Hamburg. Im Verfahren um Elbchaussee-Randale sei „wenig Verlass“ auf Ermittlungsakten. Videos sollen „suggestiv“ sein

Es ist eine weitere Zuspitzung in einem ohnehin brisanten G-20-Prozess: Die Verhandlung vor dem Landgericht gegen fünf mutmaßliche Randalierer von der Elbchaussee wird deutlich verlängert, weil laut der Vorsitzenden Richterin Zweifel an den schriftlichen Ermittlungsergebnissen der Polizei aufgetaucht sind. In einem Beschluss ist davon die Rede, dass auf die Akten „wenig Verlass“ sei, Zeugen einzelne ihnen zugeschriebene Aussagen als „Quatsch“ bezeichnet haben und das Videomaterial des brandschatzenden Mobs in Altona „suggestiv“ bearbeitet worden sei.

Ein Gerichtssprecher bestätigte auf Anfrage, dass veranlasst wurde, deutlich mehr Zeugen in der Hauptverhandlung zu hören als bislang geplant. „Dadurch wird sich auch die Gesamtdauer des Verfahrens verlängern“. Statt im Mai soll nun erst im September ein Urteil fallen. Der Gerichtssprecher betonte, dass der Polizei keine falschen Angaben in den Ermittlungsberichten vorgeworfen würden – oder gar der Verdacht im Raum stehe, dass sie schriftlich festgehaltene Aussagen von Zeugen erfunden habe. Die in den Ermittlungsakten beschriebenen Details bedürften jedoch einer intensiveren Nachprüfung bedürfen als zunächst angenommen.

Zeugen bestreiten einzelne Aussagen

Bei der Vorsitzenden Richterin handelt es sich um Anne Meier-Göring, die bereits bei den Prozessen um Übergriffe in der Silvesternacht 2015/2016 und einem Verfahren der Soko „Cold Cases“ bei der Polizei teils deutliche Kritik an der Polizeiarbeit geübt hatte. Ihre Begründung für den Beschluss in dem aktuellen Fall stützt sich unter anderem darauf, dass ein bereits als Zeuge gehörter Beamte eingeräumt habe, bei einer Angabe zu der sogenannten „Fingertaktik“ von G-20-Gegnern habe es sich lediglich um eine „Arbeitshypothesen“ gehandelt.

Die Aussage dieses und eines weiteren Polizisten habe offenbart, dass „selbst aus Sicht der Polizei keineswegs alles so klar sei, wie es der Abschlussbericht vermuten lasse“, so der Gerichtssprecher. Weitere Zeugen hätten bestritten, einzelne Aussagen wie in den Akten vermerkt getätigt zu haben. Und auch Videoaufnahmen der Randalierer von der Elbchaussee seien weniger aussagekräftig, als es auf den ersten Blick scheine. Dies gälte „insbesondere dann, wenn man die Videos ohne die – aus Sicht der Kammer suggestiven – Bearbeitungen durch einen Polizeiauswerter in Augenschein nehme.“, hieß es am Mittwoch vom Gericht. Zuvor hatte der NDR über den Beschluss berichtet.

Staatsanwaltschaft hält die Vorwürfe für unbegründet

Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft wollte den Beschluss mit Blick auf die laufende Verhandlung nicht kommentieren. Sie bestätigte aber, dass man Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt habe, die nun jedoch vom Oberlandesgericht abgelehnt wurde. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Staatsanwaltschaft die Kritik der Richterin – etwa im Gegensatz zum „Cold-Cases“-Prozess – im aktuellen Fall für unbegründet hält.

Bereits vor Prozessbeginn hatte die Staatsanwaltschaft einen Befangenheitsantrag gegen Meier-Göring gestellt, war damit jedoch ebenfalls gescheitert. Für den ausgedehnten Prozess wird den Angeklagten nun jeweils ein zusätzlicher Pflichtverteidiger gewährt.