Hamburg. Der Moderator trifft heute (NDR, 22.45 Uhr) den Altkanzler und seinen einstigen Herausforderer – eine unterhaltsame Zeitreise.
Im Stau sind alle gleich: Das gilt sogar für Ministerpräsidenten und Bundeskanzler, wenn sie aus dem Amt geschieden sind. In Ottensen geht mal wieder nichts, weil der Busersatzverkehr sich auch noch durch die schmalen Gassen zwängen muss. In einem der Hinterhöfe wartet TV-Moderator Reinhold Beckmann hier auf Gerhard Schröder, Bundeskanzler a. D., und Edmund Stoiber, bayerischer Ministerpräsident a. D. Beide kennen sich seit Jahrzehnten, waren erbitterte Rivalen beim Kampf ums Kanzleramt 2002, heute sind sie Freunde. Und zu Gast beim faszinierenden Talkformat „Reinhold Beckmann trifft ...“ Es ist eine Talkshow der leiseren Töne, nicht der Krawallschachteln, ein Gedankenaustausch, keine Fensterrede, ein herrlich anachronistischer Bremsklotz im Hochgeschwindigkeits-Fernsehen der schnellen Schnitte.
Schon das Studio, versteckt in einem Gewerbehof in Ottensen, ist der Gegenentwurf zu den Hightech-Produktionsstudios. Die Nachbarn sind Handwerker, Architekten, Musiker, Künstler und ein Gitarrenbauer. Wer zur Maske will, muss durch eine grüne Hinterhofherrlichkeit laufen. Die Räume der alten Fischräucherei, in der sonst Möbel und Lampen präsentiert werden, hat nicht nur etwas Unfertiges, sondern auch etwas sympathisch Improvisiertes: Die Kulisse gefällt mit einem Bücherregal, einer Fotowand, einer Begrünung. Unter einem neunarmigen Licht-Mobile aus Neonröhren stehen die entscheidenden Möbel: ein schwarzer Tisch, drei schwarze Plastikstühle mit Polsterung, im Hintergrund ein Klavier und für die Gemütlichkeit ist Kaminholz aufgeschichtet. Die Welt hinter den Kameras sieht deutlich unromantischer und unspektakulärer aus – die Wände sind kahl und weiß.
Eine Fotowand wirkt wie die perfekte Lockerung
Edmund Stoiber und Gerhard Schröder kennen die Welt der Studios – doch die Fotowand wirkt auf die beiden wie eine perfekte Lockerungsübung. Gerhard Schröder hat seine Gattin Soyeon Kim-Schröder mitgebracht. Auch sie ist fasziniert von den alten Aufnahmen, Fundstücken aus privaten Alben und öffentlichen Fotos, die deutsche Geschichte zeigen. Der Kanzler in Gummistiefeln beim Elbe-Hochwasser, als Juso an der Seite von Willy Brandt, der bayerische Ministerpräsident mit Franz Josef Strauß im Zwiegespräch und als Amtsträger in Tracht. Soyeon Kim-Schröder zeigt auf das Foto von Schröders Fußballteam und fragt: „Wie alt warst du da?“ Gerhard „Acker“ Schröder kann nur raten. 18 Jahre? 20 Jahre? „Solche Bilder hat er gar nicht“, sagt seine Gattin. Der Produktionsleiter verspricht, das zu ändern.
Beckmann geleitet seine Gäste zum Tisch, die drei lassen entspannt die Kommandos über sich ergehen. Ein letztes Foto. „So, stehen bleiben, nicht bewegen.“ Das Trio nimmt Platz, bekommt ein „Viva con Agua“ serviert, plaudert leise miteinander, erzählt sich Döntjes. Die Kameras starten, „1 läuft“. Und schon ist die Aufnahme unterbrochen: Ein Scheinwerfer ist ausgefallen, Leiter raus, Leuchtmittel wechseln, die Lampe neu ausrichten. Ein neuer Versuch: „Nicht sprechen, nur Herrn Beckmann angucken.“ Der Moderator flachst: „Das wollte ich immer so haben.“ Und ist wenige Sekunden später auf Sendung – und wie.
Aus Gegnern sind längst gute Bekannte geworden
„Ja, große Freude“, lautet seine Begrüßung der beiden Männer, die Geschichte geschrieben haben. Und diese Freude spürt man dem 63 Jahre alten Moderator an. Gerade mit Schröder verbindet Beckmann eine lange Zeit als Journalist: Er stellte ihm im November 2004 die Frage, ob der russische Präsident Wladimir Putin ein lupenreiner Demokrat sei? Schröders Ja ging damals um die Welt und ist bis heute unvergessen, die rasch folgende Relativierung des Kanzlers hat sich längst versendet.
Seine beiden Gäste, 75 und 77 Jahre alt, gehören, das wird schnell klar, noch nicht zum alten Eisen. Sie wirken genau so, wie man sie vermeintlich eben noch in der „Tagesschau“, bei der Pressekonferenz oder dem Parteitagsauftritt gesehen hat. Schröders Falten mögen etwas furchiger, seine Stimme mag noch ein Timbre tiefer geworden sein, seine Sätze aber sind so klar, kurz und norddeutsch wie ehedem. „Wir waren Gegner, nicht Feinde“, beschreibt er gleich sein Verhältnis zu Stoiber. Dessen Sätze sind noch immer etwas bayerisch-barock ausladend, sie ufern mitunter aus und verlieren die Richtung. Aber manches kommt auch noch bierzeltkrachledernd an: „Schröder war als junger Mann ein echter Sozialist.“
Tempi passati. Aus Gegnern, die sich 1979 kennenlernten, sind längst gute Bekannte geworden. „Wir haben uns schätzen gelernt, als wir aus der ersten Reihe raus sind“, sagt Schröder. Beide duzen sich. Auch Stoiber spricht von einer Wertschätzung. Er ging auf seinen einstigen Widersacher zu, als Schröder 2007 beim 100. Geburtstag der SPD in Wolfratshausen sprach, und lud ihn zu sich nach Hause ein. Der Besuch überzeugte den Sozialdemokraten: „Seine Frau ist eine blendende Gastgeberin. Es gab eine zünftige Brotzeit und sogar Weißbier“, erzählt Schröder und lacht: „Und nicht nur eins.“
Schröders Angebot, nach Brüssel zu wechseln, hat Stoiber bewegt
Der Moderator lenkt nach der persönlichen Ouvertüre das Gespräch bald in politischere Fahrwasser. Schröder setzt gleich eine Duftnote in der aktuellen Debatte der SPD: „Meine Idee war immer: Wir konkurrieren bei der Wirtschaftskompetenz mit der CDU/CSU. Wir sind nicht daran interessiert, grüner zu sein als die Grünen.“ Ein kleiner Gruß aus Ottensen an die darbende SPD, deren Parteichef Schröder von 1999 bis 2004 war.
Beckmann hakt nach, warum Edmund Stoiber Anfang 2004 nicht als EU-Kommissionspräsident nach Brüssel gewechselt ist. Und der Ministerpräsident, der von 1993 bis 2007 Bayern regierte, gestand seine Ambitionen aufs Kanzleramt. 2002 war er Gerhard Schröder denkbar knapp – ihm fehlten lediglich 6028 Stimmen – unterlegen, gewann bei der Landtagswahl in Bayern im darauffolgenden Jahr aber 60,7 Prozent der Stimmen. Schröders Angebot, nach Brüssel zu wechseln, hat Stoiber bewegt. „Das hat mich überrascht und war eine schwierige Entscheidung für mich.“ Am Ende aber wollte er keinen „Pakt mit Schröder“ und hoffte auf eine weitere Chance als Herausforderer. Das Kanzleramt „war noch nicht abgehakt.“
Stoiber zappelt etwas, spielt immer wieder mit den Beinen
Der Moderator nimmt Gäste und Zuschauer mit auf eine unterhaltsame, aber nie oberflächliche Reise durch die Zeitgeschichte. Schröders Nein zum Irak-Krieg auf dem Goslaer Marktplatz 2003 („Goslar war natürlich bewusst gemacht“).
Sein Auftritt beim Elbe-Hochwasser („Bilder signalisieren Handlungsfähigkeit“). Stoibers Überraschungserfolg im ersten Kanzlerduell 2002 im Fernsehen („Schröder hat mich unterschätzt“) und die bittere Wahlnacht, in der alle Prognosen die Union zunächst als Gewinner sahen, und am späteren Abend während der Debatte der Spitzenkandidaten dann das Ergebnis kippte („In der Sendung bekam Gerhard Schröder Informationen: Plötzlich wurde sein Rücken straffer “). Der Blick zurück holt das Geschehene in die Gegenwart.
Auch was man im Fernsehen nicht sieht, ist aufschlussreich: Der Altkanzler sitzt zufrieden und breitbeinig auf seinem Stuhl, fast wie ein Cowboy. Stoiber hingegen zappelt etwas, spielt immer wieder mit den Beinen – und in der Mitte wacht Reinhold Beckmann, hochkonzentriert und immer auf dem Sprung. Wenn er zur nächsten Frage ansetzt, stellt er seine Füße auf die Zehenspitzen, wenn er den Redefluss der Altpolitiker unterbrechen will, beugt er sich freundlich vor oder hebt die Hand. Mitunter muss er so manche Wortgirlande wegzupfen.
Schröder lebt zwei, drei Monate in Seoul lebt und lernt Koreanisch
Als die Debatte zu politisch wird, wendet Beckmann einen Kniff an – und holt die Kanzlergattin an den Tisch. Soyeon Kim-Schröder überrascht mit der Aussage, dass sie Edmund Stoiber schon bei dessen Korea-Besuch 2003 als Übersetzerin und damit vor Gerhard Schröder kennengelernt hat, sie zitiert Hermann Hesse und verrät, dass sie ihren Mann zum Golfspielen überredet hat. Es wird persönlich, es menschelt. Schröder erzählt, dass er zwei, drei Monate in Seoul lebt und Koreanisch lernt. Stoiber erzählt, dass sich zu Weihnachten das achte Enkelkind angekündigt hat. und macht eine leise Liebeserklärung an seine Karin, mit der er seit 51 Jahren verheiratet ist: „Sie ist das Glück meines Lebens. Ohne meine Frau wäre ich ein armer Hund.“
Solche Bekenntnisse wecken neue Lust auf die politische Debatte, die Beckmann am Ende noch einmal beginnt. Wie kräftezehrend ein solches Amt sei, will Beckmann von Schröder und Stoiber wissen. „Das Amt des Ministerpräsidenten ist im Vergleich zum Kanzleramt anstrengend, aber überschaubar“, antwortet der Niedersachse – was der Bayer so natürlich nicht gelten lassen will. „Der Adrenalinspiegel war immer hoch“, sagt Stoiber. Ohne gute Konstitution sei ein solches Amt nicht auszuhalten. Schröder sagt: „Es ist ein Amt, das einsam macht.“
Schröder wehrt sich gegen Kritik an Nord Stream-Aufsichtsratsposten
Beide ehemaligen Spitzenpolitiker eint die Sorge um das Schicksal ihrer Parteien. Seit ihren Zeiten hat sich die Sozialdemokratie in Umfragen mehr als halbiert, die Union ein Viertel am Zustimmung eingebüßt. „Die beiden Volksparteien sind Garanten der politischen und wirtschaftlichen Stabilität in Deutschland“, mahnt Schröder.
Die Sendung neigt sich dem Ende entgegen, da legt Beckmann noch einmal den Finger in die Wunde und spricht Schröders umstrittenen Posten als Aufsichtsrat bei Nord Stream an. Der 75-Jährige betont zwar, er könne die Kritik verstehen – seine Antworten sagen dann aber etwas anderes. „Dass ich nicht Mietrechtsprozesse am Landgericht in Hannover führe, ist ja wohl jedem klar“, betont er. „Es ist mein Leben. Die Zeiten, in denen ich auf öffentliche Kritik zu reagieren hatte, sind langsam vorbei.“ Stoiber springt dem Freund nicht zur Seite: „Ein deutscher Bundeskanzler, so kurz nach seiner Amtszeit im Aufsichtsrat der Nordstream, das hätte ich aus politischen Gründen so nicht gemacht.“
Worauf ein jeder stolz sei, will Beckmann zum Schluss wissen. Stoiber wiederholt seinen legendären Slogan von „Laptop und Lederhose“ und den Innovationsschub für Bayern. Zum Ausstieg gibt der Altkanzler seinen Genossen noch eine Denksportaufgabe als Betthupferl mit. „Auf das Nein zum Irak-Krieg und die Agenda 2010“, antwortet Schröder.
Kaum sind die Kameras aus und die Lichter gedimmt, drückt der Niedersachse aufs Tempo. Der Zug wartet. Der Stau von Ottensen leider auch.
Die neuen Folgen
„Reinhold Beckmann trifft“wird montagabends um 22.45 Uhr im NDR-Fernsehen ausgestrahlt und will, wie der Moderator sagt, „dem Persönlichen eine kleine Tür öffnen“: Am 15. Juli treffen sich der Ex-SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar zu einem Gespräch über die „Zukunft und wohin sich die Gesellschaft entwickelt“. Danach greift sechs Wochen vor der nächsten Landtagswahl in Sachsen die politikerfreie Zeit. Am 22. Juli erzählen die Kinder berühmter Eltern: Jenny Jürgens und Wayne Carpendale. Und die vorerst letzte Talkshow am 29. Juli bringt ein Familientreffen der Fußballkommentatoren: Jörg Wontorra und Tochter Laura sind zu Gast bei Reinhold Beckmann.