Hamburg. Dealer handeln aus offenem Vollzug im großen Stil mit Drogen. Zuvor Vollzugslockerung trotz drei früherer Verurteilungen.

Im großen Stil hat ein Freigänger der Justizvollzugsanstalt Glasmoor mit Kokain gehandelt. Der Mann (49) und ein Komplize (35) belieferten Drogenhändler in Norddeutschland. Beide sind seit 2003 und 2006 immer wieder im Zusammenhang mit Drogendelikten aufgefallen und verurteilt worden. Beide waren aber trotzdem immer wieder in den Genuss von Haftvergünstigungen gekommen. So war es ihnen möglich, kontinuierlich ihren Drogengeschäften nachzugehen.

Es war schon ein stattliches Drogendepot, das Polizisten Anfang Mai an der Bremer Straße in Harburg ausgehoben haben. Insgesamt 7,5 Kilo Kokain, abgepackt zu jeweils einem Kilo, so wie es in hochreiner Form aus Südamerika geschmuggelt wird, und ein Kilo Heroin stellten Drogenfahnder in einem Keller sicher. Kokain in dieser Menge hat seinen Preis. Gut 20.000 Euro muss ein Drogendealer für ein Kilo bezahlen. Für den Straßenverkauf wird es in der Regel um das Mehrfache gestreckt.

Zweimal abgeschoben – dann bekommt Harun K. Duldung

Der Mann, dem das Kokain zugeordnet wird, heißt Necatin Y.. Er stammt aus Bingöl in Ostanatolien. Der Mann ist Profi. Im Februar 2018 wurde er nach fünf Monaten Untersuchungshaft wegen Drogendelikten zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Sechs Monate saß er in einem Gefängnis. Im September wurde er nach Glasmoor verlegt und wurde Freigänger.

Auf eine konkrete Anfrage zum Grund der Verlegung in den offenen Vollzug äußerte sich die Justizbehörde nicht. Stattdessen erläuterte André Otte, Mitarbeiter für Öffentlichkeitsarbeit in der Behörde, im Allgemeinen, warum Gefangene zu Freigängern werden können. So sollen Häftlinge dann in den offenen Vollzug kommen, wenn sie dafür geeignet seien. „Insbesondere, wenn nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzugs zu Straftaten missbrauchen werden“, heißt es in der Antwort von André Otte. Das Problem sah die Justizbehörde bei Necatin Y. offenbar nicht – obwohl es bereits seine vierte Haftstrafe wegen Drogendelikten war.

Das gilt offenbar auch für Harun K., den Komplizen des 49-Jährigen. Auch er war bereits mehrfach wegen Drogendelikten verurteilt worden. 2007 und 2009 schob man ihn ab. 2012 kam er erneut nach Deutschland und erhielt 2013 dann eine Duldung. Wegen „besonderer Umstände“, wie es aus einer Behörde verlautete.

Seine letzte Haftstrafe verbüßte der 35-Jährige bis Ende vergangenen Jahres. Auch er war Freigänger. Von seinen 23 Monaten Haft soll er zwei Wochen in Untersuchungshaft, ganze drei Tage in einer Haftanstalt und den Rest im offenen Vollzug abgesessen haben.

Haftanstalt heißt bei Gefangenen „Hotel Steffen“

Er wurde am 23. April auf einer Auslieferungsfahrt nach Lübeck auf der A 1 gestoppt. Dabei wurden zehn Gramm Kokain und 40 Gramm Heroin sichergestellt. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Schleswig-Holstein sah keine Haftgründe. Eine Woche später wurde der Mann erneut festgenommen. Am Harburger Ring soll er einem Mann (57) aus Lübeck Heroin und Kokain übergeben haben. Bei der Aktion wurden 36 Gramm Heroin, 20 Gramm Kokain und gut 1600 Euro sichergestellt.

Erst Anfang April war ein Fall bekannt geworden, bei dem ein Dealer (34), der ebenfalls im offenen Vollzug saß, eine größere Menge Drogen verkauft hatte. „Hotel Steffen“ spotten Insassen bereits in Anspielung auf Justizsenator Till Steffen (Grüne) über die Anstalt Glasmoor.

Die Justizbehörde stellte die Fälle in der Vergangenheit als „Einzelfälle“ dar. „Das ist blanker Hohn“, sagt Jan Reinecke, Landesvorsitzender beim Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in Hamburg. „Wir haben es hier mit einer systematischen Ausnutzung von Haftvergünstigungen zu tun. Diese Art von Vollzug resozialisiert nicht, sondern fördert kriminelle Karrieren.“

Dealer nutzt Freigang für Drogenhandel

Reinecke bezweifelt zudem, dass Freigänger tagsüber wie gefordert einem geregelten Arbeitsverhältnis nachgehen. Bereits im Fall des 34-Jährigen soll dies nicht der Fall gewesen sein. Dem hatte die Justizbehörde widersprochen und von 16 anstandslosen Überprüfungen gesprochen. „Da habe ich andere Erkenntnisse. Obwohl sämtliche Kontrollen im Vorwege telefonisch angekündigt wurden, hat man es nur in wenigen der 16 Überprüfungen vor Ort für nötig gehalten, anwesend zu sein“, so der BDK-Landesvorsitzende Reinecke. Generell würden Freigänger vor Kontrollen an ihrer Arbeitsstelle telefonisch informiert.

Im aktuellen Fall gibt es aus Polizeikreisen ebenfalls Hinweise auf ein „lockeres“ Arbeitsverhältnis. Necatin Y. soll nach Erkenntnissen der Polizei nur selten der von ihm angegebenen Beschäftigung nachgegangen sein. Stattdessen nutzte der 49-Jährige seinen Freigang zum Handel mit größeren Mengen an Rauschgift.