Hamburg. Mit einem “Akt der Zerstörung“ wollen zwei Hamburger Künstlerinnen die verdrängte Vergangenheit der Stadthöfe hervorholen.
Schon der Auftakt ist spektakulär: Irgendwann im Laufe dieses Jahres werden zwei Frauen anfangen, das edle und vor Kurzem erst verlegte Pflaster vor den Gründerzeitfassaden der Stadthöfe an der Stadthausbrücke mit Vorschlaghämmern zu zertrümmern.
Vor dem historischen Stadthaus, in dem von 1933 bis zur Ausbombung 1943 das Gestapo-Hauptquartier untergebracht war und Tausende Nazi-Gegner gefoltert und etliche ermordet wurden, entsteht ein gewollt irritierendes Kunstprojekt, das an die über Jahrzehnte verdrängte Geschichte des Hauses erinnert.
Die Vergangenheit mit einem „Akt der Zerstörung" wieder hervorholen
In die buchstäblich freigeschlagenen, unterschiedlich großen Flächen und die sie verbindenden dünneren Adern werden die Künstlerinnen Ute Vorkoeper und Andrea Knobloch eine federnde Tartanfüllung einfügen, wie sie auf Kinderspiel- und Sportplätzen verwendet wird. Die rosa Farbe soll an Haut, Fleisch oder Blut erinnern. „Die Farbe soll eine Ahnung von Schmerz transportieren“, sagt Ute Vorkoeper.
Der „Akt der Zerstörung“ solle symbolisch die verdrängte Vergangenheit wieder hervorholen und die Wiedererinnerung ermöglichen. Vorkoeper und Knobloch nennen ihre Arbeit „plastische Chirurgie“. Das fertige Projekt wirke wie ein Stigma für das Haus.
Kultursenator lobt Siegerentwurf der Hamburger Künstlerinnen
Die beiden Hamburger Künstlerinnen, die seit 2013 unter dem Namen „missing icons“ (fehlende Symbole) zusammenarbeiten, haben sich mit ihrem Entwurf in dem künstlerischen Wettbewerb durchgesetzt, den die Kulturbehörde initiiert hatte. Ziel war es, ein deutliches „Denkzeichen“, einen Stolperstein zu schaffen, der Passanten auf der Straße unmittelbar auf die unrühmliche Geschichte des Hauses lenkt, in dem später viele Jahre auch die Baubehörde untergebracht war.
„Wir wollen eine künstlerische Markierung des Ortes in der Öffentlichkeit erreichen. Es geht darum, noch deutlicher zu machen, welche verdrängte Geschichte der Ort und dieses Haus hat“, sagte Kultursenator Carsten Brosda (SPD) bei der Präsentation des Siegerentwurfs im Stadthaus. „Das haben die beiden Künstlerinnen vortrefflich gelöst. Niemand wird über den Bürgersteig gehen können, ohne stehen zu bleiben“, sagte Brosda.
Jury-Vorsitzender hofft auf den „Mut der Stadt“, den Entwurf umzusetzen
Vorkoeper und Knobloch hatten sich mit ihrem Entwurf gegen zehn Konkurrenten durchgesetzt. „Alle Entwürfe waren qualitativ hochwertig und von großem Ernst getragen, und alle waren zu realisieren“, sagte Prof. Johannes Tuchel, Vorsitzender des Preisgerichts und Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin.
Die Jury unter Tuchels Vorsitz regte an, auch das Pflaster vor den beiden anderen zentralen Eingängen zu den Stadthöfen entsprechend umzugestalten. „Mit diesem Entwurf, der gerade das Zerborstene vor der schönen Fassade deutlich werden lässt, kann sich Hamburg sehr gut sehen lassen. Wenn die Stadt den Mut hat, den Entwurf umzusetzen, dann ist das etwas, das wirklich auf das Stadthaus hinweist. Ich hoffe, dass es nicht noch irgendeinen technischen Bedenkenträger gibt, der etwas dagegen hat“, sagte Tuchel.
Vor dem Wettbewerb gab es Streit um das Gedenken an die Opfer der Nazis
Brosda kündigte an, dass im nächsten Schritt die Realisierung des Entwurfs mit den zuständigen Behörden geprüft wird. Dabei geht es unter anderem darum, dass der Bürgersteig während der Arbeiten teilweise gesperrt werden muss. Offen ist offensichtlich auch noch, ob das Kunstwerk auf der gesamten, rund 100 Meter langen Strecke vom Neuen Wall bis zum Stadthaus entstehen soll, wie es die Künstlerinnen wollen. Nach Angaben Brosdas hat das Bezirksamt Mitte bereits seine grundsätzliche Zustimmung erteilt. Auch das Denkmalschutzamt sieht keine Probleme.
Vor knapp einem Jahr hatte die Bürgerschaft 250.000 Euro für den Wettbewerb und die Realisierung eines „Denkzeichens“ bewilligt. Vorausgegangen war ein ausgesprochen heftiger Streit über Form, Inhalt und Umfang der Erinnerung an das einstige Gestapo-Hauptquartier innerhalb des Gebäudes. Bislang ist eine kleine, derzeit noch provisorische Ausstellung in der Buchhandlung „Lesesaal“, abgesehen von zwei Gedenktafeln, das einzige, was an die Nazi-Gräuel erinnert. Es ist geplant, den sogenannten Seufzergang, über den die Gefangenen einst in die nicht mehr vorhandenen Folterkeller geführt wurden, in die Ausstellung einzubeziehen.
Lob von allen Seiten für die „visuelle Narbe“ im Straßenpflaster
Angesichts des Protests rief die Kulturbehörde einen Beirat mit Mitgliedern der Opfer- und Angehörigenverbände, Geschichtsinitiativen und Historikern ins Leben, der den Prozess kritisch begleitet. „Das ist ein beeindruckender erster Preis. Ich würde mich freuen, wenn der Entwurf realisiert wird“, sagte Beiratsmitglied Hans-Peter Strenge, Ex-Staatsrat und -Bezirksamtsleiter.
„Der Siegerentwurf hat auch uns überzeugt. Die visuelle Narbe ist sogar mit den Füßen spürbar und wird damit jeden Passanten erreichen“, sagte Jens Meyer, kulturpolitischer Sprecher der FDP-Bürgerschaftsfaktion. „Uns begeistert der von der Jury ausgewählte Entwurf sehr. Diese in das öffentliche Bild des Stadthauses geschlagene Wunde setzt genau das nötige kräftige Zeichen“, sagte Norbert Hackbusch, kulturpolitischer Sprecher der Linken-Fraktion.