Hamburg. Behörde will Rückmeldungen aus Schulen auswerten, lehnt Hamburger einen Alleingang aber ab. Protest weitet sich aus.

Fabian Müller ist ein guter Schüler, ein sehr guter sogar. „In Mathe lag ich in den vergangenen Jahren oft im oberen Einserbereich“, so der 18-Jährige, der ein Gymnasium in Eimsbüttel besucht. Und so war er angesichts der anstehenden Mathe-Abiturprüfung vergangene Woche eigentlich guter Dinge - bis er den Aufgabenzettel dann vor sich liegen hatte. Sein erster Gedanke: „Das wird knackig.“ Müller erklärt: „Das waren für 270 Minuten nicht nur sehr viele Aufgaben, sondern auch Aufgaben, die nichts mit dem zu tun hatten, was wir vorher im Unterricht durchgenommen hatten.“ Die Anforderungen in der Klausur hätten nicht zum Unterrichtsniveau gepasst, auch der Transferteil, in dem Themen zu bearbeiten waren, die über den gelernten Stoff hinausgehen, sei deutlich zu anspruchsvoll gewesen. „Das stand in keinem Verhältnis.“

Unmittelbar nach der Prüfung beratschlagte er sich mit seinen Mitschülern darüber, wie man mit der Behörde in Verbindung treten könne. Bei der Recherche stellten sie fest, dass die Hamburger Schüler mit ihrer Einschätzung nicht allein waren. „Wir haben gesehen, dass in Bayern und Niedersachsen schon Petitionen zu dem Thema gestartet wurden und entschlossen uns dann, auch in Hamburg eine zu starten.“

3700 Unterstützer haben die Petition unterzeichnet

Seit Freitag haben inzwischen mehr als 3700 Unterstützer – die meisten von ihnen Schüler – Fabian Müllers Petition unterzeichnet, die die Prüfungsaufgaben als „nicht erfüllbar“, „zu hoch angesetzt“ und „nicht schülergerecht konzipiert“ kritisiert. Ziel der Aktion: „Vor allen Dingen wollen wir Druck auf die Schulbehörde aufbauen und so erreichen, dass sie mit uns in einen Dialog tritt“, so Müller weiter. Außerdem fordert er eine „sofortige Stellungnahme“, eine „gerechte Lösung“ und eine „fachkompetente Kontrolle dieser und aller zukünftigen Klausuren“. „Bisher ist es so, dass die Lehrer, die die Prüfungsvorbereitungen an den Schulen tatsächlich machen, bei den Prüfungsaufgaben nicht mitreden können“, so Müller. „Wir würden es gut finden, wenn diese Lehrer die Aufgaben kontrollieren könnten, bevor sie beschlossen werden“, so Müller weiter.

Die Schulbehörde kündigte am Montag an, sie werde prüfen, ob die Aufgaben zu schwer waren. Rund 2600 Abiturienten hätten am Freitag das schriftliche Mathe-Abitur geschrieben, davon 1200 auf erhöhtem Niveau. Wie immer habe die Behörde eine Hotline eingerichtet, bei der die Prüfungsbeauftragten aller Schulen auf Probleme hinweisen konnten. Es habe am Freitag aber keine Meldungen gegeben, so dass die Behörde von einem ordnungsgemäßen Ablauf ausgehe, erklärte Behördensprecher Peter Albrecht auf Abendblatt-Anfrage. „Wir nehmen die nun über eine Online-Petition bekannt gewordenen Rückmeldungen von Schülern aber trotzdem ernst und prüfen sorgfältig, ob die Mathematik-Prüfung zu schwer gewesen sein könnte und die Schülerinnen und Schüler nicht ausreichend vorbereitet sein könnten.“ Bisher lägen dazu keine Erkenntnisse vor.

Gemeinsamer Abitur-Aufgabenpool seit 2017

Die Aufgaben seien in neun Bundesländern gleich gewesen. Insofern sei auf Bundesebene zu prüfen, ob die Prüfungen zu schwer waren. „Hamburg kann und wird hier nicht alleine handeln, sondern zusammen mit den anderen Bundesländern“, so Albrecht. „Wir haben jetzt aktiv Rückmeldungen aus den Schulen abgefordert, werden das sorgfältig auswerten und dann Lösungen suchen.“ Die Abitur-Prüfungsaufgaben kommen seit 2017 aus dem bundesweiten Abituraufgabenpool der Kultusministerkonferenz und sind vom IQB Berlin (Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, Humboldt-Universität Berlin) überprüft worden.

Tatsächlich hat sich der Protest gegen die Matheklausur auf weitere Bundesländer ausgeweitet. Auch in Bremen, dem Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Berlin wurden Petitionen mit dem gleichen Tenor gestartet. Bundesweit sind so inzwischen mehr als 80.000 Unterzeichner zusammengekommen. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) – die größte Fachgewerkschaft innerhalb des deutschen Beamtenbundes – fordert eine Überprüfung. „Man muss die Kritik ernst nehmen“, sagte der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann am Montag. Wenn es sich herausstelle, dass die Kritik berechtigt sei, könne der Schlüssel bei den Bewertungen angepasst, die Prüfungen also weniger streng bewertet werden. Es könne aber auch Abhilfe geschaffen werden, indem Prüfungen neu abgelegt werden. Untersucht werden müsse, ob die Aufgaben inhaltlich und zeitlich bewältigbar seien. Angesichts des Lehrermangels stelle sich zudem die Frage, inwieweit Lücken auch auf Unterrichtsausfall zurückzuführen seien.

Von dem Hamburger Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hieß es am Montag: „Derzeit lässt sich seriös noch wenig dazu sagen. Wir halten es für sinnvoll, die doch zahlreichen Beschwerden zum Anlass zu nehmen, eine fachliche Überprüfung in Angriff zu nehmen“, so Geschäftsführer Dirk Mescher.

Schulexpertin fordert Überprüfung der Klausur

Die Schulexpertin der Linken-Bürgerschaftsfraktion, Sabine Boeddinghaus, forderte ebenfalls eine Überprüfung der Klausur und äußerte Verständnis für die Petitionen der Schüler: In Zukunft müsse es deswegen einen „Realitätscheck der zentral gestellten Aufgaben durch die Lehrkräfte vor Ort“ geben