Hamburg. In der Hamburger Martini-Klinik steuert der Chirurg viele Prostata-Eingriffe über eine Konsole. Der Patient zahlt 2000 Euro mehr.
Auf dem Operationstisch in der Hamburger Martini-Klinik liegt ein Patient in Vollnarkose. Heute wird ihm die vom Krebs befallene Prostata entfernt. Dabei vertraut er modernster Technik. Operieren lässt sich der 58-Jährige nämlich mithilfe des Operationsroboters „Da Vinci“. Zunächst sind jedoch rein menschliche Fähigkeiten gefragt. Zwei Assistenzärzte reiben den Bauch des Patienten mit Jod ein, eine Anästhesistin überwacht an dessen Kopfende die Lebenszeichen, die OP-Schwestern überprüfen das Operationsbesteck.
Währenddessen zieht sich der Urologe Prof. Markus Graefen einen sterilen Kittel über die grüne OP-Kleidung. Dann tritt er an den Tisch und setzt mit einem Skalpell kleine Schnitte in die Bauchdecke des Patienten. In diese werden schmale Röhren eingeführt, an die später die Roboterarme gekoppelt werden. Da Vinci steht schon bereit. Seine vier mit großen Nummern versehenen Arme sind steril in Folie verpackt. Drei davon sind mit Instrumenten versehen, an einem hängt eine 3-D-Kamera, die den Eingriff filmen wird und als Auge des Operateurs fungiert. Über drei große Bildschirme, die im Operationssaal hängen, kann zudem das gesamte OP-Team den Eingriff mitverfolgen.
Operieren an der Computerkonsole
Die Da-Vinci-Operation ist ein minimalinvasiver Eingriff. Statt am geöffneten Körper findet die Operation im Körperinnern statt. Durch möglichst kleine Einschnitte werden bei dieser chirurgischen Methode die Verletzungen des Körpers so gering wie möglich gehalten.
Als die Roboterarme an ihrer Position sind, endet die Präsenz des Operateurs an der Seite des Patienten. Prof. Graefen tritt vom Operationstisch zurück, zieht den weißen Kittel aus, streift seine grünen Gummilatschen ab und setzt sich in Socken an eine Konsole in der hinteren Ecke des Raumes. Sein Kopf verschwindet in einer überdimensionierten Hülse, durch die er die Kameraaufnahmen aus dem Inneren des Patienten dreidimensional und in zehnfacher Vergrößerung sieht.
Mithilfe von zwei frei beweglichen Griffeinrichtungen und drei Fußpedalen steuert er in den nächsten dreieinhalb Stunden den Medizinroboter. Ein entscheidender Faktor: Operieren tut der Urologe Graefen, nicht da Vinci. Der Roboter führt lediglich seine übersetzten Bewegungen in Echtzeit durch. „Es ist ein Telemanipulator. Ohne mich bewegt sich nichts“, sagt Graefen und zieht wie zum Beweis seinen Kopf aus der Konsole. In dieser ist eine Lichtschranke montiert. Bewegt der operierende Arzt den Kopf aus dem System, friert es ein. Menschliche Fähigkeiten sind also während der gesamten Operation unerlässlich.
Ein ungewohntes Bild ist es dennoch, wie sich die Roboterarme, die über dem Patienten hängen, scheinbar autonom bewegen, sobald man den operierenden Arzt aus dem Blickfeld verliert. An seiner Konsole sieht dieser aus, als würde er mit einer Virtual-Reality-Brille ein Computerspiel spielen. Seine Hände bewegen sich versiert durch die Luft, teilweise recht schwungvoll und ausladend.
Den Operateur ersetzt Da Vinci nicht
Das ist möglich, weil die Bewegungen in einem Verhältnis von zehn zu eins skaliert werden. Bewegt der Operateur den Griff zwischen Daumen und Zeigefinger um einen Zentimeter, bewegt sich das angesteuerte Instrument im Körperinnern nur einen Millimeter. Der operierende Arzt kann dadurch auf engstem Raum agieren als hätte er zehnmal so viel Platz. „Bei der normalen Laparoskopie haben sie nicht die Freiheitsgrade ihrer Bewegungen“, sagt Graefen.
Da Vinci besitzt aber noch eine weitere feinmotorische Fähigkeit: einen Tremor-Filter. Jedes noch so kleine Zittern in den Händen des Arztes wird in eine flüssige Bewegung umgewandelt. Das klingt nach vielen Vorteilen, aber: „Wichtig ist der Spieler. Die Instrumente sind sekundär“, sagt Graefen und zitiert einen Kollegen: „Der gute Operateur wird durch den Roboter nicht besser, aber der unerfahrene Operateur, der kann dadurch einen Tick besser werden.“
Mit einem Simulator können Anfänger das Operieren üben
Vor allem deshalb, weil die Lernkurve kürzer sei. „Für einen Anfänger ist der Roboter klar von Vorteil“, betont Graefen. Es gebe mehr Lernfilme und sogenannte Live-Operations-Symposien. Zudem gibt es einen Simulator, der an der Da-Vinci-Konsole befestigt werden kann und es jungen Ärzten somit ermöglicht, das Operieren zu trainieren. Über verschiedene Übungsaufgaben werden sie so an das Handling der Instrumente herangeführt.
Aber was sind die Vorteile für den Patienten? „Der große Vorteil der Roboter-Chirurgie ist, dass sie weniger Blutverlust haben“, sagt Markus Graefen. Blutet es gerade bei einer Prostata-Entfernung stark, sei die Gefahr größer, dass die feinen Strukturen um das Organ herum wie Nerven, Blase und Schließmuskel nicht so gut zu erkennen sind. „Entsprechend ist die Nebenwirkungsrate dann auch höher“, so Graefen. Bei der Prostatektomie, der Operation zur vollständigen Entfernung der Prostata, besonders zu beachten: Erhalt von Potenz und Kontinenz.
Die Martini-Klinik, das Prostatakrebszentrum des Universitätsklinikums Eppendorf, ist auf die Behandlung von Prostatatumoren spezialisiert. Die Prostatektomie wird dort weltweit am häufigsten durchgeführt. Entsprechend versiert sind die Ärzte – auch bei offenen Eingriffen, wo der Zugang zur Prostata komplett freigelegt wird. Auch bei dieser Methode gebe es regelmäßig Verfeinerungen, betont der ärztliche Leiter der Klinik, Markus Graefen.
Mittlerweile gibt es vier Da-Vinci-Operationsroboter an der Martini-Klinik. 2018 wurden rund 52 Prozent der radikalen Prostatektomien roboterassistiert durchgeführt. Mehr als die Hälfte der Patienten vertraut also mittlerweile auf Da Vinci. Und das obwohl die Langzeitstudien der Klinik, in der Patienten über Jahre regelhaft nach ihrem Zustand befragt werden, vergleichbare Ergebnisse zwischen den beiden Methoden hervorbringen. „Die Frage der Technik ist für jemanden, der einen Patienten berät, gar nicht die allerwichtigste. Viel wichtiger ist, ob man überhaupt operieren muss, ob bestrahlt wird oder eine aktive Bewachung ausreicht“, sagt Markus Graefen. Aber: Viele Patienten würden mittlerweile die Da-Vinci-OP einfordern. Und das obwohl auch aus internationalen Studien nicht hervorgeht, dass die Ergebnisse eindeutig besser sind, wie zum Beispiel eine Studie im Fachjournal „Lancet“ zeigte.
In Hamburg gibt es sechs Da-Vinci-Roboter
An dem Einsatz der OP-Roboter verdient vor allem einer: die US-amerikanische Firma Intuitive Surgical, die im Jahr 2000 die Zulassung für das Da-Vinci-System bekam und bis heute dank breiter internationaler Zulassung eine Monopolstellung genießt. Laut Unternehmensangaben werden derzeit 4814 Da-Vinci-Roboter in Krankenhäusern weltweit eingesetzt. In Deutschland existieren 138 Systeme. In Hamburg machen neben der Martini-Klinik auch die Asklepios Klinik in Altona und das Albertinen-Krankenhaus, die jeweils einen der Medizinroboter besitzen, von Da Vincis Fähigkeiten Gebrauch.
Bis zu zwei Millionen kostet ein Roboter in der Anschaffung. An der Martini-Klinik müssen Patienten für eine Da-Vinci-Operation 2000 Euro zahlen, die auf die Wartungs- und Investitionskosten umgelegt werden. Die Klinik verdient nicht daran. Nichtsdestotrotz ist Markus Graefen überzeugt: „Diese OP-Technik ist die Zukunft. Keine Frage.“ Er selber hat bereits rund 800 Operationen mit dem System durchgeführt. Für 2018 verzeichnet die Klinik 1283 roboterassistierte Prostatektomien. 2017 waren es 1159. Operiert wird in Eppendorf mittlerweile mit der vierten Generation des Roboters.
Als die Prostata entfernt und die Schnitte im Körper genäht sind, verlässt Urologe Graefen die Konsole, schlüpft in seine Schuhe und verabschiedet sich. Seine Arbeit ist getan. Und auch Da Vinci hat seinen Einsatz beendet. Während die Assistenten die Schnitte im Bauch des Patienten per Hand zunähen, schiebt eine Schwester den Roboter zurück an den Rand des OP-Saals. Als der Strom ausgeschaltet wird, meldet er sich plötzlich zu Wort und wirkt auf einmal geradezu lebendig, als eine weibliche Computerstimme erklingt, die sagt: „Da Vinci wird heruntergefahren.“