Hamburg. Seit Andreas Dressel das Amt übernommen hat, ist er scheinbar allgegenwärtig. Dafür gibt es viel Lob – nicht alle sind begeistert.
Dass in Scherzen über Politiker Bewunderung mitschwingt, kommt nicht oft vor. Hans-Dietrich Genscher war so ein seltener Fall. Über den langjährigen Außenminister kursierte zu aktiven Zeiten der Spruch: „Treffen sich zwei Flugzeuge über dem Atlantik und in beiden sitzt Genscher.“ Der FDP-Politiker habe, so schrieb einst der „Spiegel“, das „Prinzip der Allgegenwart in die Politik eingeführt“.
Ein ähnliches Phänomen ist derzeit in Hamburg zu beobachten – und zwar nicht nur bei Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), bei dem die „Allgegenwart“ in der Stadt quasi zur Jobbeschreibung gehört, sondern auch bei seinem Nachfolger in der Finanzbehörde: Seit Andreas Dressel vor knapp einem Jahr den Chefposten am Gänsemarkt übernommen hat, düst der Sozialdemokrat derart emsig durch die Stadt, von Termin zu Termin, von Gespräch zu Gespräch, von Thema zu Thema, dass man mitunter meinen könnte, er müsse einen Doppelgänger haben.
Ob Probleme bei der Verlegung des Fernbahnhofs Altona nach Diebsteich oder die Sanierung der Begegnungsstätte Bergstedt, ob Rückkauf des Fernwärmenetzes oder ein Neubau für das Eimsbütteler Spielhaus im Wehbers Park, ob Haushalt oder günstigere HVV-Tickets für Azubis, ob Verkauf der HSH Nordbank oder Personalversammlung der Kundenzentren, ob zehnter Geburtstag des Telefonischen HamburgService oder Ankauf von Altbauten im Schanzenviertel durch die Stadt zwecks Mieterschutz – an manchen Tagen entsteht der Eindruck, dass es in Hamburg keine Themen gibt, bei denen der Finanzsenator nicht mitmischt. „Manchmal bin ich selbst überrascht, wo er überall auftaucht“, sagt ein SPD-Bürgerschaftsabgeordneter, und er meint es wohlwollend.
Bei jeder politischen Entscheidung geht es um Geld
Gründe für diese Umtriebigkeit gibt es mehrere. Einer ist schlicht in der Struktur der Finanzbehörde zu suchen: Mehr noch als das Justizressort gilt sie als „Querschnittsbehörde“, die zwar nur wenige eigene Themen hat, dafür aber umso mehr, bei denen sie eine Co-Zuständigkeit hat. Liegt ja auf der Hand: Letztlich geht es bei jeder politischen Entscheidung auch um Geld.
Zudem ist sie für sämtliche Immobilien- und Grundstücksgeschäfte der Stadt verantwortlich, und das ist angesichts eines Milliarden-Bauprogramms an den Schulen, der Wohnungsbauoffensive des Senats und den Sanierungsplänen für öffentliche Gebäude ein sehr weites Feld. Und schließlich hat der Finanzsenator die Fachaufsicht über die Bezirke, er ist also der Dienstherr der sieben Bezirksamtsleiter und ihrer 6000 Mitarbeiter. Kurzum: Das Spielfeld des Finanzsenators ist riesig, und Dressel hat sich erkennbar dafür entschieden, die volle Breite und Länge auch zu nutzen – und den Job insofern etwas anders zu interpretieren als sein Vorgänger.
Daraus zu schließen, dass in Tschentschers sieben Jahren am Gänsemarkt Themen links liegen gelassen wurden, wäre allerdings falsch. Für kontinuierliche Befassung sorgt ohnehin der Behördenapparat selbst. Der Unterschied besteht vielmehr darin, in welche Themen sich der Senator sichtbar persönlich einbringt. Unter Tschentscher lag der Schwerpunkt klar auf Finanzthemen: Die Sanierung des Haushalts, die Umstellung auf kaufmännische Buchführung, die Dauerkrise der HSH Nordbank, das waren seine großen Themen, die – vor allem die HSH – ihn auch stark gebunden haben. Hinzu kam: Unter einem Bürgermeister Olaf Scholz hatten alle Senatoren generell weniger Gestaltungsspielraum als Tschentscher seinen Senatsmitgliedern nunmehr selbst gewährt.
Dressel ist sich treu geblieben
Dass Dressel als sein Nachfolger diesen nutzt, überrascht nicht. Von seinen Weggefährten hört man immer wieder die gleichen Sätze: „Er war schon immer so.“ Oder „Er ist sich treu geblieben.“ Tatsächlich war der 44-Jährige schon in den sieben Jahren als SPD-Fraktionschef der Hans Dampf in allen Gassen, der überall mitmischte und regelmäßig Konflikte wegmoderierte, um die Scholz sich nicht selbst kümmern wollte oder konnte. Daher galt er auch als erster Anwärter auf dessen Nachfolge.
Dressel hat seinen Genossen sogar schriftlich angekündigt, wie er sein neues Amt auszufüllen gedenkt: „Mich freut, dass ein Finanzsenator gleichzeitig auch Bezirkssenator ist: Gerade ein Jahr vor den Bezirkswahlen muss für uns die Handlungsfähigkeit unserer sieben Bezirksämter besonders im Fokus stehen“, schrieb er vor einem Jahr an seine Parteifreunde – es war der Brief, in dem er seine Beweggründe für den überraschenden Verzicht auf die Scholz-Nachfolge aus familiären Gründen erläuterte.
Und als „Bezirkssenator“ nimmt er sich nun auch hemdsärmelig Problemen an, bei denen andere Senatsmitglieder wohl etwas zögerlicher wären. Etwa dem des betagten Ehepaares aus Farmsen, das befürchtete, nach mehr als 50 Jahren sein geliebtes Eigenheim verlassen zu müssen, weil die Stadt die Erbpacht-Verträge anpasst und der Pachtzins sich verzwanzigfachen würde. Mehrmals besuchte Dressel das Paar am Wochenende, hörte sich die Probleme an und legte schließlich eine Härtefallregelung vor, mit der beide Seiten leben konnten. Angenehmer politischer Nebeneffekt: Die Tochter des Paares wurde in einer Boulevardzeitung mit den Worten zitiert: „Der Senator hat mir den Glauben an die Politik zurückgegeben. Er hat sich gekümmert. Danke.“
Doch noch Bürgermeister?
Man möchte meinen, dass in solchen Momenten im Rathaus Sektkorken knallen und Fäuste geballt werden: Yeah, wieder ein Problem gelöst und dabei auch noch Bürgernähe gezeigt. Doch auf Senatsebene löst die Umtriebigkeit des Finanzsenators eher Skepsis aus. Dressel spreche sich nicht ausreichend ab und mache Versprechungen, die den Senat dann binden würden – die Erbaurecht-Geschichte sei dafür nur ein Beispiel, heißt es in Senatskreisen. „Er kann nicht Nein sagen und möchte immer alle Probleme lösen.“ Er habe dabei zwar nur Gutes im Sinn, bringe aber andere Senatsmitglieder mitunter in Schwierigkeiten.
Einige Genossen unken gar, Dressel wolle unbedingt zeigen, dass er doch ein guter Bürgermeister wäre und sich als möglicher Tschentscher-Nachfolger in Stellung bringen – schließlich habe er sich diese Hintertür in besagtem Brief vor einem Jahr offen gehalten. Doch das wird nicht nur im Umfeld des Finanzsenators als Quatsch abgetan. „Das ist kein Schaulaufen“, sagte ein enger Weggefährte. „So ist er einfach. Der hat richtig Bock auf Politik und will was reißen.“
Ein SPD-Abgeordneter geht sogar noch weiter: „Ich finde, er macht das exzellent und würde mir wünschen, dass alle Senatoren so zupackend wären.“ Dass die Stadt zuletzt mehrfach bei Mietshäusern ihr Vorkaufsrecht genutzt habe, um Mieter vor Spekulanten zu schützen, sei vor allem das Verdienst des neuen Finanzsenators, so der Sozialdemokrat: „Das Instrument gab es schon lange, es ist nur vorher nie genutzt worden.“ Interessant ist, wie die Mitarbeiter der Bezirke, als deren Vorkämpfer Dressel auftritt, ihn wahrnehmen. Von „hoher Dialogbereitschaft“ ist da die Rede.
Der Senator höre zu und sei bereit zu helfen. Dass er zur Personalversammlung gekommen sei, werde ihm hoch angerechnet. Indes: An der hohen Belastung, fehlendem Personal und unterdurchschnittlicher Bezahlung habe er auch noch nichts geändert, sondern betont, das könne er nicht allein entscheiden. Das wiederum wird man im Rathaus vermutlich gern hören.