Hamburg. 30.000 Radfahrer nahmen an Sternfahrt zum Rathaus teil. Großes Thema war nach dem Tod eines Familienvaters die Verkehrssicherheit.
Um 13.15 Uhr herrscht am Winterhuder Marktplatz noch Sonntagsruhe. Die umliegenden Cafés sind angesichts des sommerlichen Wetters gut gefüllt, doch rundherum deutet nichts darauf hin, dass hier gleich eine der größten politischen Demonstrationen des Jahres vorbeiziehen wird. Mitten auf dem Platz steht eine einsame Vertreterin der Naturfreunde Hamburg und wartet, dass sie ihre orangefarbenen Fähnchen loswird, die mit Kabelbindern am Rad befestigt werden sollen. „Rad fahren – Klima schützen“ steht darauf.
Doch dann trudeln sie langsam ein. Erst vereinzelt, dann in kleinen Grüppchen, ab 13.30 dann zu Hunderten. Allein drei Stränge der großen Fahrradsternfahrt der Initiative „Mobil ohne Auto“, die am Vormittag im Norden Hamburgs und in Schleswig-Holstein gestartet sind, treffen sich in Winterhude. Dort vereinigen sie sich und ziehen als kilometerlanger, klingelnder Wurm aus Zweirädern in Richtung Rathausmarkt. Auch führende Vertreter der Hamburger Grünen wie die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank, Justizsenator Till Steffen und der stellvertretende Landesvorsitzende Martin Bill gesellen sich in Winterhude dazu – Ehrensache für Politiker, die Hamburg zur „Fahrradstadt“ machen wollen.
"Große Teilnehmerzahl gibt uns Rückenwind"
„Radfahren macht Spaß“, sagt Bill zu seiner Motivation. Aber als verkehrspolitischer Sprecher seiner Fraktion in der Bürgerschaft betrachtet er die 25. Auflage der Sternfahrt natürlich auch als das, was sie offiziell ist: eine politische Demonstration. „Die große Teilnehmerzahl gibt uns Rückenwind für unsere Politik“, sagt Bill. „Es macht Mut und motiviert, sich für den Radverkehr einzusetzen, wenn man sieht, dass so viele Leute wollen, dass man in Hamburg gut Rad fahren kann.“ Nach Angaben der Veranstalter haben sich insgesamt 30.000 Menschen an 28 Startpunkten in und um Hamburg auf den Weg gemacht – wobei allein 15.000 Radler die Routen von Süden aus gewählt haben, die alle am Ende gebündelt über die Köhlbrandbrücke geführt werden.
Sieben Kilometer lang sei dort die Schlange aus Radlern gewesen, berichtet Uwe Jancke von „Mobil ohne Auto“. Dass der beeindruckende Blick von der 55 Meter hohen Brücke auch ein Grund ist, an der Sternfahrt teilzunehmen, räumen zwar einige Teilnehmer ein.
Verkehrs- und umweltpolitische Gründe
Doch für die meisten stehen eher verkehrs- und umweltpolitische Gründe im Vordergrund. „Die Einschätzungen, wie weit Hamburg als Fahrradstadt ist, sind doch sehr unterschiedlich“, sagt Anja Blös, Pastorin aus Wilhelmsburg und Moderatorin der Abschlusskundgebung. „ Es sind immer mehr Radfahrer, und das ist gut.“ Gleichzeitig seien aber auch Projekte wie die A26-Ost geplant: „Die wird im Volksmund schon Pendlerautobahn genannt, weil sie die Menschen mit dem Auto schneller in die Stadt bringt. Das passt nicht zur Verkehrswende, wofür wir hier stehen, wenn wir Rad fahren.“
Hans Buchenauer von der Jugendabteilung des Fahrradclubs ADFC verweist auf den jährlichen „Fahrradklima-Test“, der Hamburg vor allem in puncto Sicherheit schlechte Zeugnisse ausstelle: „Das hat vor allem mit den größtenteils alten, schlechten und zu schmalen Radwegen zu tun“ , so der 19-Jährige. „Das muss sich ändern. Radfahren muss attraktiver werden.“ Er fordert von der Politik mehr Gleichberechtigung: „Das Auto darf nicht mehr oberste Priorität haben.“
"Zeichen setzen, für ein besseres Hamburg, für mehr Radverkehr“
Kelvin Gantert von der Schüler-Bewegung „Fridays For Future“ rückt das Thema Radfahren in einen noch größeren Zusammenhang und erinnert an die Wetterextreme im Jahr 2018: „Auf einmal war der Klimawandel da, wir haben ihn gespürt. Aber die Politik tut nichts.“ Auch seine Generation wünsche sich eine lebenswerte Zukunft, so der 16-Jährige. „Aber wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir die nicht erleben.“ Johanna Weichelt und Rita Becker aus Ottensen gehören zwar eher der Eltern-Generation der beiden Jugendlichen an, vertreten aber ähnliche Standpunkt: „Wir wollen mit ganz vielen anderen zusammen ein Zeichen setzen, für ein besseres Hamburg, für mehr Radverkehr“, sagt Johanna Weichelt.
Rita Becker erzählt, dass sie gar kein Auto habe und eigentlich alles fürs Radfahren spreche, außer: „Es gibt zu wenig gute Radwege.“ Ihr sei zum Beispiel der Abstand zwischen Radweg und Autos oft zu gering und zu gefährlich. Nachdem am Freitag an der Alster erneut ein Radfahrer nach einem Unfall mit einem Lkw ums Leben gekommen war, ist die Sicherheit unter den Radlern ohnehin wieder ein großes Thema. „Es passieren nach wie vor zu viele Unfälle und zu viele schwere Unfälle“, sagt Thomas Adrian vom Landesbetrieb Verkehr, an dessen Kampagne „Hamburg gibt Acht“ sich die Bürger noch bis heute beteiligen können. Ihre bisherigen Anregungen hätten einen Schwerpunkt: „Der Renner sind die Themen Rücksicht, Vorsicht und das Miteinander im Straßenverkehr.“
Abbiege-Assistenten für Lkw entscheidend
„Ein entscheidender Punkt sind die Abbiege-Assistenten für Lkw“, sagte Justizsenator Till Steffen (Grüne). „Damit kann man zwar nicht alles verhindern, aber zumindest eine wichtige Unfallursache eindämmen.“ In Hamburg läuft die Nachrüstung von städtischen Fahrzeugen mit dem Warnsystem bereits. Eine unter anderem von Hamburg angestoßene Gesetzesänderung auf Bundesebene ist zwar geplant, stockt aber noch.
Mahnwache an der Alster nach tödlichem Fahrradunfall
Am Freitagmittag hatte ein stadtauswärts fahrender Laster den 52 Jahre Familienvater erfasst, als dieser mit seinem Rad bei Grünlicht einen Fußgängerüberweg an der Alster, nahe des Hotels Bellevue, überqueren wollte. Er erlag kurz darauf im Krankenhaus seinen Verletzungen. Der Lkw-Fahrer (31) kam in U-Haft.
Am Sonnabendvormittag gedachten 80 Menschen während einer Mahnwache am Unfallort des tödlich verunglückten Mannes. Sie stellten Blumen, Kerzen und ein weißes „Ghostbike“ ab, das als Mahnmal dient. Danach legten sich mit ihren Fahrrädern auf die Straße und stellten sich tot.
In diesem Jahr sind bisher zwei Radfahrer in Hamburg ums Leben gekommen, beide nach Lkw-Kollisionen.
„Während bei den registrierten Verkehrsunfällen ein Rückgang zu verzeichnen ist, stieg die Zahl der Verkehrsunfälle mit Radfahrern an“, sagte Polizeisprecher Daniel Ritterskamp. 2018 verzeichnete die Polizei gegenüber 2017 einen Anstieg um acht Prozent auf 3393 Unfälle. Allein 702 davon gingen auf Fehler beim Abbiegen zurück. Allerdings sind auch deutlich mehr Radler in Hamburg unterwegs. So wurden im Vorjahr bei den Fahrradpegel-Messungen 23 Prozent mehr Radler erfasst als 2017.
Weitere schwere Unfälle
Nach dem tödlichen Unglück an der Alster kam es zu zwei weiteren schweren Fahrrad-Unfällen. Am Freitag erfasste eine VW-Golf-Fahrerin (79) in Alsterdorf beim Abbiegen einen 56 Jahre alten Radfahrer, der bei Grünlicht unterwegs war. Am Sonntag kollidierte ein 19-jähriger Radler in Bergstedt mit einem Auto, als er, offenbar ohne auf den Verkehr zu achten, eine Straße überquerte. Beide Männer wurden schwer verletzt.
Auf der Kundgebung nach der Sternfahrt sagte Thomas Adrian vom Landesbetrieb Verkehr (LBV): „Es würde schon helfen, wenn alle Verkehrsteilnehmer mehr Rücksicht nehmen würden.“ Im Rahmen der von vielen Prominenten unterstützten LBV-Kampagne „Hamburg gibt Acht“ sei diese Forderung bei den Bürgern „der Renner“.