Hamburg. Wie Bürgermeister Tschentscher die Debatte um eine Friedhofsgebühr beendete und warum das bei den Dieselfahrverboten schwerer wird.

Ob Helmut Schmidt wohl Freude an diesem „Machtwort“ gehabt hätte? Hätte Hans Albers und Ida Ehre die Inszenierung gefallen? Und was würde wohl Henning Voscherau zum Auftreten seines Nachfolgers sagen? Alle diese berühmten Persönlichkeiten ruhen auf dem Friedhof Ohlsdorf, und der stand in den vergangenen Tagen im Mittelpunkt einer ungewöhnlichen politischen Auseinandersetzung.

Das kam so: Bekanntlich besuchen jedes Jahr Zehntausende Menschen die riesige Grünanlage – als Gäste einer Trauerfeier, um die Gräber ihrer Angehörigen zu pflegen, einen Spaziergang zu machen oder halt, um an die Grabstätten prominenter Hamburger zu pilgern.

Und dann gibt es noch die rund 3000 Autofahrer pro Tag, die den „größten Parkfriedhof der Welt“ schlicht als Abkürzung nutzen und einmal quer über die Nekropole fahren – ist zwar nicht erlaubt, aber möglich und halt praktischer, als die knapp 400 Hektar große Fläche umfahren zu müssen. Doch wie spätestens bei einem Bürgerforum 2016 herauskam, sind Anwohner, Trauergäste und andere Freunde der grünen Oase von diesem Durchgangsverkehr genervt.

Tschentscher verfolgte Maut-Debatte im Urlaub

Daher wollte die Friedhofsverwaltung dem einen Riegel vorschieben. Unter mehreren geprüften Varianten kristallisierte sich spätestens seit Mai 2018 „die Einführung eines entgeltpflichtigen automatischen Schrankensystems“ als Favorit heraus, also eine Friedhofs-Maut. Seinerzeit informierte die städtische Gesellschaft Hamburger Friedhöfe AöR ihren Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender Umwelt-Staatsrat Michael Pollmann ist, über ihre Pläne. Lange Zeit nahm die Öffentlichkeit davon keine Notiz, auch nicht, als die Friedhofsverwaltung ihre Überlegungen intern präzisierte: 50 Cent sollten demnach normale Friedhofsbesucher zahlen, für „Durchfahrer“, die sich weniger als 30 Minuten auf dem Areal aufhalten, sollte die Gebühr bis zu drei Euro betragen.

Doch als der Vorgang vor rund einem Monat publik wurde, war die Aufregung groß. Dass der Senat Ende Februar auf Anfrage der FDP mitteilte, die Entscheidung sei noch nicht gefallen, nützte das wenig – denn aus der in der Umweltbehörde verfassten Antwort ging klar hervor, dass eine Maut favorisiert wird. Und so bekam Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) Anfang März auch im Urlaub an der Küste mit, wie daheim in Hamburg immer erhitzter diskutiert wurde, dass sein Senat Trauergäste und andere Friedhofsbesucher abkassieren wolle – für den Chef im Rathaus eine einigermaßen absurde Vorstellung.

Doch obwohl führende Sozialdemokraten den Grünen um Umweltsenator Jens Kerstan mittlerweile deutlich signalisiert hatten, was sie von der Maut hielten, war die Lage nach Tschentschers Rückkehr am Montag weiterhin unklar. Da der Bürgermeister für den frühen Nachmittag ein Interview beim Fernsehsender „Hamburg 1“ zugesagt hatte und ihm klar war, worauf er dort garantiert angesprochen wird, erkundigte er sich kurz vor der Sendung in der Umweltbehörde: Ist das Thema Maut noch aktuell? Antwort: ist noch nicht entschieden.

Umweltbehörde von Tschentscher-Reaktion überrascht

Und so kam es zu den Aussagen, die später als klares „Machtwort“ interpretiert wurden: „Ich sehe dort keine Maut, die dazu führt, dass die Leute, die die Gräber ihrer Angehörigen besuchen, zur Kasse gebeten werden“, sagte Tschentscher im Interview mit Herbert Schalthoff und fügte noch hinzu: „Das gehört sich nicht, und das gibt es auch nicht.“ Dass ein Senatschef die – ganz offensichtlich mit Billigung der zuständigen Fachbehörde – erstellten Pläne eines städtischen Unternehmens derart abbügelt, kommt sehr selten vor, zumal bei Tschentscher, der eher ein Freund der leisen Töne und kein Basta-Politiker ist.

Doch ganz so deutlich, wie der Vorgang auf den ersten Blick wirkt, war er auch nicht, das verdeutlicht der Zeitablauf: Ebenfalls am Montag hatte sich das Abendblatt in der Umweltbehörde nach dem Stand der Dinge in Sachen Maut erkundigt. Das Statement von Staatsrat Pollmann kam um 17 Uhr, nur 20 Minuten nachdem Hamburg1 die Nachricht von Tschentschers Aussagen verbreitet hatte: „Am praktikabelsten erscheint es uns, in der Mitte des Friedhofs eine Schranke einzurichten, die sich bei Bedarf für Gärtner, Bestatter oder Trauerzüge öffnen lässt. Eine solche Lösung wäre technisch schnell umzusetzen, einfach zu handhaben und günstig und gebührenfrei zu betreiben – und ist damit unser Favorit gegenüber einem Bezahlsystem.“

Ob die Behörde in so kurzer Zeit auf die Ansage des Bürgermeisters reagiert, ihre Haltung geändert und ein entsprechendes Statement verfasst hat? Zweifel sind angebracht. Zumal im Hause Kerstan betont wird, man sei ohnehin nicht glücklich mit der Maut gewesen, habe das am Montag kommunizieren wollen und sei dann von Tschentschers Aussagen überrascht worden.

In der Senatsvorbesprechung am Dienstagmorgen im Rathaus soll es jeden falls recht frostig gewesen sein. Die Grünen waren verschnupft ob des Eindrucks, sie seien vom Bürgermeister zurückgepfiffen und wie Schuljungen („Das gehört sich nicht“) gemaßregelt worden. Und Tschentscher soll nicht amüsiert gewesen sein, dass er erstens vor dem Termin bei Hamburg1 nichts von der geplanten Kehrtwende wusste und zweitens diese dann von der Umweltbehörde verkündet wurde, bevor das am Montag aufgezeichnete Interview am Dienstagabend gesendet werden sollte.

Allerdings legten sich die Wellen im Laufe der Woche. Die Schranken-Lösung werde jetzt im Detail ausgearbeitet und dann sei das Thema vom Tisch, hieß es unisono bei Roten und Grünen.

Auch bei Dieselfahrverbot sind Behörden uneins

Ganz anders sieht es mit einem anderen Fahrverbotsthema aus, das am Donnerstag neue Nahrung erhielt. Da beschloss der Bundestag ein Gesetz, wonach Beschränkungen für ältere Diesel-Fahrzeuge „in der Regel“ als unverhältnismäßig anzusehen sind, wenn die Luftbelastung im Jahresmittel nicht bei mehr als 50 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft liegt. Da er in Hamburg, wo es an der Stresemannstraße und an der Max-Brauer-Allee die bundesweit ersten Fahrverbote gab, an den neuralgischen Stellen meist zwischen 40 und 50 Mikrogramm liegt, sehen vor allem CDU und FDP darin nun den Hebel, um die ungeliebten Fahrverbote so schnell wie möglich aufzuheben – Anträge für die Bürgerschaftssitzung am 27. März sind schon geschrieben.

Auf den ersten Blick birgt diese Gemengelage reichlich Konfliktpotenzial für die Koalition: Denn während sich Umweltsenator Kerstan bundesweit als Vorkämpfer gegen Luftverpestung und betrügerische Autokonzerne profilierte, hatte SPD-Innensenator Andy Grote erst kürzlich gesagt, er würde „die Verbotsschilder lieber heute als morgen abschrauben“ – allerdings mit dem Zusatz „wenn ein Verzicht rechtlich möglich wäre“, und das ist der Knackpunkt.

Denn SPD und Grüne betonen einmütig, dass Hamburg erstens nach der Klage eines Umweltverbands vom Gericht dazu verdonnert worden sei, etwas gegen die hohe Luftbelastung zu tun. Und zweitens ändere das neue Bundesgesetz nichts daran, dass EU-weit der Grenzwert von 40 Mikrogramm gelte. Würde man die Fahrverbote aufheben, sei mit erneuten Klagen zu rechnen, die man garantiert verlieren werde.

Bei dem Ziel, die Schilder so schnell wie möglich wieder „abzuschrauben“, bleibe es aber. Und dafür gebe es nur einen Weg: Der Senat müsse den umfangreichen Luftreinhalteplan der Stadt überarbeiten und das Diesel-Verbot durch eine andere Maßnahme ersetzen. Doch das ist leichter gesagt als getan – kein Vergleich zur Friedhofs-Maut.