Eugenie Stantchev führt seit 45 Jahren den Bauausrüster Siloco. Eine Frau, die immer ihr Ding gemacht hat. Mit 82 will sie nun loslassen.

Früher ist es manchmal vorgekommen, dass Besucher sie für die Sekretärin gehalten haben. Vor allem am Anfang, als sie neu im Unternehmen war, neu in der Branche. In einer Branche, die von Männern dominiert wurde, und in einer Zeit, in der Frauen nur dann arbeiten durften, wenn sie ihre Pflichten als Ehefrau und Mutter nicht vernachlässigten.

Es ist Anfang der 1970er-Jahre, als Eugenie Sengelmann, spätere Stantchev, ins Unternehmen ihres Vaters einsteigt. Nicht als Sekretärin oder Auszubildende. Sondern als Gesellschafterin und ein paar Jahre später als Geschäftsführerin von Siloco – einem der führenden Ausrüster für Bauvorhaben.

Chefin will sich aus operativem Geschäft zurückziehen

45 Jahre ist das jetzt her, und Eugenie Stantchev ist immer noch bei dem Hamburger Traditionsunternehmen. Auch mit 82 Jahren. Doch in diesem Jahr, wenn Siloco sein 100-jähriges Bestehen feiert, zieht sich die Chefin aus dem operativen Geschäft zurück. Bis Ende des Jahres räumt sie ihren Schreibtisch. Nicht nur symbolisch, sondern tatsächlich. Das Büro wird komplett aufgelöst. Sie braucht diesen radikalen Schritt, um sich zu lösen. Um loslassen zu können. „Siloco ist wie mein drittes Kind“, sagt Eugenie Stantchev.

Es ist einer dieser Sätze, die man oft von Firmenchefs hört. Die so schnell dahingesagt werden. Doch Eugenie Stan­tchev ist niemand, der einfach so daherredet. Sondern meint, was sie sagt. Danach lebt. Siloco ist nicht WIE ihr drittes Kind. Siloco WAR ihr drittes Kind. Sie hat es wachsen sehen, durch schwere Zeiten begleitet und dafür selbst immer zurückgesteckt. Sogar bei ihren eigenen Kindern, die gerade mal zwei und vier Jahre alt waren, als sie die Firma von ihrem Vater übernahm. Es war damals das Zeitalter der Ehe und Familie, in dem Männer arbeiten gingen und Frauen sich um den Haushalt und die Kinder kümmerten. Kindergartenplätze gab es kaum, arbeitende Mütter noch weniger. Frauen in Führungspositionen existieren nahezu gar nicht, Statistiken dazu aus dieser Zeit gibt es nicht.

Stantchev lässt sich von gesellschaftlichen Zwängen nicht beirren

Doch Eugenie Stantchev lässt sich nicht in ein Schema pressen. Damals nicht, als sie sich scheiden lässt, arbeiten geht, ein Kindermädchen engagiert. Und heute erst recht nicht. Sie macht ihr Ding, lässt sich von gesellschaftlichen Zwängen nicht beirren, nicht von ihrem Weg abbringen. Immer wieder ist sie in den vergangenen Jahren gefragt worden, ob sie nicht endlich aufhören will. Doch sie wollte nicht. Wollte sich nicht drängen lassen und nicht aufhören. „Ich selbst habe nie ans Aufhören gedacht“, sagt Eugenie Stantchev. „Wenn ich höre, dass die Leute mit Ende 50 oder Anfang 60 in den Ruhestand gehen, kann ich das nicht verstehen. Ich hatte diesen Wunsch nie.“

Eigentlich heißt sie Jewgenija, so ist sie getauft worden – russisch-orthodox in Riga, wo sie geboren wurde. Und so steht es auch auf ihrer Visitenkarte. Doch als ihre Familie im Zuge der Umsiedlungsaktion von deutschen Volksgruppen während des Zweiten Weltkriegs „Heim ins Reich“ gerufen wurde, wurde ihr Name geändert – eingedeutscht. „Im Passamt fand man, Eugenie sei eine gute Übersetzung für Jewgenija“, sagt Stantchev und schüttelt den Kopf. Sie mag den Namen nicht.

Stantchev zeigt, redet und unterhält

Sie sitzt in ihrem Büro auf ihrem „Thron“, wie sie spaßeshalber einen Stuhl mit Armlehnen nennt. Es ist der einzige mit Lehnen in einer Reihe von Jugendstilstühlen, gruppiert um einen alten Kartentisch. „Die Stühle sehen zwar schön aus, sind aber furchtbar unbequem. Ein Trick, damit Besucher nicht so lange bleiben“, sagt Jewgenija Stan­tchev und lacht. Sie selbst bleibt nie lange sitzen. Immer wieder springt sie auf, um etwas zu holen. Ein Buch aus dem Regal, ein Dokument vom Schreibtisch. Sie zeigt, redet, unterhält. Sie ist keine Frau, die in einem Raum einfach nur anwesend ist. Sondern ihn ausfüllt, einnimmt. Mitreißend, charismatisch.

Sie erzählt von ihrer Ankunft in Trittau, wo die Familie nach der Umsiedlung bei einem Onkel unterkam. Von den Panzern, die nach der Kapitulation durch die Straßen rollten. Und von den Soldaten, die ihr einen Riegel Cadbury-Schokolade schenkten. Die Sorte isst sie bis heute gern. Der Geschmack erinnert sie an früher. An ihr russisches Kindermädchen, die Schulzeit, ihre Jugend. An amerikanische Filme mit Greta Garbo, Bücher von Karl May, das Pony in der Nachbarschaft, auf dem sie reiten gelernt hat. Und es erinnert sie an die Zeit, als Siloco noch ein kleines, mittelständisches Unternehmen war.

1927 übernahmen ihr Vater und ihr Onkel Siloco als Gesellschafter und Geschäftsführer von drei U-Boot-Kapitänen, die Siloco nach dem Ersten Weltkrieg 1919 als Exportunternehmen von Bau- und Industriemaschinen gegründet hatten. „Als meine Familie in das Unternehmen einstieg, war es noch recht klein. Der Wachstum setzte im Zuge des Wirtschaftswunders ein“, sagt Jewgenija Stan­tchev. Heute hat Siloco rund 100 Mitarbeiter und macht jährlich rund 35 Millionen Euro Umsatz.

Als sie mit Jura fertig war, wurde sie Journalistin

Stantchev selbst hat nach dem Abitur Jura studiert. Nicht Wirtschaft, wie es naheliegend gewesen wäre. Sondern Jura, weil sie das spannender und vielschichtiger fand. Sie hat promoviert, ihr Referendariat gemacht – und dann einen ganz anderen Weg eingeschlagen, als man vermuten könnte. Als er vorgezeichnet schien. Jenseits von Kanzleien und Gerichten, jenseits des Familienunternehmens. Sie wurde Journalistin bei der „Welt“. Schon als Kind hatte sie gerne geschrieben, doch nie daran gedacht, daraus einen Beruf zu machen. Bis sie über einen Freund zur „Welt“ kam und freie Mitarbeiterin, dann Volontärin und später Wirtschaftsredakteurin wurde.

Manchmal wundert sie sich selbst noch darüber, welche Wendung ihr Leben genommen hat. Wie sie „Zeit“- und „Stern“-Herausgeber Gerd Bucerius kennenlernte und er sie als Assistentin des damaligen Geschäftsführers einstellte, dessen Nachfolgerin sie werden sollte. „Der Geschäftsführer war damals schon steinalt. Schon 80“, beginnt Jewgenija Stantchev, unterbricht sich dann aber selbst und lacht. Himmel! Jetzt ist sie selbst so alt. Aber sie fühlt sich nicht so. Liegt vielleicht am Yoga, das sie täglich macht. Nicht so ein Schnickschnack mit Singen und Weihrauch. Sondern richtiger Sport sei das.

"Mich hat es gereizt, mein eigener Herr zu sein"

Aber zurück zum Geschäftsführer, den sie ablösen sollte – und der einfach nicht aufhören wollte. Bis sie selbst aufhörte und in die Firma ihres Vaters und ihres Onkels einstieg – bei Siloco. Ihr Vater war damals 76 Jahre alt und wollte sich zurückziehen, Jewgenija suchte eine neue Herausforderung. „Mich hat es gereizt, mein eigener Herr zu sein“, sagt sie, erzählt aber offen, wie schwer die ersten Jahre für sie waren. Für sie, die bei einem Bagger nicht vorne und hinten unterscheiden konnte. Die zusammen mit ihrem Vetter das Unternehmen leiten sollte – sich aber nie mit ihm verstand. Von ihm sogar rausgeschmissen werden sollte. „Wir waren einfach zu unterschiedlich. Er hat immer in kleinen Dimensionen gedacht und ich in großen. Er wollte alles so lassen, wie es war – und ich wollte expandieren“, sagt Stantchev. Sie hat ihn schließlich rausgekauft – oder sich freigekauft, wie sie es auch nennt. Stattdessen hat sie ihrem damaligen Mitgeschäftsführer 30 Prozent der Firma übertragen. „Alleine hätte ich das alles nicht geschafft“, sagt sie.

Mit „alles“ meint sie die Erweiterung des Sortiments um mobile Raumsysteme wie Container für Asylbewerber, Schulen und Wohnanlagen. Die Expansion nach der Wiedervereinigung, den Wiederaufbau im Osten. Die neuen Niederlassungen, die permanente Ausweitung des Sortiments. Irgendwann hat sie ihren Sohn ins Unternehmen geholt, doch die Zusammenarbeit war schwierig. „Mutter und Sohn zusammen, das hat irgendwie nicht geklappt“, sagt Jewgenija Stantchev. Doch jetzt wird ihr Sohn ihr Nachfolger im Beirat der Firma.

Stantchev setzt sich für Inklusion und Rechte der Frauen ein

Stantchev war zweimal verheiratet, ist zweimal geschieden. „Ich weiß nicht, ob ich mich selbst heiraten würde“, sagt sie. Ihre Offenheit ist bestechend, einnehmend, sympathisch. Sie erzählt von der Farm in Australien, die sie mit ihrem zweiten Mann hatte – mit ein paar Tausend Schafen und Rindern. Von den Jagden, die sie mit ihrer Hannoveraner Stute Petra geritten ist („Mein Gott, wie die springen konnte!"). Und von ihrer Enkeltochter, die bei ihrer Geburt Sauerstoffmangel hatte und leicht behindert ist. Aus diesem Grund hat Jewgenija Stan­tchev die Wajekama Stiftung für Inklusion ins Leben gerufen. Außerdem ist sie Mitgründerin des Zonta Clubs Hamburg-Elbufer, der sich für die Rechte der Frauen einsetzt.

„Langweilig wird mir also nicht“, sagt Stantchev. Sie will ihre Biografie schreiben. Der erste Teil ist schon fertig und veröffentlicht. Jetzt soll der zweite Teil folgen, die Jahre ab 1976. Sie wird viel zu erzählen haben.