Hamburg. Senator Westhagemann will Hamburg zur “Modellstadt für intelligente Mobilität“ machen. Wo man Testfahrzeuge beobachten kann.
Vier Kameras und fünf Laserscanner auf dem Dach, Schriftzüge mit dem Hinweis „autonomes Fahren“ auf den Fahrertüren: Die fünf weiß lackierten Autos von Volkswagen sind leicht als Testfahrzeuge zu erkennen. Noch mehr Aufmerksamkeit würden sie mitten in der Hamburger Innenstadt wohl ohne Fahrer auf sich ziehen, aber ein solcher Betrieb ist bisher nicht erlaubt. Aus Sicherheitsgründen wird immer ein Profi am Lenkrad sitzen, wenn die fünf voll automatisierten Wagen künftig auf einer Strecke rund um die Messehallen unterwegs sind. VW spricht deshalb von vollautomatisierten Fahrten. Erst bei der nächsten Stufe würde die Technik komplett das Steuer übernehmen – das wäre „echtes“ autonomes Fahren.
Hamburg soll "Modellstadt für intelligente Mobilität" werden
Die Testfahrten sind Teil einer „strategischen Mobilitätspartnerschaft“, die VW und Hamburg seit August 2016 pflegen. Nun geht daraus das erste Pilotprojekt des Wolfsburger Konzerns mit computergesteuerten Elektroautos in einer deutschen Großstadt hervor. VW möchte neue Erkenntnisse über autonomes Fahren gewinnen. Der Senat erhofft sich eine Vorreiterrolle der Hansestadt bei der Mobilität von morgen und möchte möglichst gut dastehen, wenn 2021 in Hamburg der Weltkongress für intelligente Verkehrssysteme stattfindet. „Wir werden Hamburg als Modellstadt für intelligente Mobilität etablieren“, kündigte Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) an.
Bislang habe VW autonomes Fahren nur auf dem Wolfsburger Werksgelände getestet, sagte Axel Heinrich, Leiter der VW-Konzernforschung, am Mittwoch. Der Schritt in den realen Stadtverkehr sei eine große Herausforderung, weil dort viel mehr Situationen zu berücksichtigen seien: mit Radfahrern, Fußgängern, schnellen Spurwechseln, Ampeln, schmaleren Fahrspuren. Für Autobahnen, wo alle Fahrzeuge in ähnlicher Geschwindigkeit in dieselbe Richtung fahren, seien autonom fahrende Fahrzeuge einfacher zu entwickeln.
Wirtschaftssenator lädt "weitere interessierte Nutzer" zur Teilnahme ein
In den Hamburger Testfahrzeugen nimmt Computertechnik den gesamten Kofferraum ein. Über den Mobilfunkstandard LTE kommunizieren die Autos untereinander und mit sechs technisch aufgerüsteten Ampeln auf der Strecke. Die neue Technik erhalten sollen bis Ende 2020 dann 37 Ampeln auf der insgesamt neun Kilometer langen Teststrecke, die vom Dammtor-Bahnhof unter anderem über Messehallen, Landungsbrücken, Elbphilharmonie, Rödingsmarkt und zurück führt. Der VW-Test beschränkt sich zunächst auf einen Abschnitt der Route an den Messehallen.
Das VW-Projekt wird knapp 22 Millionen Euro kosten. Davon übernimmt das Bundesverkehrsministerium bis zu 10,8 Millionen Euro. Die andere Hälfte zahlt VW. Exklusiv sei die Zusammenarbeit mit VW nicht, sagte Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) am Mittwoch: „Weitere interessierte Nutzer aus Industrie und Wissenschaft sind herzlich eingeladen, Anwendungen des automatisierten Fahrens zu testen.“
Lob für den Testbetrieb kam von der Opposition. Durch solche Technologien werde das Fahren attraktiver, umweltfreundlicher und sicherer; Staus ließen sich vermeiden, sagte FDP-Bürgerschaftsfraktionsmitglied Ewald Aukes.
Grüne erhoffen sich davon „am Ende eine andere Stadt“
Kurz nach der Präsentation des VW- Vorhabens stellte die Grünen-Bürgerschaftsfraktion ein Gutachten zum autonomen Fahren vor, das sie mit anderen Grünen-Landtagsfraktionen beim Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) in Auftrag gegeben hatte.
Um die Ergebnisse einordnen zu können, muss man folgende Einstufung kennen: Automatisiertes Fahren auf Level 3 bedeutet, dass ein Auto etwa selbstständig einparken kann, ansonsten aber vom Fahrer gesteuert wird. Level 4 steht dafür, dass ein Fahrzeug zwar theoretisch voll automatisiert fahren kann, aber in der Regel nur in einem begrenzten Areal. In diese Kategorie fällt der VW-Test in der Innenstadt. Level 5 bedeutet, dass ein Fahrzeug auch ohne Fahrer voll automatisiert auf allen Routen fahren könnte.
Anzahl der privat genutzten Autos ließe sich drastisch reduzieren
Ein zentrales Ergebnis der WZB-Studie: Würde man den öffentlichen Verkehr mit Bussen, Bahnen und Fahrrädern durch automatisierte Fahrzeuge der Kategorie 4 ergänzen, ließe sich die Zahl der privat genutzten Autos in Großstädten wie Hamburg von derzeit mehr als 500 auf 150 pro 1000 Einwohner reduzieren. Erreichbar wäre das vom Jahr 2025 an, sagte Studienleiter Prof. Andreas Knie. Dazu müsse allerdings das ÖPNV-Angebot verdoppelt werden.
Etwa ein Viertel der Angebote wäre dann „on demand“ verkehrende, per Smartphone buchbare Shuttles. Solche Fahrzeuge könnten Menschen auf abgegrenzten Strecken von Tür zu Tür bringen oder sie zu einem Verkehrsknotenpunkt befördern, wo die Fahrgäste in Bus und Bahn umsteigen. Bei einem Betrieb mit Fahrzeugen der Kategorie 5 könnte die Zahl der privat genutzten Autos sogar auf 40 bis 50 Einheiten pro 1000 Einwohner gesenkt werden, sagte Knie. In den kommenden 20 Jahren werde es solche „Roboter-Taxis“ aber nicht auf Deutschlands Straßen geben.
795.000 Fahrzeuge fahren derzeit durch Hamburg
In der städtischen Verkehrsplanung könne man das autonome Fahren so einsetzen, „dass wir am Ende eine andere Stadt haben“, sagte Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks. Derzeit gebe es in der Hansestadt 795.000 Fahrzeuge. „Die Autos beparken eine Fläche von Binnen-, Außenalster, Stadtpark, Ottensen und St. Pauli.“ Durch vollständig autonome Flotten lasse sich diese Fläche erheblich reduzieren. „Dann sind wir vielleicht nur noch bei der Binnenalster.“
WZB-Forscher Andreas Knie sagte, die Politik müsse jetzt Entscheidungen für ein solches Vorhaben treffen. Ansonsten könne die zunehmende Automatisierung, die von der Industrie als Antwort auf die Verkehrsprobleme vermarktet werde, zu einer Zunahme der Fahrzeuge und mehr „Flächenkonkurrenz“ mit ÖPNV und Fahrrädern führen. „Die automatisierten Shuttles werden unter diesen Bedingungen nicht aus ihrer Nische herauskommen“, sagte Knie.
Das sehen auch die Grünen so. „Der Diskurs um autonomes Fahren wird momentan vor allem von Digitalkonzernen und von Automobilherstellern vorangetrieben“, sagte Martin Bill, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. „Das Gutachten verweist auf die Risiken dieser einseitigen Entwicklung: Wenn Massen an privaten autonomen Fahrzeugen die Straßen fluten, ist ein Verkehrskollaps unausweichlich. Umso wichtiger ist es, rechtzeitig politisch zu steuern und Fehlentwicklungen vorzubeugen.“