Hamburg. Die Tagesschausprecherin, Susi Kentikian, Kirsten Boie: Die Journalistin Tanja Breukelchen hat 30 starke Hamburger Frauen porträtiert.
„Sie steht vor dem Kaispeicher B in der HafenCity. Klein, zierlich. Mit langen dunklen Haaren. Winzigen Händen. Und perfekt manikürten Fingernägeln.“ Mit Susi Kentikian stand Tanja Breukelchen in der HafenCity. Hier im Hafen fing schließlich die Geschichte von Susi Kentikian, der späteren Profiboxerin an. Also hat sich Breukelchen dort mit ihr zum Gespräch getroffen, sie erlebt. Das war nicht mit allen Hamburgerinnen möglich, die sie in ihrem Buch „Hamburgs starke Frauen – 30 Porträts“ beschreibt. Helga Feddersen beispielsweise ist 1990 gestorben oder Meta Klopstock hat von 1728 bis 1758 gelebt. Ob noch am Leben oder bereits lange tot, war bei der Auswahl egal. Herausgekommen sind 190 Seiten quer durch Hamburger Geschichte. Ein Buch über Künstlerinnen oder Kämpferinnen, die jede auf ihre Art etwas für die Stadt bewirkt haben.
Nicht in der HafenCity fing das Leben von Susi Kentikian in Hamburg an, sondern in Neumühlen auf der „Bibby Altona“, dem vierstöckigen Asyl-Schiff, das lange Zeit als Erstaufnahme für Geflüchtete diente. Susi aus Armenien sprach kein Deutsch, die Familie zieht in ein Wohnheim nach Langenhorn, und sie lernt Deutsch, spricht ohne Akzent. „Ins Leben geboxt“, heißt das Kapitel über Susi Kentikian, die mit 16 Jahren ihren ersten Profivertrag unterschreibt. Heute gibt sie Box-Workshops und hält Vorträge.
Frauen, die Spuren hinterlassen
Breukelchen nimmt den Leser mit vom Hamburg im Jahr 1645 bis in die Gegenwart. „Mir war wichtig, die vielen Facetten von Stärke zu zeigen und dabei viele Themen abzudecken, damit auch möglichst unterschiedliche Geschichten dabei herauskommen. Jede Frau steht für sich. Für ihre Zeit. Und als ein Beispiel von sehr vielen“, so die Autorin. Was sie bei der Recherche überrascht hat? „Immer wieder die Erkenntnis, dass es in dieser scheinbar so männlich dominierten Stadt oftmals die Frauen waren und sind, die Spuren hinterlassen.“
Beispiel: Glückel von Hameln (1645 bis 1724). Nie gehört? Sie hat ihr Leben mit 12 Kindern nach dem Tod ihres Mannes in einer Autobiografie verarbeitet, die heute als erste bedeutende Autobiografie einer Frau in Deutschland gilt, schreibt die Autorin. Glückel von Hameln hatte mit ihrem geliebten Chaijm ein Geschäft für Gold und Juwelen erfolgreich aufgebaut. Nach fast 30 Ehejahren war ihr Mann gestorben, sie mit 43 Jahren verwitwet. „Und doch entwickelt sie eine unglaubliche Kraft. Die Liebe zu ihrem Mann und ihren Kindern lässt sie weitermachen“, heißt es in dem Buch.
Wie Linda Zervakis Familie und Beruf vereinbart
Mit "Tagesschau"-Sprecherin Linda Zervakis trifft sich Breukelchen in einem Café. Erster Eindruck: „Völlig unprätentiös.“ Sie sprechen über den frühen Krebstod von Papa Christos. Als sie 14 ist, stirbt ihr Vater plötzlich an Krebs. „Von da an war ich erwachsen. Und habe einfach funktioniert“, sagt Linda Zervakis. "Ich sah damals einfach nicht gut aus. Dicke Brille, Potthaarschnitt, beschissene Klamotten. Augenbrauen zupfen, schminken – für meine Mutter waren das Tabus." Längst lässt sie sich die Augenbrauen zupfen, heute müssen sie und ihr Mann Familie und Beruf vereinbaren. „Meine Kinder sind vier und sieben – und ich könnte mir absolut nicht vorstellen, zu Hause zu bleiben, allerdings auch nicht, meine Kinder rund um die Uhr fremdbetreuen zu lassen.“
Für die Rechte von Familien kämpft Lore Maria Peschel-Gutzeit, die spätere Hamburger Justizsenatorin, noch immer, trotz ihrer 83 Jahre. Mit ihr traf Tanja Breukelchen sich in der Berliner Kanzlei der Anwältin, die während ihres Jurastudiums einen Schlüsselmoment erlebte: „Ein Professor führt eine von sechs Frauen in einem mit 300 Männern gefüllten Hörsaal vor.“ Sie nimmt den Kampf um Gleichberechtigung auf. Die Mutter von drei Kindern erkämpft 1968 das Gesetz, das Beamtinnen Teilzeitarbeit und Sonderurlaub ermöglicht. „Wenn man einen unhaltbaren Zustand antrifft, muss man ihn ändern. Und man kann ihn ändern – man muss nur loslegen und darf sich selbst nicht schonen.“
Welche Frauen sie besonders beeindruckt haben, kann Tanja Breukelchen gar nicht sagen. „Aber sicherlich sind die drei Zeitzeuginnen Peggy Parnass, Sybil Gräfin Schönfeldt und Lore Maria Peschel-Gutzeit besondere Begegnungen gewesen: Peggy Parnass so unendlich zerbrechlich und trotzdem so stark und voller Wut und Mut, Sybil Gräfin Schönfeldt unglaublich humorvoll, gebildet und eine fesselnde Erzählerin und Lore Maria Peschel-Gutzeit herrlich gewitzt, klug, klar und kämpferisch.“
Tanja Breukelchen, Hamburgs Starke Frauen – 30 Porträts" 192 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7700-2141-3, Droste Verlag.