Hamburg. Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) kündigt in Brief an die Bürgerschaft „Atempause“ bei Betriebsprüfungen an.

Eigentlich wollen Senat und Bürgerschaft die steuerlichen Betriebsprüfungen verstärken, schließlich handelt es sich nicht nur um eine Frage der Steuergerechtigkeit, sondern auch um ein einträgliches „Geschäft“ für die Staatskasse: Allein im Jahr 2017 betrug das „Mehrergebnis“, also die zusätzlichen Steuereinnahmen, durch Betriebsprüfungen 495 Millionen Euro.

Doch jetzt hat Finanzsenator An­dreas Dressel (SPD) aufgrund der angespannten Personallage in der Steuerverwaltung vorübergehend einen Gang heruntergeschaltet. Die Steuerprüfer sollen sich vorrangig auf ihre „Kernaufgabe“ – die Bearbeitung der Steuererklärungen – konzentrieren. „Ich habe der Bitte der Steuerverwaltung entsprochen, in dieser Phase äußerster Anspannung der Kräfte bei der parallel zu bewältigenden Stärkung der Betriebsprüfung gewissermaßen eine Atempause einzulegen“, schreibt Dressel in einem Brief an Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD), der dem Abendblatt vorliegt.

Zahl der Betriebsprüfungen soll bis 2020 auf 6600 pro Jahr steigen

Im Haushaltsplan ist festgelegt, dass die Zahl jährlicher Betriebsprüfungen von 6400 im Jahr 2018 auf 6600 im Jahr 2022 ansteigen soll. Dazu wird es nun nicht mehr kommen.

Dressel kündigt allerdings in seinem Schreiben eine vorübergehende Verschiebung der Prioritäten an. Er sei der Überzeugung, so der Senator, dass „das in der Betriebsprüfung vorhandene Personal wirtschaftlich und risikoorientiert eingesetzt werden“ könne. „Vorrangig sind deshalb größere Unternehmen mit hohem Mehrergebnispotenzial zu prüfen, statt zu versuchen, bestimmte Fallzahlen zu erreichen, was nur durch kurze Prüfung kleiner Betriebe ... gelingen kann“, schreibt Dressel.

Zwei Tendenzen haben zu den Personalproblemen geführt. Erstens ist die Zahl der Hamburger Steuer- und Finanzbeamten von 3800 im Jahr 2001 auf unter 3400 im Jahr 2017 gesunken, während gleichzeitig die Zahl der „Steuerfälle“, also der Steuererklärungen, kräftig anstieg: von 656.000 vor elf Jahren auf 710.000 im Jahr 2017. Ursachen sind der Bevölkerungszuwachs und die Ansiedlung zusätzlicher Betriebe.

Zahl der Vollzeitkräfte wurde bereits erhöht

Die zweite Tendenz betrifft die Betriebsprüfer unmittelbar. „Der Steuerverwaltung ist es dank der kontinuierlich hohen Ausbildungsquote in den letzten Jahren gelungen, den strukturell bestehenden Personalfehlbestand im Betriebsprüfungsaußendienst kontinuierlich zu verringern“, schreibt Dressel zwar. Die Zahl der Vollzeitkräfte sei von 589 Stellen im Dezember 2006 auf 633 Stellen im Dezember 2018 erhöht worden.

„Insgesamt belasten jedoch weiterhin demografisch bedingte, derzeit signifikant frühere als den Erfahrungswerten entsprechende Altersabgänge sowie in den letzten Jahren deutlich vermehrt auftretende Entlassungen auf Antrag in erhöhtem Maße den gesamten Personalbestand“, heißt es in dem Brief weiter.

Staatliche Ausbildung ist vorgeschrieben

Hinter den „Entlassungen“ (aus dem Beamtenverhältnis, die Red.) stehen Wechsel in die Privatwirtschaft, also zum Beispiel in Steuerberaterbüros, oder auch auf andere Dienststellen. Das Pro­blem: Die Finanzbehörde kann Ersatz nicht auf dem regulären Arbeitsmarkt finden, weil aufgrund des Steuerbeamtenausbildungsgesetzes des Bundes eine staatliche Ausbildung vorgeschrieben ist. Gegensteuern ist nur durch eine Erhöhung der Ausbildungskapazitäten möglich, die erst mittelfristig wirken kann.

„Ich habe bereits veranlasst, dass die Steuerverwaltung die Ausbildung von Finanz- und Steueranwärtern von 2019 bis 2023 verstärken kann“, teilt Dressel der Bürgerschaft mit. Insgesamt sollen pro Jahr 250 Nachwuchskräfte die Norddeutsche Akademie für Finanzen und Steuerrecht verlassen. Derzeit sind es 225 junge Frauen und Männer, 2015 waren es lediglich 180 Nachwuchskräfte. Dressel rechnet mit einer Stabilisierung der Personallage von 2023/24 an.

CDU spricht von einem Alarmsignal

„Mir war wichtig, dass es bei der für alle Steuerpflichtigen relevanten Veranlagung keine Abstriche bei Service und Verfahrensdauer gibt. Angesichts der bereits erreichten Fortschritte bei der Stärkung der Betriebsprüfung ist es aus Sicht unserer Steuerverwaltung und mir gut vertretbar, zunächst auf diesem Level zielorientiert und effizient weiterzuarbeiten“, erläuterte Dressel dem Abendblatt. In absehbarer Zeit werde der Ausbau der Betriebsprüfung mit neuen Kräften fortgesetzt.

„Offenbar gibt es massive personelle Engpässe in der Steuerverwaltung. Die Ankündigung des Finanzsenators, deutlich weniger Betriebsprüfungen vorzunehmen, ist ein klares Alarmsignal“, sagt Thilo Kleibauer, haushaltspolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Dies stehe im Widerspruch zu den bisherigen Aussagen der rot-grünen Koalition. Kleibauer fordert Dressel auf, „alle Fakten auf den Tisch zu legen, statt massive Probleme schönzureden“.