Hamburg. Bei Open Table sind “No Show“-Gebühren nicht sofort sichtbar – Hamburger übersieht die Regel und muss 200 Euro zahlen.
Ende Juli durchforstet Joachim Wagner (75) seine Kreditkartenabrechnung, bei der dritten Position fällt er aus allen Wolken. Mit dem Buchungsdatum 24. Juni hat ihm ein Restaurant in Eppendorf 200 Euro abgebucht. Nur hat Wagner – Jurist, Buchautor und viele Jahre Chef des NDR-Politmagazins „Panorama“ – dort gar nicht gegessen. Wie geht das?
Wagner hatte im Restaurant am 21. Juni einen Tisch für vier Personen reserviert, und zwar über die Website Open Table, die Reservierungswünsche für Restaurants in ganz Deutschland entgegennimmt. Um zu reservieren, musste Wagner seine Kreditkartendaten hinterlegen. Die Daten verlangt das Restaurant aus Sicherheitsgründen, wie der Inhaber dem Abendblatt sagt. „Seitdem haben wir kaum noch No-Shows.“
Zuvor seien etliche Gäste trotz Reservierung einfach nicht gekommen. „Dadurch ist mir allein von Mai bis Dezember 2018 ein Schaden von 15.000 Euro entstanden“, so der Gastwirt. Denn längst nicht immer gelinge es, die abgesagten Tische sofort neu zu vermitteln.
Stornogebühren sind bei Open Table nicht direkt sichtbar
Open Table gestattet nach seinen Nutzungsbedingungen eine kostenfreie Stornierung bis zu einer halben Stunde vor der Reservierung, verweist aber auch auf möglicherweise von dieser Regelung abweichende Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) der teilnehmenden Restaurants. Die klappen unter der Überschrift „Was sie vor ihrem Besuch wissen sollten“ auf einen Klick hin auf, sind aber nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennbar.
So ist in den AGB des Restaurants zu lesen, dass eine Stornierung in weniger als 24 Stunden vor der Reservierung mit einer Gebühr von 50 Euro pro Person belegt werden kann. Wagner hatte aber nur die halbstündige Frist vor Augen – und glaubte sich auf der sicheren Seite, als er seine Reservierung zweieinhalb Stunden vor dem Termin bei Open Table und dann noch schriftlich beim Restaurant direkt widerrief.
„Meine Frau fühlte sich unpässlich, das war der Grund für die Absage“, sagt Wagner. Dass das Restaurant dennoch volle 200 Euro von ihm abbuchte, „und das ohne meine Zustimmung“, brachte Wagner gewaltig in den Harnisch. „Ich finde es legitim, dass Restaurants bei No-Shows Gebühren erheben“, sagt er. „Aber eine 24-stündige Stornierungsfrist verteilt die Risiken von berufs- und krankheitsbedingten Absagen in unangemessener Weise auf den Gast.“
Er könne nur dazu raten, seine Kreditkartendaten nicht anzugeben. Zudem empfinde er als „maximal intransparent“, wenn auf der Buchungsplattform zwei widersprüchliche Angaben zu den Stornierungsfristen auftauchten. Auch empfinde er die Gebühr von 50 Euro pro Person als „deutlich überhöht“.
50 Euro Stornogebühr pro Person bei kurzfristiger Absage
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) hält eine Stornierungsgebühr in Höhe von zehn bis 30 Euro in einem gutbürgerlichen Ausflugsrestaurant und, abhängig von der Preisgestaltung, zwischen 50 und 150 Euro in einem Gourmet-Restaurant für angemessen. Wagner verlangte vom Gastwirt die Rückerstattung der 200 Euro, der wies das Ansinnen empört zurück: Er habe Wagners Tisch nach der Absage nicht weiter vermitteln können, und 50 Euro pro Person seien fair kalkuliert.
„Bleibt ein Tisch leer, bleibe ich nun mal auf dem Verlust sitzen“, sagt er. Schließlich bot der Gastronom Wagner an, die Hälfte der Summe bei einem Besuch zu verrechnen. Unwahrscheinlich, dass es jemals dazu kommt. Auf die zunächst angedrohten rechtlichen Schritte will Wagner aber verzichten – aus Kosten- und Zeitgründen.
"No-Shows" werden ein immer größeres Problem
Reservierungen, die kurzfristig oder sogar überhaupt nicht abgesagt werden, sind für Hamburger Gastronomen allerdings zunehmend ein Problem. No-Shows werden sie in der Branche genannt. „Wir beobachten das seit mehreren Jahren“, sagt Anja Lindenberg-Falco vom Gallo Nero in Winterhude. „Jüngere Leute machen einen Sport daraus. Sie reservieren in mehreren Restaurants und entscheiden erst kurz vorher, wo sie dann hingehen. Verbindlichkeit ist nicht mehr angesagt.“
Das italienische Lokal an der Sierichstraße verzeichnet 70 Prozent Stammgäste, auf die es sich verlassen kann. „Aber Silvester muss für jede Reservierung eine Telefonnummer hinterlassen werden, wir rufen auch vorher an“, so die Chefin. „Und am Wochenende überbuchen wir.“ Im Restaurant 100/200 von Thomas Imbusch (ein Michelin-Stern) muss man bei der Buchung das Essen gleich bezahlen wie eine Theater- oder Konzertkarte.
Zu viert reservieren, zu zweit kommen – oder gar nicht
Ergün M. Uysal, Patron im Petit Bonheur in der Neustadt, ärgert sich über Gäste, die über ein Online-Portal reservieren und kurz vor der vereinbarten Zeit stornieren. „Die haben dann zwar abgesagt, aber den Tisch kann ich so kurzfristig nicht mit Gästen von der Warteliste besetzen. Also muss ich auf Walk-ins hoffen. Die kommen dann auch meistens, weil wir in einer Laufgegend sind.“ Als Gastronom sei man in der Zwickmühle. Verlange man von Gästen, die einfach nicht erscheinen, eine Strafgebühr, ernte man schnell böse Kommentare im Internet. „Durch Online-Buchungen ist alles unverbindlicher und anonym geworden“, so der Gastronom aus dem Lokal an der Straße Hütten.
Yvonne Tschebull, die mit ihrem Mann Alexander das Tschebull im Levantehaus sowie das Rive an der Großen Elbstraße führt, verlangt von Gruppen mit zehn und mehr Personen die Hinterlegung einer Kreditkarte. „Außerdem rufen wir bei Reservierungen ab sechs Personen noch mal an, ob die Gruppe wirklich kommt.“ Im Lokal an der Mönckebergstraße könne sie plötzlich frei werdende Plätze schnell wieder besetzen. „Da haben wir viel Laufkundschaft.“
Am Hafen sei das anders. „Am häufigsten haben wir No-Shows bei Buchungen ab 20.30 Uhr, da haben die dann vielleicht schon etwas in der Stadt gefunden.“ Und ärgerlich sei auch, dass es eine Bestellung für vier Personen gebe, aber nur zwei erscheinen. „Die wollen einfach einen größeren Tisch.“
Problem für kleine Betriebe existenzbedrohend
Dank ihrer Bekanntheit und Lage im Schanzenviertel bleiben in der Bullerei sehr selten Plätze frei. „Wir haben eine hohe Reservierungsquote und vergeben an manchen Abend die Tische auch zweimal“, sagt Patrick Rüther, der das Restaurant zusammen mit Tim Mälzer führt. „Aber die zunehmende Unverbindlichkeit kann für kleine Betriebe existenzbedrohend sein.“ Er rechne langfristig mit einer Gebühr bei Reservierungen. „Restaurants sind Wirtschaftsbetriebe, das muss der Gast verstehen.“
Keine Probleme mit No-Shows verzeichnet das Block House. Laut Markus Gutendorff, Direktor der Block House Restaurantbetriebe AG, ist die Rate seit Jahren gleichbleibend niedrig. Der Grund: „Es besteht eine hohe emotionale Verbundenheit und Treue zwischen den Gästen zu ‚ihrem‘ Block House. Eine Reservierung wird respektiert, man geht verlässlich miteinander um.“
Verbraucherzentrale kritisiert Open Table
Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale Hamburg betont zwar, dass für den Gast eine Reservierung auch rechtlich verbindlich ist. Allerdings müsse der Gastronom nachweisen, welcher Schaden ihm durch Stornierung oder Nichterscheinen entstanden ist. Wenn ein Lokal über wenig Laufkundschaft verfüge oder das hochpreisige Segment bediene, könnten auch 50 Euro Stornierungsgebühr pro Gast berechtigt sein.
Rehberg teilt allerdings Wagners Kritik am Reservierungssystem bei Open Table. Der Hinweis auf die 24-stündige Stornierungsfrist befinde sich – kaum sichtbar – über der Kreditkarteneingabe. Verwirrenderweise steht etwas weiter oben eine „Nachricht des Restaurants“, in der lediglich allgemein um „rechtzeitige Stornierung“ gebeten wird. „Da hätte auch der Hinweis in Bezug auf die 24-Stunden-Frist gut stehen können“, so Rehberg. In jedem Fall wären Portal und Restaurant gut beraten, solche Hinweise deutlich sichtbarer zu platzieren.