Hamburg. Messwerte sind alarmierend. Fischer berichten von toten Tieren an der Wasseroberfläche. Diese Arten sind besonders betroffen.
"Wir haben eine fischkritische Situation erreicht." Mit diesen Worten beschreibt Björn Marzahn, Sprecher der Hamburger Umweltbehörde die derzeitige Situation in der Elbe. In den vergangenen zwölf Tagen ist die Sauerstoffkonzentration in dem Fluss dramatisch gesunken und lag an am Freitag, 14. Juni, um 11.30 Uhr bei nur noch 2,6 Milligramm pro Liter (Messstation Seemannshöft).
Als kritische Schwelle gelten vier Milligramm Sauerstoff pro Liter Wasser. Ab einer Konzentration von drei Milligramm pro Liter sprechen Umweltschützer bereits von einer fischkritischen Lage. Von den 79 in der Elbe lebenden Fischarten sei insbesondere der Stint sowie Jungfische besonders anfällig für niedrige Sauerstoffwerte, sagt Manfred Braasch, Geschäftsführer des BUND-Landesverbands Hamburg. So haben nach Angaben der Umweltbehörde die ersten Elbfischer Alarm geschlagen, nachdem vermehrt tote Fische an der Wasseroberfläche trieben.
Biomasse sorgt für den Sauerstoffmangel
Grund für den rapiden Abfall der Sauerstoffkonzentration sind die steigenden Temperaturen und die Tiefe der Elbe. "So fehlt Algen, die sonst Sauerstoff produzieren, in der Tiefe dafür das Licht", erklärt Björn Marzahn. Die Folge: Die Pflanzen sterben ab und werden zersetzt – ein Prozess der dem Wasser besonders viel Sauerstoff entzieht.
Auch andere Biomasse, die nach Starkregen in Gewässer gespült wird, sorge für diesen sauerstoffzerrenden Prozess. Zwar sei im Sommer ein Abfall der Sauerstoffmenge nicht ungewöhnlich, doch andere Messstationen zeigen deutlich höhere Werte. So sind an der Kabelung Süderelbe/Norderelbe im Osten von Hamburg am Freitagvormittag 7,7 Milligramm Sauerstoff pro Liter Wasser gemessen worden. In der Gemeinde Abbenfleth, nördlich von Stade, ergaben Messungen zur selben Zeit eine Konzentration von 7,4 Milligramm pro Liter Wasser (Messstation Grauerort).
Stintbestand in der Elbe nehmen seit Jahren ab
Für BUND-Geschäftsführer Braasch ist die Situation in der Tideelbe zwischen dem Hamburger Hafen und Wedel im Sommer inzwischen "leider normal." So registriert die Umweltorganisation seit 2014 auch einen dramatischen Rückgang der Stintbestände. "Fischer berichten von einem jährlichen Rückgang von 50 Prozent", sagt Manfred Braasch. "Daran sieht man, dass das Ökosystem Tideelbe nicht mehr richtig funktioniert", sagt Braasch. Und das habe dramatische Folgen.
So warnte bereits im März dieses Jahres der Ökologe Veit Hennig von der Universität Hamburg: „Der Stint ist die Schlüsselart der Elbe. Er macht mehr als 90 Prozent der Fische aus." Verschwinde der Stint, leiden größere Fische und Seevögel, die sich von ihm ernähren.
Naturschutzbund fordert ein Stopp der Elbvertiefung
Deswegen fordern der Naturschutzverband die Behörden auf, die Elbvertiefung zu stoppen. "Durch das weitere Ausbaggern, wird sich der Zustand der Tideelbe nochmals verschlechtern", warnt Braasch. Zudem müssten Flachwasserzonen geschaffen werden, in denen Algen Sauerstoff produzieren können. "Doch diese Umgestaltung ist nicht von heute auf Morgen umsetzbar."
Eine Ad-hoc-Maßnahme, um den Sauerstoffgehalt in der Elbe wieder zu erhöhen, gebe es nicht. "Dafür ist die Elbe zu groß", sagt der Sprecher der Umweltbehörde Björn Marzahn. In kleineren Gewässern, wie Teichen, könne mit einer Berieselung dem Wasser wieder Sauerstoff zugeführt werden. Marzahn betont an dieser Stelle, dass derzeit andere Gewässer wie die Alster nicht von einem Sauerstoffmangel betroffen sind.
Umweltbehörde richtet Schadensmanagement ein
Damit sich die Situation in der Elbe nicht weiter verschärft, "hat vereinbarungsgemäß die HPA ihre Sediment-Unterhaltungsarbeiten in der Tideelbe unterbrochen." Zudem habe die Umweltbehörde aus den Erfahrungen des vergangenen Jahres gelernt und Schadenmanagement eingerichtet. Unter der Telefonnummer 428/ 40 23 00 können sich Menschen melden, denen mehrere tote Fische in einem Hamburger Gewässer aufgefallen sind.
"Wir haben eine Vertrag mit einem Unternehmen geschlossen, die die toten Fische aus dem Wasser zieht und entsorgt." Damit werde verhindert, dass die Zersetzung der Fische dem Wasser weiteren Sauerstoff entzieht. "Im vergangenem Jahr haben wir fünf Tonnen toten Fischen aus den Gewässern in der Stadt gezogen", sagt Marzahn.
Kohlefilter reinigen Regenwasser
Bereits seit 2009 investiert die Stadt in die Verbesserung der Hamburger Gewässer, bislang mehr als 50 Millionen Euro. Bis 2027 sind pro Jahr mehr als drei Millionen Euro vorgesehen. "Seit 2011 setzen wir beispielsweise Kohlefilter ein, damit Regenwasser, das über die Kanalisation in Gewässer gelangt, gereinigt wird." Zudem würden Fischtreppen gebaut und Ufer wie an der Bille renaturiert.
Doch für den BUND reiche dies nicht aus. Die Elbvertiefung müsse gestoppt werden. Die derzeitige Situation in der Elbe könne hingegen laut Braasch nur ein Wetterumschwung ändern. Und mit diesem rechnet die Umweltbehörde. Marzahn: "Die Wettervorhersagen für die nächsten Tagen mit etwas Wind und einer Sonnenscheindauer von fünf bis 13 Stunden lässt einen leichten Anstieg des physikalischen und biogenen Sauerstoffeintrags erwarten." Zudem wirke sich ein derzeitiger Oberwasserabfluss von rund 330 Kubikmeter pro Sekunde positiv aus. Marzahn: "Auf der Basis dieser Informationen wird ein akutes Fischsterben in den nächsten Tagen als eher unwahrscheinlich angesehen."