Hamburg. Denkmalverein macht sich stark für den bedrohten Bau über der Willy-Brandt-Straße. Designerin schlägt neue Farbgebung vor.

Seit 38 Jahren quert die Cremonbrücke die Willy-Brandt-Straße. Täglich rollen rund 80.000 Fahrzeuge unter ihr her, fast jeder Hamburger dürfte schon einmal mit den Rolltreppen, welche die Richtung wechseln können, gefahren sein und die Trasse überquert haben. Doch just in dem Augenblick, in dem ihr Abriss wahrscheinlicher wird, melden sich auch die Fürsprecher des Bauwerks.

Der Hamburger Denkmalverein, verschiedene Künstler und Bürger machen sich für den markanten Bau stark. Auf Facebook gibt es inzwischen eine öffentliche Unterstützergruppe (Cremonbrücke erhalten), die sich zu Veranstaltungen (Cremant at Cremon) und Fotoshootings trifft. Kristina Sassenscheidt vom Denkmalverein spricht gar von dem „Blauen Wunder“, wohl wissend, dass damit sonst die schmiedeeiserne Hängebrücke in Dresden bezeichnet wird.

"Markant wie die Köhlbrandbrücke"

„Kaum eine Hamburger Brücke hat einen höheren Wiedererkennungswert als die Cremonbrücke“, sagt Sassenscheidt. „Sie ist ähnlich markant wie die Köhlbrandbrücke und ein wichtiger Orientierungspunkt für Hamburger und Touristen.“ Wer auf der Brücke stehe, so Sassenscheidt, dem erschließen sich mehrere Blickachsen – zur Hafencity und zur Speicherstadt, über die Willy-Brandt-Straße, in die historische Deichstraße und auf das Mahnmal St. Nikolai.

Ähnlich sieht Marco Alexander Hosemann den Bau: „Aufgrund ihres stadtbildprägenden Charakters und starken Zeugniswerts hinsichtlich der historischen Entwicklung dieses Teils unserer Stadt ist die Cremonbrücke besonders denkmalwürdig“, sagt der Vorsitzende vom City-Hof e.V., der bislang mit Verve für den Erhalt der Hochhausscheiben am Klosterwall gekämpft hatte.

Farblich polarisieren

Eine Fürsprecherin hat die blaue Brücke auch in der bekannten Hamburger Designerin Ulrike Krages: „Die Cremonbrücke fügt sich architektonisch bizarr in ihre Umgebung ein. Durch die Unruhe der Umgebung verlangt sie danach, sich farblich abzuheben um wahrgenommen zu werden.“ Um einen neuen Blick auf den Bau zu entwickeln, hat sie einen eigenen Entwurf gewagt: „Wir halten es für äußerst wichtig, in der Farbgebung zu polarisieren und plädieren für eine kräftige Farbe. Durch diesen unerwarteten Ton zeigt sich die Brücke auf rebellisch frische Weise.“

Zuletzt war die Brücke zur Disposition gestellt worden. Im Umfeld der Bürgerbewegung „Altstadt für alle“ machen sich viele für einen Abriss der Brücke stark: Ihnen geht es um die Neugestaltung des Hopfenmarktes und um eine Rückeroberung des Straßenraums durch die Fußgänger. Die sechsspurige Trasse gilt vielen längst als Sündenfall, der die Stadt zerschnitten hat. Die Brücke verdrängt dabei die Passanten von der Straße auf eine andere Ebene.

Verkehrsbehörde hält Grundinstandsetzung nicht für sinnvoll

In der Verkehrsbehörde sieht man den Bau aufgrund der hohen Kosten für Pflege und Instandhaltung der Rolltreppen kritisch. „Aus Fußgängersicht, im Interesse der Barrierefreiheit und für eine bessere Verbindung zwischen Innenstadt und HafenCity hat eine ebenerdige Querung der Willy-Brandt-Straße mehr Vorteile als die Brücke“, sagt Behördensprecher Christian Füldner. „Die Rolltreppen sind bereits heute sehr anfällig. Eine Grundinstandsetzung, die in 10 bis 20 Jahren ohnehin fällig wäre, ist verkehrlich nicht sinnvoll.“ Deshalb sei ein Abriss dieser Brücke eine Option, über die sich die Verkehrsbehörde, der Oberbaudirektor und das Denkmalschutzamt eng abstimmen.

Im Bezirk ist zudem eine Tunnellösung etwas weiter östlich am Nikolai-fleet im Gespräch. Das ganze Viertel befindet sich derzeit im Umbruch. Kein Zufall: Im Rahmen des geplanten Abrisses des Holcim-Hauses an der Willy-Brandt-Straße 69 könnte sich das Schicksal der Brücke direkt davor entscheiden – sie könnte der Neuentwicklung und dem Investor im Weg stehen.

Entwurf von Peter Stahrenburg

Errichtet hat die blaue Brücke, die den Kleinen Burstah mit der Holzbrücke und der Deichstraße verbindet, das Architekten- und Ingenieur-Büro Pysall, Stahrenberg und Partner (PSP). Sie bildet ein Ensemble mit dem Bundesbank-Gebäude, das 1981 im Stil des Brutalismus gebaut wurde und längst unter Denkmalschutz steht. Der Brückenentwurf kam von Peter Stahrenberg. „Es lohnt, den Bau einmal von oben zu googeln. Der Pylon greift gekonnt die dreieckigen Treppenhäuser des benachbarten Bundesbank-Gebäudes auf“, sagt Michael Krämer, Mitbegründer und Inhaber des Hamburger Büros PSP. Auch Krämer hofft, dass diese Landmarke durch Farbe eine neue Wirkung entfaltet. „Ich könnte mir die Brücke gut in Schneeweiß vorstellen - dann bekäme sie eine ganz andere Wirkung.“  Krämer bedauert, dass die Stadt den Bau in den vergangenen Jahren hat verkommen lassen.

Öffentliche Veranstaltungen auf der Brücke geplant

„Die Cremonbrücke und ihr Umfeld befinden sich in einen heruntergekommenen Zustand, der zunächst einmal von der Stadt behoben werden muss“, sagt auch Hosemann. „Dann wird sie vielen nicht mehr als Bausünde gelten und noch mehr genutzt werden.“ Die neue  Initiative möchte den Bau erklären und vermitteln. „Dadurch werden viele Menschen die Brücke mit anderen Augen sehen“, glaubt Hosemann. Sie hätten kein Problem mit der Brücke, sondern damit, wofür die Brücke steht: nämlich für die autogerechte Stadt. Am kommenden Freitag, dem 19. Juli, ist ab 20 Uhr ein öffentliches Cremant-Trinken im Sonnenuntergang auf der Brücke geplant – ein Vortrag zur Geschichte der Brücke und ihrer Umgebung inklusive.

Zu ihrem Namen kam die Brücke übrigens durch einen Wettbewerb, den das Abendblatt 1981 veranstaltet hatte.  Eine Jury entschied sich für Cremonbrücke, Die Eröffnung am 29. Oktober wurde zu einem Volksfest: Bausenator Volker Lange durchschnitt im strömenden Regen mit einer vergoldeten Schere das Band. Das Heeresmusikkorps 6 spielt auf, die Holsten-Brauerei spendierte Freibier und verteilte 2000 Sonderbierdeckel.