Hamburg. Der EU-Abgeordnete hat ein Recht auf seine Beamtenstelle als Wirtschaftsprofessor. Wie die Hochschule auf das Szenario reagiert.

Die Europawahl am 26. Mai könnte der Universität Hamburg einen prominenten „Neuzugang“ und gleichzeitig eine brisante Personalie bescheren: Bernd Lucke, Mitbegründer der AfD und seit 2014 EU-Abgeordneter, möchte an die Uni zurückkehren, falls er den Wiedereinzug in das Straßburger Parlament verpassen sollte. „Sollte der Erfolg ausbleiben, würde ich auf meine Stelle als Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg zurückkehren“, sagte der 56-Jährige dem Abendblatt.

Sein Beamtenverhältnis ruht, seit er sich 2014 entschieden hatte, Vollzeitpolitiker zu werden. Wie die Universität auf Abendblatt-Anfrage bestätigte, besteht in solchen Fällen generell ein Rückkehrrecht auf dieselbe Stelle. Offen ist nur, inwiefern das auch den Posten als Geschäftsführender Direktor des Instituts für Wachstum und Konjunktur an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften beinhaltet. Denn das ist nach Auskunft der Hochschule ein Wahlamt, dessen Besetzung regelmäßig wechselt.

Hochschulleitung ist politisch neutral

Ein neues Domizil müsste Lucke sich im Fall einer Rückkehr nach Hamburg jedenfalls nicht suchen: Auch wenn er sich die meiste Zeit in Straßburg und Brüssel aufhält und seine Frau in Neubrandenburg arbeitet, ist das Haus in Winsen an der Luhe, vor den Toren der Hansestadt, nach wie vor der Fixpunkt der Familie – Lucke und seine Frau haben fünf Kinder.

An der Universität möchte man die mögliche Rückkehr des Volkswirtschaftlers zwar nicht bewerten. „Die Uni“ habe ohnehin keine einheitliche Meinung, sagte eine Sprecherin. Und grundsätzlich gelte: „Die Hochschulleitung bewertet die politischen Positionen von Mitgliedern der Universität nicht.“

Lucke bezeichnet die AfD als „unwählbar“

Dennoch dürfte die Personalie Aufmerksamkeit erregen. Denn was Lucke und einige Weggefährten, die meisten Wissenschaftler wie er, 2013 angestoßen haben, als sie aus Verärgerung über die Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung die „Wahlalternative“ gegründet hatten, aus der dann die „Alternative für Deutschland“ (AfD) wurde, hat das politische System der Bundesrepublik nachhaltig erschüttert.

Die AfD sitzt inzwischen nicht nur in allen 16 Länderparlamenten und seit 2017 auch im Bundestag, sie könnte bei den anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland auch erstmals stärkste Kraft werden. Vor allem aber hat sie mit ihren populistischen Attacken gegen die „Altparteien“ und die „Lügenpresse“ das politische Klima in Deutschland nachhaltig vergiftet.

Deutliche Worte

Wer Lucke in diesem Frühjahr trifft, hat den Eindruck, dass ihm diese kurze Phase seines Lebens recht unangenehm ist. Er nutzt jede Gelegenheit, sich von der AfD zu distanzieren, und scheut dabei auch vor deutlichen Worten nicht zurück. „Wenn ich gewusst hätte, was aus der AfD wird, würde ich sie nicht noch einmal gründen“, sagt Lucke und betont: „Heute steht die AfD unter Einflüssen, die sie unwählbar machen.“ Bei der Vorstellung seines Buchs „Systemausfall“ – der Begriff spielt auf die EU ebenso an wie auf die seiner früheren Partei – bezeichnet er den umstrittenen Verleger Götz Kubitschek als den wichtigsten Strippenzieher des Rechtsaußen-Flügels um Björn Höcke, sein Buch nennt er eine „Kampfansage an die AfD“.

Dennoch hält Lucke, der 33 Jahre lang CDU-Mitglied war, die Gründung der „Wahlalternative“ 2013 nach wie vor für „nötig, weil es keine andere eurokritische Partei gab“. Bernd Lucke ist eigentlich ein höflicher und kluger Gesprächspartner. Dennoch sind Treffen von Journalisten mit ihm per se nicht ganz spannungsfrei. Denn auf der einen Seite wird nicht vergessen, dass die AfD eine ganze Branche pauschal als „Lügenpresse“ oder wahlweise „System-Medien“ diffamiert hatte.

Auf der anderen Seite ist Lucke überzeugt, dass die kritische Berichterstattung über seine Partei ihm geschadet und letztlich auch seinen Abgang herbeigeführt haben. „Das war eine selbsterfüllende Prophezeiung. Je länger wir als ,rechts‘ verunglimpft wurden, desto mehr zogen sich gemäßigte Mitglieder zurück, und die hartgesottenen kamen.“

Streit um die Ausrichtung der LKR

Mit den meisten prominenten Weggefährten dieser Zeit – Frauke Petry, Alexander Gauland, Jörg Meuthen (EU-Abgeordneter wie er) – liegt er heute mehr oder weniger über Kreuz. Selbst zwischen ihm und dem gebürtigen Hamburger Hans-Olaf Henkel, der mit Lucke zusammen 2015 die AfD aus Protest gegen den Rechtsruck der Partei verlassen und die Liberal-Konservativen Reformer (LKR) gegründet hatte, herrscht inzwischen Funkstille. Nach einem langen Streit um die Ausrichtung der LKR und wegen unterschiedlicher Auffassungen in der Euro-Politik, verließ Henkel die neue Partei im September 2018.

Auch zur Hamburger AfD, in der Lucke aufgrund seines Wohnortes in Niedersachsen nie ein Amt oder Mandat innehatte, hat er kaum noch Verbindungen. Einzig zum früheren Partei- und Fraktionschef in der Bürgerschaft, Jörn Kruse, habe er noch Kontakt, sagte Lucke – was bezeichnend ist, denn der Wirtschaftswissenschaftler Kruse hat die AfD ebenfalls verlassen, nachdem er sich mit seiner innerparteilichen Kritik an dem Rechtskurs nicht hatte durchsetzen können.

Generelle EU-Kritik relativiert Lucke

Und seine kritische Haltung zur EU? Die habe sich nach fünf Jahren im Europaparlament durchaus gewandelt, räumt Lucke ein. „Ein gewisses Maß an Bürokratie ist leider unvermeidlich, wenn man Gesetze machen will, die 28 verschiedenen Staaten gerecht werden sollen.“ Bestätigt habe sich hingegen aus seiner Sicht die mangelnde Qualität vieler EU-Gesetze. So habe die EU das Asylrecht für politisch Verfolgte unbedacht auf alle Kriegsflüchtlinge ausgedehnt. „Aber ohne die Verteilung zu regeln“, so Lucke. „Deshalb musste das System bei einem großen Ansturm zusammenbrechen.“ Er schlägt daher „Kontingentlösungen“ vor, wobei das Asylrecht für politisch Verfolgte unangetastet bliebe, aber bei Kriegsflüchtlingen jedes EU-Land selbst entscheiden dürfte, wie viele es aufnehmen wolle.

Bei dem Thema hat er sich gar nicht so weit von seiner früheren Partei entfernt. Doch im Gegensatz zur heutigen AfD-Führung hat sich Lucke einen gewissen professoralen Habitus bewahrt. Möglicherweise kann er den demnächst wieder im gewohnten Umfeld pflegen.

Wobei: Ganz aufgegeben hat er die Hoffnung auf eine Mandatsverlängerung noch nicht. „Ein Prozent der Stimmen für die LKR würde für ein Mandat reichen“, sagt Bernd Lucke – und schiebt zwei Sätze hinterher, die doch mehr nach Politiker als nach Wissenschaftler klingen: „Aber das ist nicht unser Ziel. Wir wollen mindestens drei Prozent.“