Hamburg. Am Donnerstag wurde in Lokstedt das neue Nachrichtenhaus von ARD-aktuell eröffnet: “Alles andere als alte Tante 'Tagesschau'.“

Wer sehen will, wo Deutschlands wohl bekannteste Nachrichtensendung entsteht, stößt erst einmal auf eine typisch deutsche Kleingartenidylle. Beete, Sträucher und sogar der Gartenzwerg sind dort - einige Schrebergärten in Hamburg liegen in direkter Nachbarschaft zum neuen Nachrichtenhaus der „Tagesschau“ in Lokstedt.

Vorne Schrebergarten, hinten Nachrichtenhaus.
Vorne Schrebergarten, hinten Nachrichtenhaus. © dpa | Christian Charisius

Bislang saßen die Redaktionen bei ARD-aktuell getrennt voneinander - neben den „Tagesschau“-Sendungen betreuen sie die „Tagesthemen“, die Internetseite „tagesschau.de“, den Nachrichtenkanal „tagesschau24“ sowie die „Tagesschau“-App und Social Media. Das soll sich nun ändern - mit einem neuen Newsroom. Das Ziel? Kürzere Wege und effizienteres Arbeiten, um in „Breaking-News“-Situationen schnell zu reagieren und die verschiedenen Ausspielwege für die Nachrichten der „Tagesschau“ noch besser zu verzahnen.

Bürgermeister Tschentscher eröffnet neuen "Tagesschau"-Newsroom

Das Publikum müsse verlässlich Informationen dort finden, wo es sie sucht – im linearen Fernsehen und in den digitalen Angeboten, wie der Zweite Chefredakteur von ARD-aktuell, Helge Fuhst sagt. Am Donnerstag, den 10. Oktober, wurde das neue Nachrichtenhaus feierlich eröffnet.

Bürgemeister Peter Tschentscher betonte die Relevanz von NDR und ARD-aktuell "für den Medienstandort Hamburg". "Die Redaktion von 'Tagesschau' und 'Tagesthemen' setzt höchste Maßstäbe für guten Nachrichtenjournalismus", so Tschentscher weiter.

NDR-Intendant Lutz Marmor schlug den Bogen zu den aktuellen Nachrichten: "Die Ereignisse von Halle zeigen einmal mehr, wie wichtig zuverlässige und wahrheitsgemäße Information ist. Mit dem Neubau für ARD-aktuell investiert die ARD in Nachrichten. Mit diesem Gebäude ist die Tagesschau für die kommenden Herausforderungen im Fernsehen und online bestens gewappnet." Sein Dank galt auch den anderen ARD-Anstalten, die mit der gemeinsamen Finanzierung des Neubaus "ein starkes Bekenntnis zum Nachrichtenstandort Hamburg" abgegeben hätten.

Fast zehn Millionen Menschen schauen die "Tagesschau" um 20 Uhr

Viele gepackte Kartons sind auf den Gängen der bisherigen Redaktionen zu sehen. Das neue Nachrichtenhaus auf dem Gelände des Norddeutschen Rundfunks (NDR) liegt direkt nebenan, die Gebäude sind miteinander verbunden. Im älteren Haus ist weiterhin das Studio untergebracht, in dem die „Tagesschau“ produziert wird. Am Bild der Sendung ändert sich für den Zuschauer durch das neue Nachrichtenhaus nichts. Das neue Gebäude ist für die Redaktion gedacht.

Es ist ein heller, offener Bau geworden, mit Glas und Ausblick auf - die Schrebergärten. 72 Arbeitsplätze gibt es im neuen Newsroom der „Tagesschau“. Das Projekt für die Redaktion startete 2015. Voraussichtlich ab Mitte November wird das Team im neuen Newsroom arbeiten, wie der Projektleiter für das Nachrichtenhaus und Chef vom Dienst bei der „Tagesschau“, Patrick Uhe, sagt.

Eine Wand voller Grünpflanzen im neuen Nachrichtenhaus der ARD
Eine Wand voller Grünpflanzen im neuen Nachrichtenhaus der ARD © dpa | Christian Charisius

Die „Tagesschau“ zieht um 20 Uhr nach wie vor ein Millionenpublikum vor den Fernseher - obwohl es längst möglich ist, dass man die Sendung auch zeitversetzt im Internet sehen kann. Dem NDR zufolge waren es zwischen Januar und September dieses Jahres durchschnittlich 9,68 Millionen Zuschauer - ein Marktanteil von 35,6 Prozent. Der Wert ist bezogen auf den Vergleichszeitraum 2010 sogar gestiegen. Damals waren es rund 9,04 Millionen Zuschauer. Uhe sagt: „Wir sind davon ausgegangen, dass der Konsum des linearen Fernsehens absackt. Interessanterweise steigen die Quoten in der 20-Uhr-Tagesschau noch.“

"Die Ereignisse der Welt in 15 Minuten"

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen von der Universität Tübingen sagt über diese Entwicklung: „Die "Tagesschau" ist ein Orientierungsformat mit einem zentralen Versprechen: die Ereignisse der Welt in 15 Minuten. Dieses Angebot der Komplexitätsreduktion wird beliebter - auch weil die allgemeine Verunsicherung in der digitalen Öffentlichkeit zunimmt und man im frei herumwirbelnden Informationskonfetti oft nicht weiß: Wem kann man vertrauen?“

An Sendeplatz und Sendelänge wird nicht gerüttelt - eine Tradition, die 1952 begann, hält sich. Fuhst sagt: „Ich kann mir Deutschland ohne "Tagesschau" um 20 Uhr nicht vorstellen.“ In seiner Kindheit lief das so ab - und wohl nicht nur in seiner Familie: „Bei uns zu Hause war es früher immer so, als es noch die Festnetztelefone gab: Wenn da jemand gewagt hat, zwischen 20 Uhr und 20.15 Uhr anzurufen, das war ja eine Frechheit und man hat es klingeln lassen. Und die "Tagesschau" war das Einzige im Fernsehen, was während des Essens laufen durfte.“

Wohin entwickelt sich die "Tagesschau"?

Wie sieht die „Tagesschau“ in einigen Jahren aus? „Es ist noch nicht absehbar, dass die echten Sprecher oder Moderatoren der anderen Ausgaben bei uns durch Roboter oder Ähnliches ersetzt werden“, sagt Fuhst. Trotzdem dürfe es nicht verpasst werden, technisch zu experimentieren.

Wird sich an der Arbeit der Reporter und Kameraleute etwas ändern - könnten Redakteure zum Beispiel eigene Handy-Videos in die Sendung einbinden und das klassische Kamerateam ersetzen oder ergänzen? Uhe sieht das persönlich so: „Ja, ich kann mir das vorstellen. Weil wir - glaube ich - an den Produktionskosten von Fernsehen arbeiten müssen, die sind wirklich verdammt hoch.“ Wenn sich etwa ein Korrespondent in einem Krisengebiet befinde und der Kameramann vielleicht noch nicht da sei oder die Infrastruktur nicht gegeben sei, um etwas abzusetzen - dann könne ein Handy-Video helfen oder ein Gespräch über Skype.

"Alles andere als die alte Tante 'Tagesschau'"

Auch an neuen Produkten sitzt ARD-aktuell. Uhe betont: „Das ist alles andere als alte Tante "Tagesschau".“ Derzeit werde an Podcast-Formaten gearbeitet. Seit einigen Wochen gibt es auch mehrmals am Tag Kurzzusammenfassungen der „Tagesschau“ über den Facebook-Messenger und Telegram, wie Fuhst ergänzt.

Innovation gehöre zum Alltag, um dem Anspruch gerecht zu werden, jede und jeden in allen Altersgruppen mit Nachrichten der „Tagesschau“ zu erreichen.