Hamburg. Beim Parteitag könnte die Senatorin nun ihr Interesse am Bürgermeisteramt verkünden – eine Kampfansage an die SPD.

Wird Katharina Fegebank es tun? Oder traut sie sich doch nicht? Diese Frage beschäftigt die politisch interessierte Öffentlichkeit nun schon seit mehr als einem Jahr. Damals, am 14. August 2018, hatte Hamburgs Zweite Bürgermeisterin verkündet, dass sie ihre Grünen wieder als Spitzenkandidatin in die Bürgerschaftswahl im Februar 2020 führen möchte. Das war so erwartet worden, allenfalls der Zeitpunkt eineinhalb Jahre vor der Wahl überraschte. Doch Fegebank wollte seinerzeit frühzeitig Klarheit in der Personalfrage – auch weil die Geburt ihrer Zwillinge Ende 2018 und damit verbunden eine mehrmonatige politische Auszeit bevorstand.

In einem Punkt blieb die selbstbewusste Frontfrau der Hamburger Grünen jedoch zurückhaltend. Auf die Frage, ob sie sich angesichts des schon damals kräftigen Rückenwinds für ihre Partei auch als Bürgermeister-Kandidatin sehe, sagte Fegebank: „Das wäre eine Umdrehung zu viel.“ Es sei zwar nicht ausgeschlossen, dass irgendwann eine Frau Bürgermeisterin werde – und das dürfe auch gerne eine Grüne sein. Angesichts der realen Machtverhältnisse wolle sie aber „den Ball flach halten“.

Grüne freuten sich über zweiten Rang

Dazu muss man wissen: Seinerzeit lagen die Hamburger Grünen, die bei der Wahl 2015 für sie enttäuschende 12,3 Prozent geholt hatten (SPD: 45,6) in Umfragen bei 18 Prozent und freuten sich schon wie Bolle, dass sie die CDU auf Rang drei verdrängt hatten – die SPD mit immer noch mehr als 30 Prozent war da noch außer Sichtweite.

Doch die Entwicklung im folgenden Jahr hat vieles verändert. Nur sechs Tage nach Fegebanks Kandidatur trat in Stockholm erstmals Greta Thunberg in den „Schulstreik für das Klima“. Was daraus wurde, ist bekannt – dass die Bewegung „Fridays for Future“ im September 2019 an die 100.000 Menschen in Hamburg auf die Straße treiben würde, hätte wohl niemand für möglich gehalten.

Rückenwind für die Grünen – auch durch Rezo

Auch dass das Video des jungen YouTubers Rezo, der der CDU fast eine Stunde lang vorhielt, unter anderem mit ihrem Versagen beim Klimaschutz die Zukunft seiner Generation zu verspielen und sich selbst zu "zerstören", 16 Millionen Mal (!) abgerufen wird und eine ganze Volkspartei in Hektik versetzt, war eine völlig neue Erfahrung.

Und da waren da ja noch immer neue alarmierende Prognosen von Klimaexperten, der mal wieder viel zu trockene und heiße Sommer und die sterbenden Wälder – kurz gesagt: Die Nachrichtenlage produzierte so viel Rückenwind für die Grünen, dass sie aufpassen mussten, nicht abzuheben. In der Abendblatt-Umfrage Anfang 2019 lag die Partei in Hamburg bereits bei 24 Prozent (SPD: 30), und bei den Bezirkswahlen im Mai kippten die Verhältnisse dann endgültig: Mit 31,3 Prozent wurde die Ökopartei hamburgweit erstmals klar stärkste Kraft vor der SPD (24,0) und lag auch in vier von sieben Bezirken vorn.

Wohlfühlpartei dank Führungsfiguren

Die Kehrseite des Erfolgs war eine spürbar gestiegene Erwartungshaltung, was in gewisser Hinsicht ein Dilemma darstellte: Denn ihren Höhenflug hatten die Grünen lange Zeit auch ihrer Positionierung als Wohlfühlpartei zu verdanken, die viele Menschen auch dank frischer und sympathischer Führungsfiguren wie Robert Habeck oder eben Katharina Fegebank irgendwie gut fanden, solange sie ihnen nicht zu viel zumutete. Eine neue Veggie-Day-Debatte, wie sie der Partei vor der Bundestagswahl 2013 um die Ohren geflogen war, sollte unbedingt verhindert werden.

Nur: Vor allem die jungen Greta- Anhänger, aber auch eine zunehmende Zahl an älteren Menschen, die sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel machen, erwarten mutmaßlich genau das jetzt von den Grünen: Zumutungen – etwa für Autofahrer, Vielflieger und die industrielle Nahrungsproduktion.

Grüne gehen unbequemen Weg

Was tun? Wer sich das „Regierungsprogramm“ anschaut, das die Hamburger Grünen an diesem Wochenende auf einem Parteitag beschließen wollen, stellt fest, dass sich die Partei an vielen Stellen gegen den bequemen Weg entscheidet. Wer dem Autoverkehr im Innenstadtbereich offen den Kampf ansagt, Hamburg bis 2035 klimaneutral machen will und zudem noch das Wahlalter auf 14 Jahre absenken und Cannabis legalisieren will, hängt den Mantel der Wohlfühlpartei an den Nagel und geht ins Risiko. „Verstecken ist keine Option“, sagt eine Führungsfigur der Partei. Man dürfe jetzt nicht aus Angst vor der Kritik entschiedene Maßnahmen gegen den Klimawandel scheuen.

Auch Katharina Fegebank hatte diesen wieder deutlich pointierteren Kurs verbal mit vorbereitet, etwa als sie im Sommer-Interview mit dem Abendblatt die Strategie von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), dem Klimawandel vor allem mit technischem Fortschritt zu begegnen, aufs Korn nahm: „Wenn in der Arktis im Juli 21 Grad statt drei Grad herrschen, darf man nicht so tun, als ob solarbetriebene Rasenmäher alleine unser Klima retten würden.“ Im Übrigen gelte beim Thema Klimaschutz: „Da kneift die SPD bislang immer dann, wenn es konkret wird.“

Keine Kampfansage gegen Tschentscher

Auf die Frage, warum sie hinsichtlich ihrer eigenen Ambitionen noch kneife, blieb Fegebank aber bei ihrer Linie: keine Kampfansage an den Amtsinhaber. „Wer eine grüne Bürgermeisterin will, kann sie wählen“, sagte sie im August lediglich, fügte aber hinzu: „Ich traue mir jede Verantwortung zu, die die Hamburgerinnen und Hamburger mir übertragen.“

Und jetzt? Bei den Grünen und im Umfeld der Partei gehen viele Beobachter davon aus, dass Fegebank sich auf dem Parteitag am Sonnabend klar erklären wird. „Ich wüsste nicht, was dagegen sprechen sollte“, sagt ein prominentes Mitglied vielsagend. Die Menschen wollten Klarheit und kein Rumgeeiere, heißt es an anderer Stelle aus der Partei.

Sozialdemokraten geben sich gelassen

In der SPD beobachtet man den kleinen Koalitionspartner mit dem großen Selbstbewusstsein genau. Und je häufiger Grüne hinter vorgehaltener Hand behaupten, wie nervös die Genossen doch seien, weil sie ja so viel zu verlieren hätten, desto gelassener gibt man sich im Rathaus. Die Koalition funktioniere, auch die Arbeit am Klimaplan laufe wie am Schnürchen, und überhaupt setze das grüne Programm ja auf der rot-grünen Arbeit auf. Eine interessante Sichtweise, die wohl vor allem ausdrücken soll, dass man sich als Bürgermeister-Partei nicht aus der Ruhe bringen lassen will.

Und wenn die Zweite Bürgermeisterin offen sagen würde, dass sie künftig die Erste sein möchte? Soll sie doch, heißt es aus Tschentschers Umfeld. Für die SPD sei das sogar hilfreich, denn dann könne sich die Wissenschaftssenatorin nicht mehr auf ihr Fachgebiet zurückziehen, sondern müsse zu allen Themen Stellung beziehen – und dann werde man ja sehen, wem die Menschen eher zutrauen, die ganze Stadt zu regieren. „Hamburg besteht nicht nur aus der Schanze“, frotzelt ein SPD-Mann mit Blick auf eine Hochburg der Grünen.

SPD stützt sich auf Umfragewerte

Die Sozialdemokraten stützen sich dabei auch auf eine kürzlich veröffentlichte Umfrage der ihnen nahestehenden Friedrich-Ebert-Stiftung. Auf die Frage nach dem wichtigsten Thema in Hamburg nannten 36 Prozent Wohnen, also eine Domäne der SPD. Umwelt- und Klimaschutz lag mit 17 Prozent noch hinter Mobilität und Verkehr (31 Prozent), Bildung (25) und Soziales (24).

Das Problem daran: Die Befragung stammt bereits aus dem Frühjahr – gut möglich, dass sich bei vielen Wählern die Prioritäten seitdem verschoben haben. Darauf setzen jedenfalls die Grünen und ihre Spitzenkandidatin, die in Wahrheit schon lange die heimliche Bürgermeisterkandidatin ist. Sie hat es nur noch nie so direkt gesagt. Bis jetzt.