Hamburg/Kiel. Streit in der Jamaikakoalition in Hamburgs Nachbarland: Grüne wollen Geschwindigkeit auf Dauer begrenzen. CDU und FDP dagegen.

Das zunächst befristete Tempolimit auf der A 7 nördlich von Hamburg hat einen Streit in der Jamaikakoalition in Schleswig-Holstein ausgelöst. Die Grünen fordern eine dauerhafte Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h.­­ Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) und die CDU sind dagegen.

Derzeit gilt für Autofahrer auf der sechsspurig ausgebauten Autobahn zwischen Hamburg und Neumünster-Nord aus Sicherheitsgründen eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h. Sie soll in Kürze aufgehoben werden, wenn feststeht, dass die Fahrbahnen auf dem im Dezember 2018 freigegebenen 60 Kilometer langen Abschnitt eingefahren sind und genügend Haftung für die Fahrzeuge bieten. Erst nach einer Betriebszeit von mehreren Wochen erreiche der Belag die endgültige Beschaffenheit, teilt das Baukonsortium Via Solutions Nord mit. Auf dem Neuabschnitt zwischen Neumünster-Nord und Bordesholmer Dreieck haben die Autos bisher noch freie Fahrt.

Klimaschutz Präambel im Koaliltionsvertrag

„Wir sind in der Verantwortung“, sagt der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Andreas Tietze. Die Zeit sei reif für ein Tempolimit, das einfacher als eine CO2-Steuer umzusetzen sei und die Emissionen um 15 bis 20 Prozent reduziere. Er erinnerte daran, dass der Klimaschutz in der Präambel des Koalitionsvertrages festgeschrieben wurde. Die SPD hat zu dem Thema für die Landtagssitzung in der nächsten Woche eine Aktuelle Stunde beantragt. „Es sprechen viele Gründe für ein Tempolimit“, sagte Ralf Stegner, Fraktionschef der oppositionellen SPD.

Verkehrsminister Buchholz hält dagegen: „Gerade die Verbreiterung der Autobahn hat noch einmal zu einem deutlichen Plus an Verkehrssicherheit geführt, sodass ein Tempolimit hier nicht angezeigt ist.“ Außerdem liege die Lösung, die Umwelt vom Autoverkehr zu entlasten nicht in Tempolimits, sondern in innovativen Technologien. Als Beispiel nannte Buchholz die Umwandlung von Windenergie in Wasserstoff. Sein Ministerium verweist darauf, dass die Bundesländer nicht für die Geschwindigkeitslimits auf Autobahnen zuständig sind, sondern der Bund. Ein Tempolimit widerspreche allen Planungen, sagte Hans-Jörn Arp, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Beschränkungen seien nicht nur sinnfrei, sondern würden zu massiven finanziellen Rückforderungen des Bundes führen.

"Tolles, entspanntes Fahren" bei Tempo 120 in der Schweiz

Der Anruf des Hamburger Abendblatts erreichte Jürgen Resch in der Schweiz. „Tolles, entspanntes Fahren hier“, sagt der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. In der Schweiz gilt für den Autoverkehr ein Tempolimit: 120 km/h auf den Autobahnen, 80 auf Landstraßen. Genau diese Geschwindigkeitsbeschränkungen will der Chef der Umwelthilfe auch in Deutschland umsetzen, Er freut sich über die in Schleswig-Holstein entbrannte Debatte, auf der aufwendig erweiterten Autobahn 7 Tempo 120 zu belassen, das dort noch aus Sicherheitsgründen gilt und demnächst aufgehoben werden soll.

Gern weist Resch auf das Umweltbundesamt hin, das sich ebenfalls für die Beschränkung einsetzt. Tempo 120 sei ein Beitrag zum Klimaschutz, erhöhe deutlich die Verkehrssicherheit und sorge für höhere Kapazitäten. Bei einem Tempolimit könne die Autobahn mehr Autos pro Stunde aufnehmen als ohne. Er verweist auf Bremen, das für seine Autobahnen eine Geschwindigkeitsbegrenzung durchgesetzt habe. „Das könnte Schleswig-Holstein fortsetzen“, sagt Resch.

Autonomes Fahren ohne Tempolimit nicht umzusetzen

Er geht außerdem davon aus, dass teilautonomes und autonomes Fahren ohne Tempolimit nicht umzusetzen ist. Geschwindigkeitsunterschieden bis zu 150 km/h zwischen rechter und linker Fahrspur sei die Technik nicht gewachsen. Daher testeten deutsche Autofirmen ihre autonomen Fahrzeuge in Kalifornien. Deutschland, Nordkorea, Afghanistan und Somalia seien die einzigen Staaten der Welt ohne Tempolimit. „Ein ungewöhnliche Allianz“, sagt Resch.

Zu den Befürwortern des Tempolimits auf der A7 zählt auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Obwohl zum jetzigen Zeitpunkt noch die Geschwindigkeitsbegrenzung vorhanden ist, kam es allein im Jahr 2019 zu sechs schweren Verkehrsunfällen, jeweils am Stauende durch Auffahren“, sagt der Vorsitzende der Regionalgruppe Schleswig-Holstein/Mitte, Ulrich Bahr. „Dabei verstarb eine Person, elf Personen wurden verletzt, drei davon lebensgefährlich.“

„Geschwindigkeitsbeeinflussungsanlage“ vergessen

Er kritisiert, dass bei der A7-Erweiterung vergessen worden sei, eine „Geschwindigkeitsbeeinflussungsanlage“ zu installieren, die es ermögliche, das Tempo der Autofahrer bei Gefahrenstellen oder Stau langsam zu drosseln. Bahr fürchtet, dass es bei höheren Geschwindigkeiten zu noch mehr Unfällen am Ende von Staus kommen werde. Die Nachrüstung mit einer Verkehrsbeeinflussungsanlage, die individuell und zielgerichtet den Verkehr regele, würde die Aufhebung eines starren Tempolimits von 120 km/h ermöglichen, ohne die Sicherheit auf der Autobahn nördlich von Hamburg zu beeinträchtigen.

Der GdP-Landesvorsitzende Torsten Jäger von Schleswig-Holstein geht noch weiter und sagt: „Generell ist es angezeigt, die Wirksamkeit von einer Höchstgeschwindigkeitsgrenze auf Bundesautobahnen intensiv zu untersuchen.“ Hohe unterschiedliche Geschwindigkeiten, eingeschränkte Reaktionszeiten und eine hohe Verkehrsdichte sprächen dafür, ein Limit zwischen Tempo 120 und 140 anzuordnen. „Jeder Tote, jeder Schwerverletzte ist es wert, darüber ernsthaft zu sprechen“, sagt Jäger. Außerdem nütze ein Tempolimit der Umwelt. Jäger rechnet darüber hinaus mit einer deutlichen Entlastung der Polizei, wenn das Tempo limitiert wird.

Hamburger Verkehrsexperte: Weniger Unfälle durch Tempolimit

In einem Interview mit dem NDR hatte Jan Ninnemann, Präsident der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft (DVWG), die Debatte über die Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 km/h auf der A 7 angestoßen. Der Hamburger Verkehrsexperte geht davon aus, dass die Anzahl der Unfälle um bis zu 25 Prozent reduziert werden kann und die Zahl der tödlichen Unfälle noch stärker sinken werde. Einer der wesentlichen Gründe sei der Rückgang abrupter Bremsmanöver.

Ninnemann war mit dem Auto in Dänemark, dort gilt Tempo 130. „Wenn man in Dänemark unterwegs ist, merkt man, dass man relativ entspannt fahren kann. Sobald man über die Grenze bei Flensburg kommt, wird die Verkehrssituation anstrengender“, hatte Ninnemann gesagt.

Tempolimit als Beitrag zum Klimaschutz

Auch er geht von einer höheren Umweltverträglichkeit aus, wenn Autofahrer an ein Tempolimit gebunden sind. „Der Kraftstoffverbrauch und damit auch die Emissionen steigen mit zunehmender Geschwindigkeit“, sagt Ninnemann. „Folglich leisten niedrigere Geschwindigkeiten einen Beitrag zum Klimaschutz.“

Gegen die Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Autobahn 7 spricht sich dagegen der ADAC aus. Der Sprecher des Automobilclubs, Christian Hieff, sagt: „Ich sehe dafür keine stichhaltige Begründung für diesen Bereich.“ Mit der A7 im Süden Schleswig-Holsteins sei eine komplett neue Autobahn inklusive Lärmschutz entstanden, die keine Begrenzung rechtfertige. Lägen jedoch gute Gründe wie eine besondere Unfallhäufigkeit oder eine hohe Verkehrsdichte vor, spreche sich der ADAC nicht grundsätzlich gegen Limits aus, sagte Hieff und nannte das Beispiel Hamburg und Bremen, deren Autobahnen komplett tempolimitiert seien. „Das macht aber keinen Sinn auf dem platten Land bei Neumünster“, sagt Hieff.