber das kommt für ihn nicht infrage. „Ich bin hier völlig ausgelastet, es ist immer noch spannend, und es geht immer weiter.“ Als „sehr schön“ bezeichnet er seinen Arbeitsplatz. „Ich kann gestalten, habe Mitspracherecht bei der Auswahl von Geschirr, Besteck und Tischwäsche. Wir sind ein Weltstadt-Restaurant, zeitlos und trotzdem mit Historie.“

Kollegialer Führungsstil

Und er kann sich auf seine Mannschaft verlassen, die er kollegial führt und deshalb auch schon mal im täglichen Ablauf Aufgaben übernimmt, die ein Küchenchef eigentlich nicht macht. „Die wollen ja alle was lernen und Herausforderungen annehmen.“ Ohne die Truppe wäre er nichts, „deshalb gebühren meinen Leuten auch Ehre und alle Auszeichnungen“. Regelmäßig gehen sie am freien Montag zusammen Mittag essen.

Zu seinem Berufswunsch kam Rüffer schon als Kind. „Meine Tante Berta kochte für uns, weil meine Mutter ein Geschäft für Haushaltswaren und Geschenkartikel führte. Und die Tante ließ mich mithelfen. Ich hatte einen eigenen Topf und auch ein eigenes Messer.“ Gemeinsam mit Oma Mathilde guckte er Ende der 80er-Jahre die ZDF-Sendung „Essen wie Gott in Deutschland“. „Da trat Otto Koch auf, bei dem ich später in München gearbeitet habe.“ Die Rezepte der Sendung schrieb er im Videotext ab und kochte sie nach. Zum Beispiel Kalbsbrust gefüllt mit einer Semmelknödel-Masse. „Das hat funktioniert. Eine Grünkohlsuppe aber nicht, die schmeckte furchtbar.“

München war eine andere Welt

Rüffers Eltern kamen dann in den Genuss, dass der Sohn sie sonntags bekochte. „Sie sind mit dem Hund spazieren gegangen, und um 13 Uhr gab’s Essen.“ Gerne mal die Kalbsbrust. „Heute habe ich sie schon ewig nicht mehr zubereitet.“ Da stehen auf dem Speiseplan eher thailändische Hühnersuppe, gebratener Zander und das iranische Reisgericht Tahdig, wenn er zu Hause in Marienthal für seine Lebensgefährtin und seine 17 Jahre alte Tochter kocht.

Nach einem Schülerpraktikum im Sheraton Hotel in seiner Heimatstadt machte Rüffer nach dem Schulabschluss dort auch seine Ausbildung. Gab es nie einen anderen Berufswunsch? „Höchstens noch Konditor. Aber die Vielfalt und Abwechslung ist beim Kochen größer.“

Dann ging er nach München und arbeitete bei Spitzenmann Otto Koch. „Wenn man aus Essen kommt, war München schon eine andere Welt. 600 Mark habe ich für meine Bude bezahlt.“ Später stand Rüffer in der Gourmet-Hauptstadt Baiersbronn im Schwarzwald bei Claus-Peter Lumpp und Harald Wohlfahrt am Herd. Nach einer Ausbildung zum Küchenmeister erkochte sich Rüffer 1999 im Fährhaus Munkmarsch auf Sylt seinen ersten Michelin-Stern. 2012 gab es für das Haerlin den zweiten, zwei Jahre später zeichnete der Gault Millau Rüffer als Koch des Jahres aus.

Neue Produkte, Aromen, Lieferanten, Rezepte

Einem breiteren Publikum ist der Küchenchef als Juror bekannt aus der ZDF-Sendung „Küchenschlacht“, die in Ottensen aufgezeichnet wird. „Aber sparsam. Abends will ich wieder hier sein. Mein Hauptanliegen ist das Restaurant Haerlin.“ Was sich nebenbei vereinbaren lasse, das mache er, zum Beispiel einen Auftritt als Gastkoch beim Schleswig-Holstein Gourmet Festival oder bei Dirk Luther in Glücksburg. „Aber eben nicht mehr. Der Gast erwartet, dass der Küchenchef in seiner Küche ist und der Betrieb funktioniert.“

In den 17 Jahren an der Binnenalster hat Rüffer einen neuen Look im Restaurant erlebt und durfte die Küche nach seinen Wünschen umbauen lassen. „Wir haben heute Induktionsherde, es ist nicht mehr so warm. Und einen höheren Pass, damit man nicht mehr gebückt anrichten muss.“ Und natürlich gibt es neue Produkte, Aromen, Lieferanten, Rezepte. „Wir kochen im Haerlin heute kein Gericht, das schon 2002 auf der Karte stand.“ Variationen vom Rindertatar, die werden schon häufiger zubereitet, weil Rüffer dieses Produkt sehr mag. „Aber sie sind kein konstanter Klassiker auf der Karte.“ Es gebe kein Gericht, „das wir tagein, tagaus kochen. Deshalb bleibt es interessant.“

Habe man früher Sahnesaucen mit Noilly Prat oder Hummer- und Champagnerschaum serviert, verwende man heute leichtere Fonds ohne Sahne und vielleicht für die Bindung etwas Olivenöl. „Wir lernen dazu, weil wir viel aus- und durchprobieren.“ Das Geschmacksspektrum und die Produktvielfalt sind größer. „Wir haben viel mehr Zulieferer und kaufen gezielt bei kleineren Betrieben, die Top-Qualität anbieten.“

Sein Ziel ist Harmonie auf dem Teller

Rüffer beobachtet genau, was der Markt hergibt und an neuen Waren hervorbringt. „Ein Kaisergranat von den Färöern kostet etwa 25 Euro. Wenn ich den ins Menü setze, muss der nächste Gang vielleicht etwas günstiger werden.“ Es gehe um Mischkalkulation und zugleich darum, das Zwei-Sterne-Niveau zu halten. „Wir sind ein Gourmet-Restaurant, die Produkte müssen tipp-top sein. Und es darf nichts von der Stange sein.“ Die Produkte stehen für den Küchenmeister im Vordergrund. „Sie müssen von bester Qualität sein, dann kann ich interessante Aromen-Kombinationen schaffen.“ Dabei bleibt vieles pur. „Das Verspielte sucht man auf meinen Tellern vergeblich.“

Eine Tomate könne man sich auch zu Hause aufschneiden und mit Salz und Pfeffer bestreuen. „Aber wir benutzen Kardamom als Gewürz, verfeinern einen Tomatenfond mit Basilikum-Öl, servieren dazu eine Creme aus Spitzpaprika.“ Vorgaben zum Wareneinsatz bekommt Rüffer nur bedingt. „Ich bin mein eigener Wirtschafter. Ich behandle das Haerlin in dieser Hinsicht so, als wäre es mein eigener Betrieb, auch finanziell.“ Und damit ist Hoteldirektor Ingo C. Peters auch sehr zufrieden.

Der Küchenchef glaubt, dass auch er sich über die Jahre verändert hat. „Früher war ich hibbeliger. Heute kann ich mich auf mich und meine Leute verlassen, habe gewisse Routinen, ohne nachlässig zu werden.“ Sein Wissen könne er an die Brigade weitergeben, „die Kollegen lernen mehr und haben größeren Spaß“. Den Small Talk mit den Gästen macht Rüffer mittlerweile gern. „Anfangs habe ich mich sehr gesträubt, aber ich bin kommunikativer geworden.“ Geholfen hätten ihm die Auftritte in der „Küchenschlacht“. „Da muss ich ja auch unter Beobachtung von 80 Augenpaaren essen. Gut, dass ich am Anfang keine Erbsen auf dem Teller hatte. Die wären nur gekullert und geflogen, so habe ich gezittert.“

Moderner Lifestyle

Wo geht es hin mit der Gastronomie? „Manche Kollegen gehen fest davon aus, dass bald Roboter in der Küche tätig sind. Ich finde das erschreckend.“ In der Zukunft müsse man sich entscheiden: Systemgastronomie oder Top-Liga. „Der Mittelbau wird existenzielle Schwierigkeiten und Probleme haben, Personal zu finden. Ein junger Koch ist heute viel mehr daran interessiert, Karriere zu machen als früher, denn Sterne-Gastronomie ist viel präsenter.“

Waren vor 30 Jahren Restaurantbesuche noch eher die Ausnahmen in Familien oder fanden nur zu besonderen Anlässen statt, so ist Essengehen heute nichts Besonderes mehr und gehört zum modernen Lifestyle dazu. „Aber es geht auch darum, sich etwas zu gönnen“, sagt Christoph Rüffer. „Kulinarik hat etwas mit Lebensfreude zu tun, mit Spaß, Kultur und sinnlichem Vergnügen. Ein Abend mit sehr gutem Essen und perfektem Service in schöner Atmosphäre bleibt lange in Erinnerung.“

Ist ein dritter Michelin-Stern sein Ziel? „Wäre sicher schön, aber mich treibt der Spaß am Kochen an. Und zwei Sterne sind auch großartig, ich bin damit sehr glücklich.“ Rüffer möchte das Maximale aus dem Produkt rausholen und die maximale Harmonie auf den Teller bringen. „Wir kochen geschmackvoll, die Gäste sagen zu 99 Prozent, dass es ihnen gefällt. Ich koche mit Herz und Leidenschaft, das wird so bleiben, egal ob zwei oder drei Sterne.“

Nächste Woche: Stefanie von Berg, künftige Bezirksamtsleiterin in Altona und erste Grünen- Politikerin in einem solchen Amt