Hamburg. Soziale Medien verstärken Aggressivität. Moderate Nutzung dagegen erhöht die Zufriedenheit der Nutzer.

Menschen, die Social Media wie Facebook, Instagram, WhatsApp, YouTube oder Twitter sehr intensiv nutzen, sind unzufriedener, aggressiver und radikaler und glauben öfter an Verschwörungstheorien als moderate Nutzer. Das ist das Ergebnis einer umfassenden Studie, für die Forscher der Universität Hamburg und der Universität Münster mehr als 2000 repräsentativ ausgewählte Deutsche befragt haben.

Demnach ist die Social-Media-Abstinenz allerdings auch keine Lösung – aus zwei Gründen. Erstens seien Facebook und Co. heute so wichtig für die Gesellschaft, dass es kaum anzuraten sei, sich ihnen zu entziehen. Für junge Menschen etwa seien die Onlineplattformen oft die einzige Quelle für Nachrichten. Und zweitens sind Menschen, die sich gar nicht über Internetplattformen vernetzen, nach der Studie ebenso unzufrieden wie Menschen, die dort zu viel Zeit verbringen. Den Messenger-Dienst Whats App zählen die Forscher auch zu den sozialen Medien, da er längst für große Gruppenunterhaltungen genutzt werde und mittlerweile zu Facebook gehöre.

Soziale Medien sind primäre Nachrichtenquellen

„Unsere Zahlen zeigen: Die Umwälzung, die das Internet und Social Media für uns alle bedeutet, kann man gar nicht überschätzen“, sagt Studienautor Henrik Sattler, Professor für „Marketing und Branding“ an der Uni Hamburg und Sprecher der Arbeitsgruppe soziale Medien der Deutschen Forschungsgemeinschaft. „Social Media existiert nicht nur als Ergänzung von Dingen, an die wir uns gewöhnt haben, wie TV und Gespräche mit Freunden, sondern ersetzt diese in vielen Bereichen, die für eine funktionierende Gesellschaft elementar sind.“ So seien Instagram, Snapchat und Co. längst „primäre Nachrichtenquellen für junge Leute“. Sattlers Kollege und Mitautor Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Marketing und Medien in Münster, wird noch deutlicher. „Wir sollten uns besser damit abfinden, dass Social Media auf unser Zusammenleben und unsere Gesellschaft einen so extremem Einfluss ausübt wie vor 500 Jahren die Erfindung der Druckerpresse“, sagt er.

Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Medien
Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Medien © Andreas Löchte | Andreas Löchte

Angeraten ist nach den Ergebnissen der Wissenschaftler daher eine moderate Nutzung sozialer Medien von bis zu einer Stunde pro Tag. Wer sich viel länger auf den einschlägigen Plattformen tummelt oder mit nie endenden Whats-App-Debatten befasst, der wird gestresster und unzufriedener mit seinem Leben – und droht sich zu radikalisieren. „Das Ausmaß an abseitigen Gedanken in Deutschland ist enorm und erschreckend: Über ein Drittel der Menschen stellt fundamentale Sachverhalte zumindest infrage“, so Sattler. Die Daten der Studie zeigten, dass Social Media selbst abseitigsten Gedanken eine Plattform gäben. „Der Glaube an Verschwörungstheorien ist eine nahezu lineare Funktion der Nutzungsdauer von Social Media“, so Hennig-Thurau.

Will die Regierung uns durch Nervengift gefügig machen?

„Insbesondere die Nutzung vieler verschiedener Plattformen und eine überdurchschnittliche Tagesdosis sind mit erhöhtem Stress und verringerter Lebenszufriedenheit assoziiert“, heißt es zudem in der 41-seitigen Untersuchung. Besonders Facebook sei mit der Neigung zu Verschwörungstheorien verbunden. Immer mehr Menschen neigen demnach durch die intensive Facebook-Nutzung zu abstrusen Vorstellungen, etwa der These, es gebe gezielte Pläne zur Unterwanderung Europas durch Flüchtlinge oder Muslime, die Wahrheit über die Anschläge vom 11. September 2001 werde geheim gehalten, das Aids-Virus sei bewusst gezüchtet und verbreitet worden – oder die Regierung mische Nervengifte in Kondensstreifen von Flugzeugen, um die Bevölkerung gefügig zu machen (Chemtrail-Verschwörung).

Wie verheerend der Einfluss auf Politik und Gesellschaft selbst von völlig grotesken Verschwörungstheorien sein kann, hatte sich etwa in den USA beim sogenannten „Pizzagate“ gezeigt. Nach einer 2016 bei Facebook verbreiteten These agierte demnach mitten in Washington D.C. ein Päderastenring in einer Pizzeria – unter dem Schutz von Hillary Clinton, vermutlich auch Barack Obama und Lady Gaga. Diese im US-Wahlkampf über Facebook massenhaft gestreute Behauptung erreichte binnen kürzester Zeit Millionen Menschen. Im Dezember 2016 drang ein Bewaffneter in die besagte Pizzeria ein, um die Kinder zu befreien. Allerdings fanden sich in dem Restaurant weder missbrauchte Kinder noch ein Pornoring oder irgendein Hinweis auf Clinton, Obama oder Frau Gaga. Die ganze Geschichte war frei erfunden. Die Auswirkungen auf den Wahlkampf, in dem schließlich Donald Trump die Präsidentschaft errang, dürften dennoch erheblich gewesen sein.

Bildung ist alternativlos

„Bildung ist das wichtigste Gegengift“, sagt Prof. Sattler. „Um zu verstehen, wie Social Media funktioniert und seine Inhalte einordnen zu können und damit umzugehen, ist Bildung alternativenlos.“ Zugleich gehe es immer auch darum, die richtige Dosis bei der Nutzung der sozialen Medien zu finden. Wer diese gezielt, aber nicht übermäßig nutze, weise nämlich eine höhere Lebenszufriedenheit auf, als Menschen die sich gar nicht mit Social Media befassten.

Dieses Ergebnis unterstreicht die positiven Möglichkeiten der Plattformen: Man kann sich dort mit Menschen auch konstruktiv austauschen, findet Trost in Krisen, kann von interessanten Dingen erfahren, neue Bekanntschaften schließen oder Kontakte mit Menschen pflegen, die weit entfernt leben.

„Social Media ist weder eindeutig gut noch eindeutig schlecht. Es ist die extreme Nutzung, die sowohl für jeden Einzelnen als auch für die Gesellschaft als Ganzes negative Wirkungen hat“, sagt Prof. Hennig-Thurau. „Wie bei Videospielen und gutem Rotwein gilt also: Nutze Facebook und Co. maßvoll!“ Auch der Staat müsse sich „grundlegend überlegen“, wie er mit Bürgern kommunizieren wolle. „Da geht an Social Media ganz offensichtlich kein Weg vorbei.“

Wie gefährlich sind diese Medien für die Demokratie?

Die Politik muss nach Einschätzung der Autoren aber nicht nur erkennen, welche Möglichkeiten diese Medien böten – sondern auch wie gefährlich ihr Missbrauch für die Demokratie sein kann. „Politiker sollten Social Media nicht verteufeln, aber die Probleme, die damit einhergehen, ernst nehmen“, so das Fazit von Studienautor Prof. Sattler. In den Plattformen stecke großes Gefahrenpotenzial, weil sie „extreme, radikale und abseitige Denkweisen befeuern“.

Die Studie ist im Internet abrufbar unter marketingcenter.de/en/news/1553.