Hamburg. In der letzten Gerichtskolumne von Bettina Mittelacher geht es um einen besonders dreisten Betrüger, der nun ins Gefängnis muss.
Plötzlich wehte ein Hauch von Ballermann in die Klinik. Er kam in Gestalt eines T-Shirts, auf dem in großen Lettern die Aufschrift „Bierkönig“ prangte. Und auch der Mann, der es trug, sah eher nach Schinkengasse als nach Alsterufer aus. Anton S. (Name geändert) kann für sich beanspruchen, in dem Krankenhaus als einer von Tausenden Patienten einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben. An sein farbenfrohes Outfit mit Statement erinnern sich viele. Und an seinen Abgang, den er eigentlich unauffällig hatte vollziehen wollen – und mit dem er damit für umso mehr Aufmerksamkeit sorgte.
Anton S. hat sich heimlich aus der Klinik verdrückt, und er hat seine Rechnung nicht bezahlt. Weil seine Krankenkasse für die Leistungen eintreten sollte, findet der 54-Jährige. Weil er betrogen hat, so sieht es die Staatsanwaltschaft. In dem Fall könnte der gebürtige Holländer wohl Anspruch auf den Titel „König der Betrüger“ erheben, denn sein Vorstrafenregister erscheint rekordverdächtig. Allein in seinem Heimatland wurde er 94-mal verurteilt, davon 81-mal wegen Betruges. Und in Deutschland hat er es auf 16 Verurteilungen wegen ebendieses Deliktes gebracht. Und nun soll er also im Februar das Israelitische Krankenhaus um rund 2270 Euro für eine medizinische Privatpatienten-Versorgung inklusive Chefarzt-Behandlung geprellt haben. Noch an demselben Tag, als er sich ohne zu bezahlen aus der Klinik aus dem Staub machte, kehrte er laut Anklage in einer Gaststätte ein und ließ sich Essen und Wein für 73 Euro schmecken, wohl wissend, dass er nicht einmal mehr einen Euro auf der Naht hatte. Weitere Restaurantbesuche, bei denen er die Zeche prellte, schlugen mit 71 beziehungsweise 30 Euro zu Buche.
Seine Betrügereien gibt der Angeklagte unumwunden zu
Anton S. ist ein Mann mit offenem, freundlichem Gesicht und hellwach blitzenden Augen. Die drei Betrügereien in den Lokalen räumt der Angeklagte, der zurzeit wohnungslos ist, im Prozess vor dem Amtsgericht unumwunden ein. „Aber daran, dass ich in der Klinik Privat- und Chefarztbehandlungen verlangt haben soll, kann ich mich nicht erinnern“, sagt der Angeklagte. „Ich sollte damals im Krankenhaus was unterschreiben, habe das aber nicht so genau mitbekommen.“ Krankenversichert sei er natürlich, insistiert der Angeklagte, bei einer holländischen Versicherung.
Doch als der Kaufmännische Direktor der Klinik seinerzeit bei jener Versicherung nachfragte, bekam er eine abschlägige Antwort: Anton S. war dort nicht mehr registriert. Der Kaufmännische Direktor war vom Klinikpersonal über Anton S. informiert worden, weil dieser keine Krankenversicherungskarte vorzeigen konnte – und trotzdem auf einem teuereren Ein-Bett-Zimmer und Chefarztbehandlung bestanden habe. „Er sagte, die Versicherungskarte sei ihm zusammen mit seinen Ausweispapieren in Kiel gestohlen worden“, erzählt der Zeuge. Zudem habe ihm Anton S. zugesagt, dass ein Freund die 3000 Euro Vorkasse, die die Klinik wegen des ungeklärten Versicherungsschutzes verlangt habe, zügig vorbeibringen werde. Anton S. wurde an einem Donnerstag im Februar erst auf der Intensivstation behandelt, am Folgetag auf die Normalstation verlegt. Am Sonntag machte er sich davon.
Der Amtsrichter verhängt Strafe von 14 Monaten
Ein Mitarbeiter am Empfang der Klinik schildert, dass Anton S. „in schlechtem Zustand“ gewesen sei, als er dort ankam. „Er fasste sich an die Brust und sagte, dass er Herzbeschwerden habe.“ Auch habe der Patient über Luftnot geklagt. Dem Empfangsmitarbeiter erzählte Anton S. demnach von der gestohlenen Versicherungskarte – und insistierte auf Einzelzimmer und Chefarztbehandlung. Bei einer Krankenschwester unterschrieb er einen entsprechenden Vertrag. Beide Zeugen erinnern sich, ebenso wie eine behandelnde Ärztin, an das „Bierkönig“-T-Shirt, das der 54-Jährige damals trug, und dass sie den Eindruck hatten, er habe womöglich nicht zu knapp Alkohol konsumiert. Insgesamt habe der Mann eher nicht zu dem Bild gepasst, dass man von dem typischen Privatpatienten habe. „Dieses T-Shirt und eine etwas verlotterte Jeans, das war schon ungewöhnlich“, erzählt die Ärztin.
Der Amtsrichter verhängt schließlich eine Freiheitsstrafe von 14 Monaten, ohne Bewährung. „Ich hatte noch nie einen Angeklagten, der so häufig betrogen hat wie Sie“, sagt der erfahrene Richter. „Das ist irgendwie Teil Ihrer Persönlichkeit.“ Anton S. habe sich „großspurig“ Einzelzimmer und Chefarzt-Behandlung gegönnt. „Und dann verschwinden Sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion und lassen es sich in einer Kneipe gut gehen. So eine Dreistigkeit erlebt man selten.“ Ob Anton S. diese mahnenden Worte erreicht haben, bleibt ungewiss. Der 54-Jährige wirkt unbekümmert. Als er zurück in die Untersuchungshaft geführt wird, winkt er – als nehme er von einem Publikum Abschied, das nur er wahrnimmt.
Liebe Leser! Dies ist – nach fast zehn Jahren – meine letzte Gerichtskolumne. Ich danke Ihnen für Ihre Treue.
Herzlichst Bettina Mittelacher