Hamburg. Vor 175 Jahren wurde auf der Außenalster die erste deutsche Regatta ausgetragen. Der Beginn einer großen Tradition.

Wenn sich am nächsten Wochenende (28./29. September) die norddeutschen Ruderer im Wasserpark Dove-Elbe in Allermöhe zu ihren regionalen Meisterschaften treffen, feiern sie ein besonderes Jubiläum. Vor 175 Jahren, am 22. September 1844, einem sonnigen Sonntag, wird auf der Außenalster die erste deutsche Regatta gefahren, zugleich die erste auf dem europäischen Festland. Damals stehen sechs Rennen auf dem Programm, „Anfang um 1 Uhr präcice“, wie es in der Ankündigung heißt. Diesmal sind es mehr als 80. Startbeginn ist deshalb am Sonnabend um 8 Uhr, am Sonntag um 9 Uhr.

Die neue Regattastrecke in Allermöhe.  Sie wurde 1985 eröffnet.
Die neue Regattastrecke in Allermöhe. Sie wurde 1985 eröffnet. © AAC/NRB  | AAC/NRB 

Die Premierenregatta ist ein „voller Erfolg“, berichtet stolz der „Correspondent“, das Amtsblatt des Hamburger Senats. „Sämtliche Fahrten waren bald nach 5 Uhr vorbei, und das Ganze endete wie es begonnen und durchgeführt wurde, in bester Harmonie. Das Alsterbassin war mit Gondeln bedeckt, und an den herrlichen Ufern unserer Alster hatte sich eine große Menschenmenge versammelt, welche dem seltenen Schauspiel mit der größten Theilname folgte.“

Zu gewinnen gibt es Pokale, gestickte Flaggen, auch Geld: 150 Mark für die Vierruderigen Seegighs, 80 für die Zweiruderigen Böte. Der Dank des „Comités“ geht an die Behörden, „die alles gethan haben, um uns die Sache zu erleichtern und zu befördern“. Das ist in den vergangenen 175 Jahren nicht immer der Fall, die Stadt ist sich jedoch stets der Tradition dieses Sports bewusst. Heute gehört Rudern neben Beachvolleyball, Schwimmen, Hockey, Segeln und Rollstuhlbasketball zu den Hamburger Schwerpunktsportarten – mit Weltklasseathleten wie in den 1970er- und 1980er-Jahren dem fünfmaligen Einer-Weltmeister Peter-Michael Kolbe (66), in diesem Jahrzehnt mit Eric (31) und Torben Johannesen (24), Weltmeister mit dem Deutschland-Achter. Eric Johannesen gewinnt zudem 2012 in London olympisches Gold.

Das NRV-Bootshaus in der Bucht am Ferdinandstor um 1880.
Das NRV-Bootshaus in der Bucht am Ferdinandstor um 1880. © AAC/NRB  | AAC/NRB 

Die nachhaltige Begeisterung über die ersten Wettfahrten auf der Alster führt drei Wochen später, am 12. Oktober 1844, zur Gründung des Allgemeinen Alster Clubs (AAC), des bis heute existierenden Hamburger Landesverbandes. Dass rund 80 Jahre lang nur Männer Mitglieder werden dürfen, entspricht dem gesellschaftlichen (Miss-)Verständnis der damaligen Zeit. Der Verein, das ist bis heute seine Hauptaufgabe, soll Veranstaltungen organisieren. Das gelingt. Die norddeutschen Meisterschaften 2019 sind die 545. Hamburger Regatta.

Englische Kaufleute exportieren den Rudersport Anfang des 19. Jahrhunderts nach Hamburg, im Juni 1836 beginnen elf Hamburger Geschäftsmänner, regelmäßig auf der Alster zu rudern. Sie gründen den Hamburger Ruder Club, den ersten Ruderverein auf dem europäischen Festland. 1934 schließt er sich mit dem Germania Ruderclub von 1853 zusammen. Das Bootshaus steht an der Außenalster. Mitte der 1960er-Jahre gehört Der Hamburger und Germania Ruder Club zu den Pionieren des Kinderruderns.

1985 entstand in Allermöhe das Leistungszentrum Rudern

Die „Große Hamburger Ruder-Regatta“ auf der Außenalster, anfangs ein wendetechnisch schwieriger Dreieckskurs über 4000 Meter, von 1878 an ein gradliniges 2000-Meter-Rennen, genießt bis zu ihrer letzten Austragung 1966 weltweit Ansehen. Die Strecke führt vom Uhlenhorster Fährhaus zur Lombardsbrücke. Auch die Wettkampflänge von zwei Kilometern, eingeführt vom Norddeutschen Regatta Verein (NRV), setzt sich international durch. Zuvor sind die 550 Yards der Engländer, 2112 Meter, das Maß.

Neue Standards und der Anstieg des Bootsverkehrs auf der Alster erzwingen den Umzug nach Allermöhe. Umweltschützer protestieren dagegen vergeblich. Auf einem stillgelegten Arm der Elbe werden seit 1985 die strengeren Anforderungen des Weltruderverbandes Fisa erfüllt. 2010 werden die Strecke und das norddeutsche Leistungszentrum Rudern und Kanu für rund drei Millionen Euro saniert und modernisiert, die Bewerbung Hamburgs um die Ruder-WM 2019 scheitert an den dort schwierigen Windbedingungen, die nicht auf jeder Bahn gleiche Bedingungen garantieren.

Die Aufbewahrungsorte der alten Silberpokale werden von den Rudervereinen geheim gehalten.
Die Aufbewahrungsorte der alten Silberpokale werden von den Rudervereinen geheim gehalten. © AAC/NRB  | AAC/NRB 

Mit der 1844 beschriebenen Harmonie ist es allerdings bald vorbei. Teilnahmeberechtigt an den Regatten sind nur „anständige Leute, die das Rudern zu ihrem Vergnügen betreiben“, legt der AAC 1864 erstmals auch schriftlich fest. „Ein grundsätzlicher Meinungsstreit bestand in dieser Zeit über die Frage, wer Amateur und wer Profi war“, erklärt Marcus Grän, Pressereferent und Chronist des Verbandes, den Konflikt. „Wer geistig arbeitete, so die damalige Auffassung, vermag seine Muskeln und Sehnen mit denen eines Mannes, der ständig körperliche Arbeit verrichtet, nicht zu messen. Vor allem dachte man dabei an Berufsruderer, die in Hamburgs Hafen und Gewässern mit ihrer Muskelkraft Boote fortbewegten.“

So kommt es am 21. Juni 1864 zum folgenschweren Beschluss, „der die Seele vieler Hamburger Ruderer bis heute verletzt“, schreibt Grän. „Berufsruderer“ werden von den Regatten ausgeschlossen; Menschen, die nicht in der Lage sind, „den Tag mit Trainierung zu beginnen und ein Frühstück, bestehend aus etwa einem Glase Sherry oder Portwein und gehacktem rohen Beefsteak mit Eigelb“ zu sich zu nehmen – also alle die, die von ihrer Hände Arbeit leben.

Seit 1925 dürfen auch Frauen in Hamburg rudern

Der am 13. März 1883 gegründete Deutsche Ruderverband (DRV) verschärft die Bestimmungen noch. Arbeiter-Rudervereine dürfen nicht Mitglied des DRV werden und auf dessen Regatten starten. „Folglich konnte ein Arbeiter niemals deutscher Meister werden oder ein DRV-Ehrenzeichen erlangen“, sagt Grän. Schon die Tätigkeit als Geselle im väterlichen Betrieb kann zur Aberkennung eines Ehrenzeichens führen.

Besonders im Norden werden die Bestimmungen restriktiv ausgelegt. Die Arbeitervereine organisieren daraufhin eigene Wettfahrten. 1896 als Freie Vereinigung der Ruder-Vereine von Hamburg, Altona und Umgebung gegründet, vertritt der Norddeutsche Ruderer-Bund von 1896 (NRB) die Interessen von 34 Arbeiter-Ruder-Vereinen mit bis zu 3140 Mitgliedern. Zu seinen besten Zeiten in den 1920er-Jahren lockt der NRB mehr als 5000 Zuschauer zu seinen Meisterschaftsrennen an die Alster.

Erst 1960 darf der NRB dem Deutschen Ruderverband beitreten. Am 28. März 1980 löst sich der Ruderer-Bund auf, seine Vereine und Mitglieder schließen sich dem Allgemeinen Alster-Club an. In Anerkennung der Verdienste um den Hamburger Rudersport führt der AAC fortan den Zusatz NRB. Heute zählt der AAC/NRB in 23 Vereinen rund 7000 Mitglieder, 1400 von ihnen sind Frauen. Der größte Club, zugleich der größte Deutschlands, ist der RC Favorite Hammonia von 1854 mit 830 Mitgliedern.

Am 3. Dezember 1925 lässt der AAC erstmals eine Damen-Ruder-Riege ins Wasser. Anfangs sind es zehn Frauen und drei Schülerinnen, die Zahl verzehnfacht sich bereits im ersten Jahr. Sie sehen sich oft Anfeindungen der Männer ausgesetzt, werden bei ihren ersten Ausfahrten von Brücken mit Steinen beworfen. Der Hamburger Ruderinnen-Club von 1925, so heißt er seit 1937, hält durch. Heute ist er mit rund 400 Mitgliedern Hamburgs einziger Frauenruderverein und einer von noch vieren bundesweit; seit diesem Frühjahr auch mit dem Segen der Finanzbehörde, die dem Verein – wie auch drei Hamburger Männerruderclubs – die steuerliche Gemeinnützigkeit zugesteht, obwohl er nicht allen Geschlechtern offen steht.