Hamburg. Winter zu nass und zu warm: Die Natur in Hamburg ist ihrer Zeit zwei Wochen voraus – und die Blütezeit besonders lang.
Zu nass, aber auch deutlich zu warm – so lässt sich das Hamburger Wetter der vergangenen Monate zusammenfassen. Durch dieses Zusammenspiel hat die Natur allerdings mächtig Auftrieb bekommen. Die Vegetation ist ihrer Zeit deutlich sichtbar voraus – Büsche und Bäume zeigen bereits grüne Spitzen – laut Matthias Olinski, technischer Leiter von Planten un Blomen, etwa zwei Wochen früher als sonst. Darin ist er sich mit dem Wetterexperten Frank Böttcher von Wetter.net einig.
Begünstigt wurde der vorzeitige Frühlingsstart durch die üppigen Niederschläge in den Wintermonaten und die vergleichsweise hohen Temperaturen, die dabei herrschten. Von Anfang Dezember 2018 bis Ende März 2019 gab es nach Angaben von Thore Hansen, Meteorologe beim Seewetteramt des Deutschen Wetterdienstes in Hamburg, 17 Prozent mehr Niederschläge als im langjährigen Mittel – insgesamt waren es in dem Viermonatszeitraum 204,6 Liter. Am meisten regnete es im März 2019 – im vergangenen Monat waren es sogar 62 Prozent mehr als im Mittel – Regen und Graupelschauer sorgten für 91,4 Liter an Niederschlägen.
Darüber hinaus waren die Temperaturen höher als im Mittel. „Im Februar war es 4,2 Grad wärmer, im März 3,3 Grad wärmer“, sagt Hansen. Insgesamt sei es in den vergangenen zwölf Monaten wärmer als im Mittel gewesen. Zuletzt sei es im März 2018 1,7 Grad kälter gewesen als im Mittel. Als Mittel nehmen die Meteorologen vom Deutschen Wetterdienst die 30 Jahre von 1961 bis 1990. Erst 2020 werde ein neues Mittel errechnet, sagt Meteorologe Thore Hansen.
Natur ist schneller in die Gänge gekommen
Zu warme Temperaturen über einen längeren Zeitraum seien ungewöhnlich, betont er. Im 20. Jahrhundert habe es das in Deutschland nie gegeben, seit der Jahrtausendwende allerdings bereits dreimal. „Weil es zwischendurch sehr warm war, ist die Natur schneller in die Gänge gekommen“, sagt Olinski, der „Chef“ von Planten un Blomen, dem Abendblatt. Denn während die Tulpen seinen Angaben zufolge üblicherweise erst Mitte oder Ende April blühen, zeigten sie bereits jetzt Farbe. „Im Moment blühen die frühen Wildtulpen gemeinsam mit den Narzissen, die üblicherweise später dran sind“, sagt Olinski. Obwohl die Nächte nach wie vor sehr kühl seien, sei trotzdem nicht zu befürchten, dass die Blütenpracht nur von kurzer Dauer sein wird. Blieben auch die Nächte warm, würde es anders aussehen.
Die vielen Frühlingsblüher seien ein Fest für Insekten, die sich durch das große Nahrungsangebot gut entwickeln könnten, sagt Olinski. Auch die Bäume zeigten bereits erstes grüne Blattspitzen und sogar die ersten Rhododendren blühten in Planten un Blomen schon. „Als Stadtmenschen können wir uns freuen“, sagt Olinski fröhlich.
Erste Zitronenfalter sind schon unterwegs
Carsten Schirarend, Wissenschaftlicher Leiter des Botanischen Gartens in Klein Flottbek, ist mit seiner Einschätzung etwas verhaltener: „Aus unserer Sicht sind die krautigen, also bodennahen Pflanzen bestenfalls um eine Woche voraus und die bodenferneren holzigen Pflanzen (Bäume und Sträucher) bestenfalls um ein bis zwei Wochen.“ Dass die Natur in diesem Frühjahr ungewöhnlich weit vorangeschritten sei, könnten er und seine Kollegen nicht bestätigen. „Da sich die Temperaturen nach der ungewöhnlich warmen Phase im Februar wieder normalisiert haben, hat sich auch der Zustand der Pflanzen auf ein durchschnittliches Entwicklungsmaß eingependelt.“
Anbaden an den Küsten: Jetzt ist der Frühling da
Carsten Bargmann, Geschäftsführer des Bauernverbands Hamburg e. V. ist mit dem Frühjahr nach dem trockenen Sommer 2018 bisher jedenfalls sehr zufrieden. „Die Wassersituation normalisiert sich“, sagt er. In diesen Tagen würden viele Gemüse- und Salatpflanzen im Freiland gesetzt. Für bunte Salate, Rucola, Kohlrabi und frühe Kohlsorten, die unter Vlies gepflanzt werden, sei es jetzt die richtige Zeit. Die Erde habe die nötige Feuchtigkeit, sei aber nicht zu nass und lasse sich gut bearbeiten. „Das sind gute Bedingungen. Es ist alles im grünen Bereich.“
Diesen Eindruck teilt auch Krzysztof Wesolowski. Der Diplom-Biologe war lange für den Naturschutzbund Deutschland tätig und ist immer noch ehrenamtlich dabei. „Die ersten Amphibien waren schon Anfang März unterwegs, danach hatte es ein bisschen gestoppt, weil es wieder kälter wurde“, sagt Wesolowski. „Wenn die Temperaturen steigen, steigt erneut die Bewegung zu den Gewässern an.“ Radfahrer und Autofahrer sollten jetzt nachts achtgeben, mahnt der Naturschützer. Auch die ersten Zitronenfalter seien unterwegs – früher als üblich, so Wesolowskis Einschätzung. „Da erwacht schon die Natur.“