Helsinki. Der Rockliner: ausgebucht. Die 3000 Fans: ausgeruht. Das Programm: ausgesucht. Der Star: ausgebuht – nee, natürlich nicht.

„Danke, dass Sie sich für den Restaurantbesuch angemessen kleiden“, empfiehlt ein Hinweisschild am Eingang eines der Bordrestaurants auf der „Mein Schiff 1“, und ein kurzer Rundblick in den Saal zeigt: Ja, alle sind angemessen gekleidet. Sonnenbrillen, breitkrempige Hüte, neongrüne Socken, enge Hosen mit Seitenstreifen, Eierlikörfahne. Das ist der allgemeine Dresscode auf dem „Rockliner“, der bereits sechsten Musik-Kreuzfahrt von und mit dem Panik-Kapitän Udo Lindenberg.

Als der erste „Rockliner“ 2010 von TUI Cruises vom Stapel gelassen wurde, waren Musik-Mottokreuzfahrten noch ein Experiment. Aber mit dem Boom von Seereisen in den vergangenen Jahren zog es auch immer mehr Stars aus Pop- und Showgeschäft mit ihren Fans auf die schwimmenden Hotels. Peter Maffay und Helene Fischer, Fury In The Slaughterhouse und Wiener Philharmoniker spielten nicht in Clubs, Konzerthäusern und Arenen, sondern in Bordtheatern und auf Pooldecks.

Udo Lindenberg hat längst Bordroutine

Die Passagiere kamen ihren Lieblingen näher als sonst, kombiniert mit den Annehmlichkeiten der Bordküchen und Bars, mit Mittelmeersonne oder zumindest einer frischen Ostseebrise. Sogar die Metalfans, sonst scherzhaft auf Festivals sogar dem Duschen abgeneigt (was nicht stimmt), haben das Konzept angenommen und auf bislang acht Reisen der „Full Metal Cruise“ die Leinen losgelassen. Im Herbst bekommt sogar Barbara Schöneberger ihren eigenen Törn.

Udo Lindenberg hat schon längst Bordroutine. Fünf Tage lang kreuzt der „Rockliner“ bis Sonntag zwischen Kiel, Helsinki und Stockholm. 3000 Udonauten und Panik-Piraten sowie 1000 Crewmitglieder fahren mit, bis auf eine einzige Notfall-Kabine platzt die „Mein Schiff 1“ aus allen Schweißnähten.

Vulkanier trifft Wackener: Udo Lindenberg mit Reporter Tino Lange.
Vulkanier trifft Wackener: Udo Lindenberg mit Reporter Tino Lange. © TUI Cruises GmbH | TUI Cruises GmbH

Gut ein Drittel der Passagiere sind Stammgäste, bereits beim Einchecken in Kiel wird sich umarmt, geherzt, begrüßt. Viele begleiten Udo seit Jahren überall hin, kommen direkt von der Generalprobe zur anstehenden Tournee aus Timmendorfer Strand, und hoffen nicht nur auf panische Bordkonzerte, sondern auch ihrem Idol von Auge zu Auge oder von Sonnenbrille zu Sonnenbrille zu begegnen. Als Udo durch die Check-in-Halle schlendert, geben viele ihre Plätze in der Schlange auf, bilden Trauben, jubeln und filmen. Eierlikörflaschen und Bierbuddeln kullern und klirren. Das kann ja noch heiter werden.

Lindenberg gibt drei Konzerte auf der Schiffsbühne

Das wird es auch, als Udo und sein Panikorchester das Auslaufen in Kiel bei Sonne und blauem Himmel musikalisch auf dem Pooldeck begleiten. Mit „Odyssee“, „Mein Ding“ und „Candy Jane“ geht es mit Kurs auf Finnland aus dem Hafen. „Das wird eine wilde, wilde Bon Voyage! Hoch die Tassen. Jetzt geht es unauffällig rüber in die Zeitlosigkeit“, ruft Udo, und Hunderte Augenpaare hängen an seiner berühmten Unterlippe. Alles dreht sich um Udo, die treusten und sparsamsten Fans haben 1000 Euro und mehr lockergemacht, um die exklusivste seiner Konzertreisen zu begleiten. Drei Abende wird er im 1000 Plätze fassenden Theater spielen, jeder soll zumindest eine Show sehen können. Auch ist noch eine Pooldeck-Session zu Udos 73. Geburtstag geplant.

Dazu kommen noch Konzerte von Udos Kumpel Daniel Wirtz und von Panikorchester-Sängerin Deine Cousine alias Ina Bredehorn, die vor zwei Wochen ihr erstes Album „Attacke“ veröffentlicht hat. Die Coverband Boerney die Tri Tops spielt regelmäßig Gassenhauer von den Ärzten bis zu den Scorpions, Arno Köster und Uwe Bahn lesen und erzählen Döntjes, im Bordkino laufen Udo-Dokus und diverse Konzertfilme, und beim „Eierlikör Workshop“ lernt man, Udos Lieblingsdrink anzumischen.

Gut sortiert: Fans vor der Abfahrt in Kiel.
Gut sortiert: Fans vor der Abfahrt in Kiel. © Ulrich Schaarschmidt / Tui Cruises | Ulrich Schaarschmidt

1000 Liter Eierlikör auf der "Mein Schiff 1"

Das ist auch bitter nötig. 1000 Liter Eierlikör hat die „Mein Schiff 1“ gebunkert, der Verbrauch liegt bei 200 Litern täglich, da muss die Crew beim Kochen und beim Vorbereiten einer großen, 250 Kilogramm schweren Geburtstagstorte zusätzliche Vorräte selber herstellen. Die übrigen Durstlücken der Panik-Piraten füllen Bier, Wein und Sekt rund um die Uhr, abends kommen Longdrinks und Cocktails dazu. Das hebt die Stimmung, aber es bleibt gesittet.

Der Altersschnitt der Gäste liegt bei 52 Jahren, da kennt man seine Grenzen. Das weiß auch die Besatzung. Werden üblicherweise eher ältere Schiffe der Cruise-Flotten für Mottofahrten eingesetzt, so ist die „Mein Schiff 1“, 2018 in Dienst gestellt, noch blitzneu. Aber „wir machen uns da keine Sorgen“, sagt Schiffsmanager Axel Sorger, „wenn mal ein Likör danebengeht, lassen sich die Teppiche ja schamponieren.“

Unruhig wird es an Bord nur, wenn Udo oder ein Doppelgänger gesichtet werden. Zwar hält sich der Panik-Präsident bedeckt, trotzdem scheint er geheime Aufgänge und Treppen zu kennen. Wie aus dem Nichts erscheint er plötzlich in der ersten Nacht neben der „Überschaubar“ auf dem Pooldeck. Die umstehenden Fans ahnen nichts oder sind einfach nur diskret und höflich oder schlicht erstarrt. Noch.

Die ersten Fans warten seit Mittag auf den Einlass

Was passiert, wenn tausend Lindianer unter sich sind, wohlgenährt durch bestes Essen und Getränke rund um die Uhr, entspannt durchs Schwitzen in der Panorama-Sauna, im Whirlpool oder beim Fußballturnier in der Basketballfeld-großen (!) Bordturnhalle, zeigt sich am zweiten Abend bei der ersten der drei Lindenberg-Livesausen. Schon am Mittag sammeln sich die ersten Fans aus Erfurt, Cottbus und Berlin, aus Hamburg und Gronau vor den Eingängen des Theaters. Ein Platz in der ersten Reihe ist jetzt alles, was noch zählt.

Udo, der beim Soundcheck noch gemütlich auf die Bühne schlurft, jedes Bandmitglied zärtlich umarmt und zwischendurch mit „Tatort“-Star und Gastsängerin Maria Furtwängler plaudert, wirkt am Beginn seiner „Honky Tonk Show“ tatsächlich etwas angespannt. Er macht „Mein Ding“, während Kapitän Jens Troier die „Mein Schiff 1“ mit 20 Knoten – fast Höchstgeschwindigkeit - an Gotland vorbeijagt, es wackelt ganz leicht.

135 Minuten lang hangelt sich Udo am Mi­krokabel entlang

Udo, eigentlich von Natur aus sicher auf schwankendem Geläuf mit seinem typischen Tänzeln, verliert kurz die Kontrolle und knallt sich das Mikro, das er am Kabel wie ein Lasso schwingt, mit einem hörbaren „Plock“ an den Hut. Keine Panik, das ist live, „leichtes Restrisiko“, erinnert sich Udo später, „früher in den breiten Zeiten ist das öfter passiert.“ Mit „Du knallst in mein Leben“ bricht er „Die Herzen der stolzesten Frauen“, und das Panikorchester, nach den „MTV Unplugged 2“-Sessions („MTWuppdich“, wie Udo es nennt) voll verstärkt, spielt wie entfesselt und kennt kein Ende.

Tragen diese Udoianer auch korrekt grüne Socken?
Tragen diese Udoianer auch korrekt grüne Socken? © Ulrich Schaarschmidt / Tui Cruises | Ulrich Schaarschmidt

Tatsächlich wird bis auf „Wozu sind Kriege da“ das komplette Programm der kommenden Arena-Tour präsentiert. 135 Minuten lang hangelt sich Udo am Mi­krokabel entlang durch 28 Lieder und fünf Jahrzehnte deutscher Rockgeschichte. „Ratten“ aus dem Jahr 1982 trifft auf das ein Jahr ältere „Straßenfieber“, „Alles was sie anhat“ vom „Unplugged 2“-Album leitet zum Klassiker „Lady Whiskey“. „Cello“, „Bunte Repu­blik Deutschland“, „Bist du vom KGB“, „Stärker als die Zeit“, das ist ein Fest für Udo-Fans. Das Theater schwankt und wogt, kreist und taumelt, als wäre der „Rockliner“ auf Orkanfahrt, aber der Orkan ist nur der Jubel. Schweiß oder Tränen oder beides, es ist bei den Fans nicht mehr zu unterscheiden, als Udo sich zwischen die Reihen wagt, so weit das Kabel reicht. Und das Panikorchester legt noch eine Schaufel nach: „Hinterm Horizont“, „Jonny Controletti“, „Sonderzug nach Pankow“, „Alles klar auf der Andrea Doria“, „Reeperbahn“, „Eldorado“ – willkommen in der Zeitlosigkeit.

Wobei der Zeitgeist nicht einmal vor einem fantastischen Lindenberg-Konzert vor dem harten Kern der Fans, Freunden und Familien halt macht. Während des Auftritts widmet er das Lied „Ratten“ solidarisch Greta Thunberg und der „Fridays for Future“-Generation.

Umweltschützer mögen den Rockliner gar nicht

Diese Generation hatte beim Auslaufen in Kiel allerdings keine freundlichen Grüße für den „Rockliner“: „Klimaschänder“ rief die junge Steuerfrau eines vorbeifahrenden Vierer-Ruderers herüber. TUI Cruises sieht sich als eine der „emissionsärmsten Kreuzfahrtflotten der Welt“ und hebt moderne Energiemanagement-Systeme, Abwärmenutzung, Abgas-, Abfall- und Abwasser-Nachbehandlungstechnologien auf der neuen „Mein Schiff 1“ hervor. Der Gast bemerkt das zuerst durch den Verzicht auf den Einbau von Minibars und Kühlschränken in den Kabinen.

Aber egal, ob nun Schweröl, Diesel, Gas oder Brennstoffzellen die Zukunft bestimmen, es werden noch Jahre vergehen, bis sich Ozeanriesen so gut es eben geht umweltneutral bewegen und unterhalten lassen – oder verschwinden. Die Kritik und der Druck auf die Reedereien wachsen jedenfalls ebenso wie die Zahl der Schiffsneubauten und die Nachfrage der Touristen, die am Ende kommende Innovationen finanziert. Wo wird diese Reise noch hingehen?

Mit dem „Rockliner“ und dem „König von Scheissegalien“ geht es nach Stockholm. Udo denkt aber schon weiter an den Tourstart am 1. Juni in Bremen, am 20., 21. und 22. Juni geht es nach Hamburg in die Barclaycard Arena. „Das wird die größte Revue aller Zeiten, das wird mein Eldorado“, verspricht er bei einem kurzen Plausch nach dem Soundcheck. Dann muss er wieder auf die Bühne, der nächste Zwei-Stunden-Marathon durch das Udoversum. Am Ende wird er „Goodbye Sailor“ singen: „Wenn der Wind mich jetzt auch weiterweht auf das große Meer hinaus, musst du wissen, dass es mit uns weitergeht, so was kriegst du nie wieder ausm Herzen heraus.“ Bon Voyage, Udo!

Die neue „Collector’s Edition“ über Udo

Die „Hamburger Abendblatt Collector’s Edition, No. 2 – Udo Lindenberg“ ist jetzt bundesweit im Handel. Auf 100 Seiten wird es hier ganz persönlich: Udo Lindenberg kommt in Interviews und E-Mails ausführlich selbst zu Wort, genauso wie enge Weggefährten.

Das Magazin ist im Handel, auf Amazon, in der Abendblatt-Geschäftsstelle (Großer Burstah 18–32) sowie im Onlineshop unter abendblatt.de/udo erhältlich und kostet 10 Euro (Treuepreis beim Abendblatt 8 Euro).