Hamburg. Panik-Rocker feiert 73. Geburtstag. Wir haben mit ihm über Musik, Geld, seine Markenzeichen – und über Politik gesprochen.

Deutschlands oberster Panik-Rocker wird heute 73 Jahre alt, derzeit fährt er auf dem Rockliner über die Ostsee – und Ende des Monats startet Udo Lindenberg seine große Deutschland-Tournee. Das Abendblatt sprach mit ihm über ein paar grundlegende Fragen: Was sollen die Sonnenbrille und die grünen Socken? Welche Rolle spielt Geld in seinem Leben? Warum malt sich Udo Lindenberg manchmal mit Kajal ein Bärtchen? Und wie ist das zweite „MTV Unplugged“-Album zustande gekommen?

Hamburger Abendblatt: Lieber Udo, dein erstes „MTV Unplugged“-Album hat sich 1,2 Millionen Mal verkauft, es war das erfolgreichste Album eines deutschen Künstlers. Eigentlich macht dann kein zweites …

Udo Lindenberg: Aber wir sind ja von der Firma uneigentlich. Die Leute haben mich immer wieder auf der Straße angesprochen: Gib uns neuen Stoff, gib uns neues Udopium. Stell dir das vor, die Songs aus den 70er- und 80er-Jahren, haben sie gesagt, mit deiner Stimme von heute. Ich habe ja viel investiert in meine Stimme in den vergangenen Jahren, das muss sich jetzt rekapitalisieren. Viel Patina, da kannst du ja jetzt noch viel geiler singen als vor zig Jahren, haben sie gesagt …

… und so ist es ja. Wer war zuerst da – die Leute, mit denen du singen wolltest, wie Alice­ Cooper und Andreas Bourani, oder die Songs?

Lindenberg: Zuerst waren die Songs da, eine Auswahl aus 600 Liedern, jeden Tag war Weihnachten, jeden Tag Wunschzettel. Überall, wo ich war, auf der Straße, beim Sushi-Laden am Hauptbahnhof, habe ich die Leute gefragt: Sach mal, welche Songs von früher soll ich singen? Ganz viele haben sich „Cowboy Rocker“ gewünscht, „Cowboy Rocker“ muss, haben sie gesagt. Und „Kleiner Junge“ muss irgendwie auch, wir müssen die Welt besser machen. „Bananenrepublik“ ist total aktuell, noch aktueller als früher.

Am Ende hast du entschieden, was auf das Album kommt?

Lindenberg: Die letzte Entscheidung behalte ich mir natürlich vor. Die Nachtigall muss entscheiden, das Lied ist jetzt mein Lied, das muss mit.

Mein Lieblingslied ist „Radio Song“. Wenn du die Version von damals, aus den 70ern, im Vergleich zur aktuellen hörst, erschrickst du dann selber?

Lindenberg: Das ist ja ganz rührend, wenn ich das heute höre, wie ich das in den 70er-Jahren gesungen habe, mit so ’ner kleinen Fiepsstimme. Damals haben die Leute gedacht: So’n richtiger Sänger ist er ja nicht, aber das hat auch eine Identifikation geschaffen. Das ist einer von uns, haben die Leute gesagt, der traut sich auf die Bühne, kann auch nicht richtig singen, aber hat geile Storys, so ’n Storyteller und so. Deswegen klingt das damals noch ein bisschen piepsig. Heute ist das heavy, ich habe mehr Tiefe für meine Songs. Die Seele hat jetzt mehr Patina, mehr Exzesse durch, dazu die ganze Erfahrung, auch die dunklen Zeiten, dann wieder die Feuerwerkssuperachterbahn mit Salto mortale. Trotzdem alles gut überlebt.

Was wäre eigentlich gewesen, wenn du zwischendurch diesen harten Zusammenbruch nicht gehabt hättest? Dann wärst du doch niemals so erfolgreich geworden, wie du es heute bist.

Lindenberg: Das glaube ich auch. Du musst einmal tief runterrutschen und in der Matsche liegen. Wenn du dann wieder hochkommst, das sieht man gern. Das ist wie im Kino. Das Publikum macht sich Sorgen, kriegt er das noch mal hin, man bangt mit. Wenn es mehr so normal läuft, und du kommst kurz ins Schlingern, das reicht nicht. Das große Drama, der große zweite Akt, das ist natürlich ein absoluter Flash.

Gibt es irgendeinen Rat, den du für Menschen hast, die wirklich am Boden sind?

Lindenberg: Ich habe die Erfahrung, dass Drogen und Sauferei nichts bringen, das entscheidende Ding muss von einem selber kommen. Andere können einem da nicht raushelfen, sie können einen begleiten, aber es nervt eher, wenn die dauernd kommen und sagen: Sauf mal weniger, nimm mal weniger, das weißt du selber. Man muss mit sich selber einen Deal machen. Ich habe den Deal gemacht: Wenn ich die Sauferei aufgebe, kann ich wieder durchstarten. Für mich war die bessere Droge der Rausch auf der Bühne, der Ruhm, die große Panik-Familie, knallevolle Hallen und Stadien, ein Abenteuerspielplatz, auf dem ich Flugshows machen kann … Dieser ganze Wahnsinn. Das war die bessere Droge. Dann kommen Millionenschecks, dann kommen Frauen, dann kommen Männer – es kommt alles ...

Geld ist doch für dich überhaupt kein Antrieb, ist doch genug da.

Lindenberg: War aber auch nicht immer. In meinen bösen Träumen ist mal aufgetaucht, die Nachtigall muss bei der Einweihung von Möbelhäusern singen …

Furchtbar!

Lindenberg: Furchtbar. Das kennt man von Rex Gildo, Hossa, Hossa, und dann drehst du irgendwann durch. Wer nur einen besonders großen Hit hat, der muss jahrzehntelang damit über die Runden kommen, 10.000-mal dasselbe singen. Wenn du Knete hast, bist du natürlich freier, kannst in der Welt herumfahren …

Aber Geld ist nicht dein Antrieb.

Lindenberg: Nee, nee. Die Lust am Abenteuer ist mein Antrieb, diese fantastischen Leute zu treffen, mit ihnen zu singen. Das hält mich gut in Gang.

Stimmt es, dass du eigentlich auch mit Lady Gaga singen wolltest?

Lindenberg: Ja, aber die konnte nicht, die hatte Dreharbeiten. Ich bewundere sie sehr. Vielleicht ist sie das nächste Mal dabei, vielleicht kommt die „Unplugged“-Trilogie, der Pate.

Du hast aus dem Sänger Lindenberg die Marke Udo gemacht, Hut, Sonnenbrille, grüne Socken – clevere Strategie. Bewusst?

Lindenberg: Das hat sich ergeben. Da war irgend so ein Detektivfilm in den 80er-Jahren, und daher habe ich die Sache mit dem Hut. „Open Road“, ist ein geiler Name für einen Hut, oder? Eine deutsche Firma baut den übrigens nach, in Lindenberg im Allgäu, wirklich. Und die Sonnenbrille: Du wirst ständig observiert, auf der Bühne ist das Licht sehr grell – und außerdem muss ich die Menschen schützen vor meinen Augen, dass ich ihnen nicht zu sehr und zu tief in die Seele schau. Das kann schnell erotisch irritieren, so ist die Brille auch ein Schutz für andere. Schließlich die grünen Socken: Das ist ja ganz praktisch, wenn ich im Underground unterwegs bin. Ich muss mich ja irgendwo orientieren können, mit meinen unverschämt langen Beinen, und da helfen die leuchtenden Socken auch im dunkelsten Keller.

Ein eingebauter Notausgang.

Lindenberg: Genau. Und außerdem sind das Glücksfroschsocken. Grüne Socke, coole Socke. Totale Marke, stimmt schon. Aber das Schöne ist, ich tarne mich oft. In ’nem Hoodie, und dann gehe ich ein bisschen gebeugt, keine Brille, ein Bärtchen mit Kajal aufgemalt, keine grünen Socken. Damit ich mal in Ruhe rumstreunen kann, das mach ich am liebsten.

Und wenn die Leute dich doch ansprechen?

Lindenberg: Ich sag dann gelegentlich, ich bin ein Double. Ich bin extra in einem Double-Studio ausgebildet worden, die Mimik, der Gang. Und es gibt auch Leute, die das glauben.

Gibt es irgendjemanden, der dich siezt? Politiker?

Lindenberg: Die sagen vielleicht Herr Lindenberg zu mir, aber manchmal ist das auch okay. Aber für die meisten Menschen bin ich eine Art Kumpel, den man schon ewig kennt, der immer da ist. Immer irgendwo dabei. Und deswegen das Du, Teil des Lebens.

Auf dem neuen Album sind viele politische Stücke.

Lindenberg: In Deutschland müsste man vor dem Hintergrund von zwei Weltkriegen friedenspolitisch ganz anders drauf sein und nicht sagen, wir machen mit bei dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Wir müssen das Wort „Abrüstung“ mal wieder hören, nicht immer nur Aufrüstung. Ist egal, ob sie die Leute in Saudi-Arabien in Salzsäure auflösen, dahin werden munter Waffen verkauft. Hauptsache, die Knete stimmt. Make America rich again, heißt es nämlich auch. Das ist pervers, das Verbrechen an der Menschlichkeit passiert jeden Tag. Und jeden Tag fallen Menschen diesem Krieg zum Opfer. Jeder, der nichts dagegen tut, trägt das mit. Die stumme Armee muss aufwachen. Wir in Europa müssen sagen, dass wir den Scheiß nicht mitmachen. Je eher, je besser. Wir brauchen ein starkes Europa und eine starke Friedensbewegung. Und wir können viel ändern. Wir sind sehr, sehr viele.

Podcast: Ein ausführliches Gespräch mit Udo Lindenberg finden Sie auch im Podcast „Entscheider treffen Haider“ zum Anhören unter abendblatt.de/entscheider