Hamburg. Der Mietmarkt ist „angespannt“, manche sprechen auch von Angebotsnotstand. Aber was bedeutet das für die Menschen, die suchen?

Nalis größter Traum passt auf ein Blatt Papier. Der Zwölfjährige wollte nichts dem Zufall überlassen. Deswegen malte er den Grundriss seines Kinderzimmers ganz genau auf. Auch den wichtigsten Möbelstücken hat er einen Platz gegeben. Einem Sofa (200 Zentimeter breit), einem Teppich (170 Zentimeter breit), einem Tisch (90 mal 50 Zentimeter) und so weiter. Und weil er weiß, dass es mit dem Geld manchmal eng ist, hat er auch schon nach günstigen Angeboten für Einrichtungsstücke im Internet gesucht.

Als Nali mit dem Bleistift über das Papier fuhr, war er voller Motivation. Dieses Mal hatte er ein gutes Gefühl. Aber das hatte er vorher auch schon oft gehabt. Und so geschah am Ende mit dieser Skizze das, was mit allen anderen vorher auch passiert war: Sie wanderte in die Schublade zu den anderen Bildern der Kinderzimmer, in die Nali nie eingezogen ist. Seit vier Jahren geht das so. Rund 100 Wohnungen haben Nalis Eltern Sozi Ramadhan und Tuana Ali in den vergangenen Jahren angeschaut. Ohne Erfolg. In den meisten Fällen haben sie einfach gar keine Rückmeldung bekommen.

Der Frust ist der Familie in die Gesichter geschrieben, es sind viele Tränen geflossen, sagt Vater Tuana. „An manchen Tagen möchte ich nicht mehr nach Hause kommen, weil alle so traurig sind.“ Wie zum Beweis holt der 47 Jahre alte Familienvater eine Akte aus dem Schrank, die so schwer ist, dass man sie auch als Hantel verwenden könnte. Die Seiten lesen sich wie die Chronologie des Scheiterns. Ausdrucke von Wohnungsangeboten, von Schriftwechseln mit Verwaltungsgesellschaften, Maklern, Vermietern und der Saga, die am Ende ins Nichts führen oder mit einer Absage enden.

Fünf Personen auf 64 Quadratmetern

Warum es bei Familie Ali/Ramadhan so lange dauert, eine Wohnung zu finden, ist schwer auszumachen. Besonders, weil die Not der Familie quasi amtlich ist. Schließlich können sie einen sogenannten Dringlichkeitsschein vorweisen, den ihnen die Behörde ausgestellt hat. Aber im Grunde sind weder Stempel noch Fachkenntnisse nötig, um zu verstehen, dass es bei Familie Ali/Ramadhan wirklich dringend ist. Die Eltern und die drei Kinder leben auf 64 Quadratmetern in zweieinhalb Zimmern in einem Saga-Hochhaus in Wandsbek-Gartenstadt. Jeder Millimeter hat irgendeine Funktion, ist Ablagefläche oder Stauraum. Raum für irgendetwas anderes – für Zerstreuung, zum Ausruhen, zum Toben oder zum Lernen – gibt es hier nicht. Das ist besonders für die Kinder schwer. Der einzige Trost ist eine Grünfläche vor dem Haus, auf der die fußballverrückten Jungs kicken können.

Der Jüngste ist gerade drei Jahre alt geworden, Mutter Sozi Ramadhan schläft mit ihm meist auf dem Sofa im Wohnzimmer. Vater Tuana schläft allein im Schlafzimmer, damit er die Familie nicht stört, wenn nachts um drei der Wecker klingelt und er sich auf den Weg zum Flughafen macht, wo er seit 22 Jahren in einer Gastronomie arbeitet. Kurz vorher war er aus dem Nordirak nach Hamburg gekommen, er spricht gut Deutsch, seine Frau ebenfalls und seine Kinder, die hier geboren und aufgewachsen sind, sowieso.

Familie Ali sucht eine neue Wohnung; Vater Tuana Ali und Mutter Sozi Ramadhan mit ihren Kindern Nali, Chani und Baz Ali in ihrer Wohnung in der Tilsiter Strasse.
Familie Ali sucht eine neue Wohnung; Vater Tuana Ali und Mutter Sozi Ramadhan mit ihren Kindern Nali, Chani und Baz Ali in ihrer Wohnung in der Tilsiter Strasse. © HA | Andreas Laible

Tuana sagt: „Ich habe einen ganz normalen Job, führe ein normales und anständiges Leben. Und ich möchte meiner Familie auch eine Wohnung bieten, die einfach normal ist und in der meine Kinder Platz für einen Schreibtisch haben, an dem sie lernen können.“ Sie wollen keinen Schnickschnack, sagt er, nur eine Wohnung, in der Luft bleibt zum Atmen. Wo? Egal. Na ja, fast egal zumindest. „Nur Billstedt und Steilshoop schließen wir aus“, sagt Tuana. „Ich möchte, dass meine Kinder anständig aufwachsen.“ Und dafür würden sie bis zu 1000 Euro Warmmiete bezahlen können. „Das muss doch möglich sein“, sagt er. Oder nicht?

150 Menschen stehen zur Besichtigung Schlange

Familie Ali/Ramadhan ist eine von jährlich rund 40.000 bis 50.000 Familien oder Einzelpersonen, die sich in Hamburg auf Wohnungssuche begeben. Ein schwieriges Unterfangen – sagen die einen. Andere sagen: Wenn man nicht unbedingt in einem angesagten Stadtteil sucht, ist es kein großes Problem. Die Familie aus Wandsbek-Gartenstadt glaubt: „Für Menschen mit wenig Geld ist es überall schwer, eine Wohnung zu finden.“ Das glauben auch viele andere. Zum Beispiel die mehr als 5000 Menschen, die Anfang Mai beim Hamburger „MietenMove“ auf die Straße gegangen sind und gegen die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt protestiert haben. Sie sagen: Der Mietenwahnsinn in dieser Stadt geht ungebremst weiter.

Eppendorf, Eimsbüttel oder Othmarschen wären schon gut. Zumindest sollte eine gute Anbindung an U- oder S-Bahn vorhanden sein. Auch ein Fahrstuhl wäre wichtig und ein guter Gesamtzustand der Wohnung sowie ein saniertes Bad. Fünf bis sechs Zimmer sollten es bestenfalls sein. Und das alles am besten für 2500 Euro Kaltmiete. Das sind die Eckdaten, mit denen die Hofmeiers (Name geändert) im Frühjahr in Hamburg ihre Wohnungssuche beginnen. Zu dem Zeitpunkt leben sie noch in Köln. Es geht ihnen gut, Frank und Vanessa Hofmeier haben gute Jobs als Unternehmensberater, und der elf Monate alte Nachwuchs macht ihnen viel Freude. Perfekt wird das Glück, als Vater Frank ein Jobangebot in Hamburg bekommt. Schließlich kommen er und seine Frau aus dem Norden und freuen sich, dass es nun endlich wieder in die Heimat zurückgeht.

Kurz nach der Zusage für den neuen Job starten sie ihre Wohnungssuche und durchforsten die Angebote auf bekannten Plattformen wie Immonet und Immoscout. Was sie finden: ein recht überschaubares Angebot. „Für das, was wir uns vorstellten, gibt es hamburgweit vielleicht 30 Angebote“, sagt Frank Hofmeier. Bis zum ersten Besichtigungstermin vergehen nur wenige Tage, weitere Termine folgen nach kurzer Zeit. Mal in Groß Flottbek, mal in Othmarschen, mal in Eppendorf. Aber die richtige Wohnung ist im ersten Schwung nicht dabei: Mal ist das Bad nicht saniert, mal gibt es keinen Fahrstuhl, mal ist der Weg zur S-Bahn-Station zu weit.

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Weil sie bis zu Franks Arbeitsantritt im Mai noch keine Wohnung finden, nimmt er sich erst mal allein ein Zimmer. „Wir wollen nicht überstürzt in eine Wohnung ziehen, die nicht hundertprozentig passt“, sagt er. „Wir suchen ein Zuhause, in dem wir viele Jahre leben wollen. Da sollte man keine Kompromisse eingehen.“ Außerdem: Von Hamburg aus kann er Besichtigungstermine nun besser wahrnehmen. Der große Stress bricht jedenfalls nicht aus. Auch, weil die Termine in der Regel recht entspannt verlaufen. „Wir haben bislang ausschließlich Einzeltermine gehabt“, sagt Frank. „Und meistens haben wir uns dabei sehr nett mit dem Verwalter, Eigentümer oder Makler unterhalten können.“

Eimsbüttel, 48 Quadratmeter, zweiter Stock, zwei Zimmer, kleiner Balkon, Holzdielen, 750 Euro warm. Das sind die Eckdaten, die an einem Sonntag in diesem Sommer etwa 150 Menschen zu einer offenen Besichtigung an den Eppendorfer Weg in Eimsbüttel gelockt haben. Sich die genaue Adresse zu notieren wäre allerdings nicht notwendig gewesen. Die Menschenschlange reicht bis vor die Haustür. Laura und Christoph, beide 25 Jahre alt, haben es immerhin schon ins Treppenhaus geschafft, wo sie sich mit den anderen die Beine in den Bauch stehen. Laura wohnt derzeit in Hamm, Christoph in Heimfeld. Nun möchte das Pärchen zusammenziehen. Gerne in Eimsbüttel, wo Christoph einen Job gefunden hat, aber auch Eilbek oder Hamm wären okay. „Hauptsache, gut angebunden“, sagt Laura.

Mappe wie bei einer Job-Bewerbung - nur mit Schufa-Auskunft

Was sie suchen: eine Zweizimmerwohnung bis 800 Euro. Die Wohnung am Eppendorfer Weg könnte also passen, und auch die Lage wäre perfekt. Aber die große Euphorie nimmt mit jeder Stufe aufwärts ab. Wie eine Türsteherin lässt die Maklerin, Eigentümerin oder Verwalterin – die genaue Rolle bleibt unklar – immer nur eine bestimmte Anzahl von Besuchern gleichzeitig rein. Die Blicke der Wartenden zeugen von Ernüchterung. Eine sagt: „Da hat man doch sowieso keine Chance.“ Ein anderer meint: „Lohnt es sich überhaupt, hier seine Mappe abzugeben?“ Eine Mappe haben fast alle hier unterm Arm: Lebenslauf, Anschreiben, Passfoto. Fast wie bei einer Bewerbungsmappe für einen Job. Nur mit Schufa-Auskunft.

Nach etwa 20 Minuten dürfen auch Laura und Christoph eintreten. Gemeinsam gehen sie Zimmer für Zimmer ab und versuchen sich vorzustellen, ob sie sich hier wohlfühlen können. Fazit: Ja, könnten sie. Die Wohnung ist in einem guten Zustand, der Schnitt stimmt, nur die Küche ist nicht mehr die modernste. Also geben sie ihre Unterlagen ab. Wann sie Bescheid bekommen würden? Die Frau von der Hausverwaltung verweist auf einen Zettel im Haus, den man abfotografieren soll. „Da steht alles drauf.“ Auf dem Zettel heißt es, dass es sich nicht um eine externe Firma handle, sondern direkt um den Vermieter der Wohnung (Fölster-Immobilien), und dass bei Vertragsabschluss eine Vertragsausfertigungsgebühr von 80 Euro fällig werde und dass man sich im Falle einer positiven Antwort nach drei Tagen melden werde – ansonsten werde man keine Rückmeldung mehr bekommen.

Als Laura und Christoph die Wohnung verlassen, stehen die Menschen im Treppenhaus immer noch Schlange. Und bei den Wartenden gibt es nur ein Gesprächsthema: „Wieso schleusen die hier denn so viele Menschen durch? Geht das nicht einfacher? Und: Wonach gehen die überhaupt? Das ist doch alles völlig intransparent.“ Auch Laura sagt: „Ich bin so eine Massenabfertigung nicht gewohnt. Ich komme vom Land, da gibt es so was nicht. Hier hat man das Gefühl, als ob man nur auf das Einkommen reduziert wird.“ Sie befürchtet, dass es vielen Vermietern nicht genug ist, dass nur ihr Freund einen festen Job hat. Zwar hat auch Laura ihr Studium gerade beendet und ebenfalls einen festen Job in Aussicht. „Große Gehaltsabrechnungen kann ich aber natürlich noch nicht vorweisen“, sagt sie.

Alter, Beruf, Einkommen – worauf kommt es wirklich an?

Ist Lauras Befürchtung richtig? Geht es nur ums Einkommen? Und wenn das nicht der Fall ist, worum geht es dann? Antworten auf diese Fragen gibt es hinter einer schicken Glasfassade an der Lübecker Straße. Hier hat das Immobilienvermittlungsunternehmen StöbenWittlinger seinen Sitz. Etwa 4000 Wohn- und Gewerbeeinheiten hat die Firma in ihrem Portfolio. Ob man auch hier Massenbesichtigungen durchführe, um Mieter zu finden? Chef Axel H. Wittlinger fragt zurück: „Massenbesichtigungen? Das gibt es heute noch?“ Dann zwinkert er. Natürlich weiß er, dass es das gibt. Wittlinger ist schließlich nicht nur Firmenchef, sondern auch Chef des Immobilienverbandes Nord (IVD), der verschiedenste Berufe der Immobilienwirtschaft vertritt, hauptsächlich Makler.

Wittlinger ist seit Jahren bemüht, den Ruf des Maklers in ein besseres Licht zu rücken. Weg von dem Bild eines bisweilen dubiosen Dienstleisters, der nur die Tür aufhält und dann kassiert. „Die Wohnungsbesichtigung macht nur einen Bruchteil der Maklerarbeit aus“, sagt Wittlinger. Der Großteil ist die Verwaltung, die Erstellung von Exposés und die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete. „Angesichts der vielen Parameter, die hier ausschlaggebend sind, ist das wirklich ein Kunststück.“ Auch trägt Wittlinger Sorge dafür, dass die Regeln eingehalten werden. Also etwa das Bestellerprinzip, nach dem der Makler von dem bezahlt wird, der ihn bestellt, also in der Regel dem Vermieter. Oder aber, dass keine unzulässigen Gebühren verlangt werden.

Deshalb lässt ihn das Beispiel vom Eppendorfer Weg aufhorchen. Eine Vertragsausfertigungsgebühr? „Das ist verboten“, sagt er. Ein Verbot für Massenbesichtigungen hingegen gebe es natürlich nicht. Dennoch gebe es viele Gründe dafür, warum man im Hause StöbenWittlinger in der Regel darauf verzichtet. Auch weil es rechtlich schwierig sei: „Die Interessentenbogen mit Auskünften über Einkommen, Alter, Familienstand, Lebenslauf und so weiter darf ein Makler aus Datenschutzgründen eigentlich gar nicht annehmen“, sagt Wittlinger (s. Extra-Text auf der nächsten Seite). Auch deshalb hat er in seiner Firma vor einiger Zeit auf ein System umgestellt, das die Arbeit mit den Daten einer Onlineplattform überlässt, die im Grunde funktioniert wie eine Datingbörse, nur dass sich hier Vermieter und Mieter finden.

Aber worauf kommt es denn nun am Ende an? Beruf? Alter? Oder doch nur das Einkommen, wie einige vermuten? „Das ist von Eigentümer zu Eigentümer unterschiedlich“, sagt Wittlinger. Und was ist an den Klischees dran, dass es mit einigen Berufen schwerer ist als mit anderen, etwa für Juristen oder Lehrer? „Das stimmt zum Teil“, sagt er. „Zumindest für Lehrer ist es schwieriger. Das liegt nicht ganz konkret an der Tätigkeit, sondern in der Annahme, dass Lehrer vergleichsweise viel Zeit zu Hause verbringen und sich dann kritischer mit ihrem Zuhause auseinandersetzen. Das gilt oft auch für andere Jobs, bei denen die Vermutung naheliegt, dass viel von zu Hause aus gearbeitet wird.“

Schlechtere Noten, weil zu Hause kein Platz zum Lernen ist?

Lehrer? Juristen? Daran kann es bei Familie Ali/Ramadhan schon mal nicht liegen. „Und gegen einen Job in der Gastronomie kann doch eigentlich niemand etwas haben“, sagt Tuana Ali. Um das Ganze voranzutreiben, hat Sohn Nali nun eigenmächtig bei Ebay-Kleinanzeigen eine Anzeige geschaltet. Dafür hat er ein Selfie von sich und seiner Familie hochgeladen und ein paar Zeilen im Namen seiner Mutter geschrieben: „Wir suchen seit vier Jahren eine 3,5- bis Fünfzimmerwohnung in Hamburg. Mein Sohn macht schon seit Jahren Skizzen davon, wie sein Zimmer aussehen soll, und musste bisher immer seinen Plan wegwerfen. Er kämpft für sich selber und für seine Familie, eine Wohnung zu finden, und hat sich vorgenommen, es mal bei Ebay-Kleinanzeigen zu versuchen.“

Ernst zu nehmende Angebote haben sie bisher nicht bekommen. Mutter Sozi Ramadhan sagt, sie habe die Hoffnung fast aufgegeben. Zwischenzeitlich habe sie versucht, über private Kontakte eine Wohnung zu tauschen, aber daraus wurde nichts. Und auch die Saga hätten sie schon mehrfach kontaktiert, zum Bespiel wenn sie gesehen haben, dass in dem mehrstöckigen Saga-Haus, in dem sie leben, eine Wohnung frei wurde. „Dann habe ich da angerufen und gesagt, dass wir die gerne haben würden. Aber es hieß immer, sie sei schon vergeben“, sagt die 46-Jährige. Ihr Mann Tuana will beobachtet haben, dass zwar Wohnungsbesichtigungen stattgefunden haben, aber am Ende jemand eingezogen ist, der gar nicht auf dem Termin erschienen ist. „Das ist doch alles Gemauschel“, glaubt er. Und überhaupt: „Was bringt dieser Dringlichkeitsschein, wenn man auch damit keine Wohnung findet?“

Dabei ist in der Theorie alles bestens organisiert. Der Dringlichkeitsschein soll es Familien wie dieser leichter machen, eine Wohnung zu finden. Die Bezirksämter stellen ihn dann aus, wenn eine Person oder Familie von Wohnungslosigkeit bedroht, auf einen Rollstuhl angewiesen ist oder wenn eine ordentliche Unterbringung, insbesondere von Kindern, nicht gewährleistet ist. Bei Familie Ali/Ramadhan ist es besonders die Unterbringung der Kinder, die ihnen Sorge macht. „Unser größter Sohn Nali war bislang auf dem Gymnasium, muss nun aber auf eine Stadtteilschule wechseln, weil die Leistungen schlechter geworden sind. Und wir machen uns natürlich Vorwürfe, weil er zu Hause keinen Platz zum Lernen hat“, so Tuana. Er fragt sich: „Machen wir etwas falsch?“

Seit 2011 wurden in Hamburg 40.000 Wohnungen gebaut

Die Antwort lautet wahrscheinlich: Nein. Denn tatsächlich sagte auch Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) erst kürzlich dem Abendblatt: „Ja, in bestimmten Bereichen haben wir eine Wohnungsnot, insbesondere bei den sogenannten vordringlich Wohnungssuchenden, also Menschen, die in schwierigen Lebenslagen sind und ganz schnell eine Wohnung brauchen.“ Der Mieterverein zu Hamburg bestätigt diese Einschätzung. Laut Vorsitzendem Siegmund Chychla ist Familie Ali/Ramadhan mit ihrem Problem keinesfalls allein. „Auch Menschen, die wirklich dringend auf eine Wohnung angewiesen sind, können nicht mehr versorgt werden. Etwa 40 Prozent von ihnen bekommen keine“, sagt Chychla. Er fragt: „Wenn der Wohnungsmarkt gar nicht so angespannt ist, wie die Wohnungswirtschaft immer sagt, warum gibt man diesen Menschen dann nicht einfach eine Wohnung?“

Also gibt es doch eine Wohnungsnot? Zumindest in bestimmten Bereichen? Für Andreas Breitner, Chef des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), ist es nichts als „Panikmache“, von Wohnungsnot zu sprechen. „Auch wenn die Lage auf Hamburgs Wohnungsmarkt in einigen Segmenten angespannt ist: Wir haben keine Wohnungsnot in der Hansestadt. Eine Wohnungsnot gab es nach dem Zweiten Weltkrieg, als Menschen in Ruinen und ungeheizten Nissenhütten leben mussten.“ Breitner verweist auf das von der Wohnungswirtschaft und dem rot-grünen Senat geschlossene Bündnis für das Wohnen, bei dem man seit mehreren Jahren „sehr gut“ zusammenarbeite. Fast 40.000 Wohnungen seien seit 2011 gebaut worden – „ein großer Teil davon ist bezahlbar“.

Gegenwärtig würden jedes Jahr rund 10.000 Baugenehmigungen erteilt. „Populismus ist es, jedes Wohnungsunternehmen als ‚Miethai‘ zu diffamieren.“ Die im VNW organisierten Wohnungsgenossenschaften und Wohnungsgesellschaften seien sogenannte Bestandshalter: „Sie handeln nicht mit Wohnungen. Sie bauen Wohnungen, um diese über viele Jahrzehnte zu fairen Preisen zu vermieten“, so Breitner. In Hamburg gibt es rund 640.000 Mietwohnungen. Davon gehören den VNW-Unternehmen 270.000 und damit fast jede zweite Mietwohnung. Die durchschnittliche Nettokaltmiete pro Quadratmeter beträgt nach Angaben des Verbandes derzeit 6,77 Euro und liegt damit fast zwei Euro unter dem Durchschnittswert des Hamburger Mietspiegels.

Wucherpreise für abgewohnte Gegenstände

Familie Hofmeier ist inzwischen mit dem Preis hochgegangen. „Wir mussten einsehen, dass man für 2500 Euro nicht das bekommt, was wir uns vorgestellt haben“, sagt Frank Hofmeier. Auch er und seine Frau haben inzwischen versucht, über Ebay-Kleinanzeigen eine passende Wohnung zu finden, ebenso über eine Annonce in der Tageszeitung. Beides habe nichts gebracht. Dennoch sind sie zuversichtlich. „Das Angebot in dem Segment, in dem wir suchen, ist zwar überschaubar, aber den ganz großen Andrang gibt es hier natürlich auch nicht. Wir werden schon noch was finden.“

Das junge Pärchen Laura und Christoph hat auch drei Tage nach dem Besichtigungstermin am Eppendorfer Weg keine Rückmeldung bekommen. Woran es gelegen hat, bleibt ein Rätsel. Auf Nachfrage des Abendblatts reagierte Fölster Immobilien leider nicht, auf dem Anrufbeantworter heißt die Firma außerdem anders. Mehrere Kontaktversuche blieben unbeantwortet.

Aber damit halten sich Laura und Christoph nicht weiter auf. Über einen privaten Kontakt erfahren sie von einer frei werdenden Wohnung. Auch hier klingt alles vielversprechend. Die Zweizimmerwohnung liegt in Hamm und ist noch nicht auf dem Markt. Und so vereinbaren sie schnell einen Termin. Doch wieder läuft alles nicht wie geplant. Küche und Bad sind aus den 60er-Jahren, auch alle Elektrogeräte stammen aus dieser Zeit, genauso wie der Teppich, der überall verlegt ist. Für einen neuen Boden sollen die beiden selber aufkommen. „Ich habe recherchiert, was es kostet, überall Laminat verlegen zu lassen, aber das sind knapp 2500 Euro. Das steht doch nicht im Verhältnis zu einer Wohnung, in der man doch wahrscheinlich nur ein paar Jahre wohnt.“ Und dann ist da noch die Sache mit dem alten Wohnzimmerschrank – ein wuchtiger Klotz, Eiche rustikal. „Den müssten wir leider auch übernehmen“, hieß es.

Aber ist das rechtens? Kann man einfach dazu verdonnert werden, Gegenstände und Möbel gegen Geld zu übernehmen?„Oft ist es so, dass der Vermieter vom Mieter im Wege einer Ablösungsvereinbarung für die abgewohnten Gegenstände einen Wucherpreis verlangt“, sagt Siegmund Chychla vom Mieterverein zu Hamburg. „Eine solche Vereinbarung ist unwirksam, soweit das Entgelt in einem auffälligen Missverhältnis zum Wert der überlassenen Sachen steht. Von einem auffälligen Missverhältnis geht die Rechtsprechung dann aus, wenn der Kaufpreis mehr als 50 Prozent über dem tatsächlichen Wert liegt.“

Was also tun? Chychla rät, sich zunächst gegen Quittung auf das Geschäft einzulassen, in die Wohnung zu ziehen, die Gegenstände zu sichern und dann das zu viel gezahlte Geld zurückzuverlangen. Aber so weit kommt es in diesem Fall nicht. Nach ungefähr zwei Wochen ist klar, dass auch bei dieser Wohnung wohl keine Rückmeldung mehr zu erwarten ist. Laut Siegmund Chychla gibt es besonders im sogenannten bezahlbaren Wohnsegment eine angespannte Lage. Aber was genau heißt bezahlbar? „Eigentlich rechnet man, dass man nicht mehr als ein Drittel des Gehalts für Wohnen ausgeben sollte, aber in Hamburg geben knapp 30 Prozent mehr als die Hälfte des Gehalts für Wohnen aus.“ Das treffe besonders Familien, die nicht so viel zur Verfügung haben. „Rund ein Drittel der Hamburger Haushalte hat weniger als 1500 Euro im Monat zur Verfügung.“ Und so würden es sich viele inzwischen dreimal überlegen, ob sie wirklich umziehen sollen, wenn die aktuelle Wohnung noch halbwegs bezahlbar ist. „Früher war mehr Bewegung am Markt. Auch daran lässt sich ablesen, dass der Markt eben doch angespannt ist.“

Die Saga vertröstet Familie Ali/Ramadhan immer wieder

Große Freude bei Familie Hofmeier: Endlich hat es mit der Wohnung geklappt. Und was für eine: sechs Zimmer, rund 3000 Euro, top saniert, und einen Fahrstuhl gibt es auch. Am Ende ist es Eppendorf geworden. „Da wir beide in der Innenstadt arbeiten, ist die Lage wirklich perfekt“, sagt Frank Hofmeier. Insgesamt zehn Wohnungen hat sich die Familie auf dem Weg angeschaut. Er findet: „Das ist gar nicht mal so wenig.“

Laura und Christoph wollen es nun mit einer Genossenschaft versuchen. Schon vor einiger Zeit haben sie sich auf einen Verteiler setzen lassen und nun eine erste Einladung bekommen, um sich eine Wohnung in Hasselbrook anzuschauen. Doch auch hier wiederholt sich das Schema: erst große Hoffnung – dann Enttäuschung. „Das Bad ist superklein und die Wohnung sehr alt“, sagt Laura. Dennoch bewerben sie sich. „Es waren nur acht andere Leute da, und die meisten haben sofort abgesagt“, sagt Laura. Die Chancen stünden also gut, glaubt sie. Aber auch bei dieser Wohnung würde vor dem Einzug erst mal Arbeit auf sie zukommen. „Wir müssen abwägen, wie viel wir bereit wären, in so eine Wohnung zu stecken.“ Fazit nach einem Ortstermin: „So eine Besichtigung bei einer Genossenschaft ist schon viel netter als bei so einem Massentermin von irgendeiner Hausverwaltung.“ Warum? „Weil die sich hier wirklich für uns interessiert haben“, sagt sie. Da weiß sie aber noch nicht, dass sie auch von dieser Wohnung nichts mehr hören wird.

Echtes Interesse? „Das haben die doch nicht für uns“, sagt Tuana Ali, der inzwischen von der Saga ziemlich enttäuscht ist. Auf Abendblatt-Nachfrage sagte die Saga: „(...) Ganz grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass wegen des weiter angespannten Wohnungsmarktes in Hamburg insbesondere größere Wohnungen stark nachgefragt sind.“ Man werde weiter versuchen, der Familie auf Basis der genannten Parameter Angebote zu unterbreiten. „Wir empfehlen darüber hinaus, auch selbst regelmäßig auf der Saga-Website zu schauen, um auch auf aktuell verfügbare Wohnungen in anderen als den genannten Stadtteilen aufmerksam zu werden.“

Für Familie Ali/Ramadhan geht die Suche also weiter – obwohl sie eigentlich inzwischen kaum noch Kraft dafür haben. Dabei ist die Lage gerade so dringend wie noch nie zuvor. Denn seit Kurzem hängt da dieser Zettel im Treppenhaus: Fußballspielen vor dem Haus ab sofort verboten.