Hamburg. Der Autor pendelt fast täglich zwischen Hamburg und Berlin. Die Zeit im Zug hat er genutzt, um einen Krimi zu schreiben.

Liebevoll betrachtet Hans-Jürgen Bartel das Buch in seinen Händen. Streicht vorsichtig über den edlen Einband. „Scheinwelt“ ist der erste Roman des Hamburgers. Und nicht nur deshalb für ihn etwas Besonderes. „Dieses Buch habe ich geschrieben, um meinem Vater ein Denkmal zu setzen“, sagt der 52-Jährige. „Das hatte ich mir nach seinem plötzlichen Tod 2006 fest vorgenommen.“ Entstanden ist ein Kriminalroman, der in einer Bank spielt. Das Besondere: Geschrieben wurde das Buch fast ausschließlich im Zug. Auf der Strecke zwischen Hamburg und Berlin, die der Autor seit mehr als vier Jahren fährt. Und zwar täglich.

Der Hamburger, der in der Pfändungsabteilung der Commerzbank in Berlin arbeitet, sitzt Tag für Tag vier Stunden im ICE zwischen den beiden größten deutschen Städten. Nach einer Operation 2014 klingelte bei ihm jeden Morgen um vier der Wecker. Oder besser gesagt: Es klingelt bei Bartel im Kopf. „Seit dem Eingriff wache ich jeden Morgen um vier auf. Egal, was ich mache“, sagt er. Deshalb sei irgendwann die Idee entstanden, dass er zwischen Hamburg und Berlin pendeln könne, um abends wieder bei seiner Frau zu sein. „Bis dahin hatte ich eine kleine Wohnung in der Hauptstadt, in der ich die Woche über geschlafen habe.“ Nun hat er eine Bahncard 100, mit der er für 7435 Euro (erste Klasse) so viel Zug fahren kann, wie er will.

Seine Tage sind lang, manchmal zu lang. „Gerade morgens ist alles genau geplant“, so der Banker. Um 4.50 Uhr sitzt Bartel meist in einem Smart von Car2go auf dem Weg zum Bahnhof Altona. Denn um 5.12 Uhr startet dort der ICE nach Berlin. „So früh ist nichts los auf der Straße, da klappt das immer sehr gut.“ Sein Trick: Bereits direkt nach dem Aufstehen lässt Bartel das Telefon den nächstgelegenen Wagen suchen. „Meist muss ich nur einige Meter gehen.“ Für die Tage, an denen das nächste verfügbare Auto allerdings etwas weiter weg steht, hat Bartel einen kleinen Puffer eingeplant.

Eigentlich ist Bartel viel zu früh in der Bank

Auch im Abteil hat er jeden Morgen das gleiche Ritual. Sachen auspacken, eine halbe Stunde dösen oder aus dem Fenster schauen – und dann schreiben. „Im Zug ist kaum jemand um die Zeit. Und in einem Abteil hat man wirklich viel Ruhe.“ Der Blick aus dem Fenster, die vorbeisausende Landschaft wecke immer wieder eine ungeheure Kreativität in ihm, so Bartel.

Schon kurz vor acht Uhr sitzt er dann an seinem Schreibtisch im Büro. „Eigentlich nehme ich eine Bahn zu früh. Aber das entspricht nun mal meinem Biorhythmus. Und außerdem ist dieser Zug leer, und ich kann in Ruhe schreiben.“ Bartel ist Gruppenleiter in Berlin. Hat viel zu tun. So kommt es nicht selten vor, dass er am Abend erst einen Zug erreicht, der gegen 21 Uhr zurück in der Hansestadt ist. „Mein Telefon ermahnt mich dann schon mal, dass ich nun doch ins Bett gehen solle, obwohl ich nicht mal aus dem Zug ausgestiegen bin“, sagt er. Denn spätestens um 22 Uhr müsse er in der Woche schlafen, damit er am kommenden Morgen einigermaßen fit sei. „So langsam geht dieser Rhythmus aber ein bisschen an die Substanz“, sagt Bartel. Deshalb habe er zuletzt immer öfter eine Nacht pro Woche auch in einem Hotel in Berlin verbracht.

Hans-Jürgen Bartel: Scheinwelt, 18,99 Euro, Books on Demand, www.scheinweltdasbuch.de.
Hans-Jürgen Bartel: Scheinwelt, 18,99 Euro, Books on Demand, www.scheinweltdasbuch.de. © Hans-Jürgen Bartel

Dennoch möchte Bartel die Fahrten nach Berlin und zurück nicht missen. „Sie haben es möglich gemacht, dass ich meinen Lebenstraum verwirklichen konnte.“ Und wer weiß, vielleicht entstehe ja so noch das eine oder andere Projekt. „Ideen habe ich schon.“ Ach ja: In seinem ersten Buch geht es um einen aufstrebenden Filialleiter, der durch seine Spielleidenschaft in große Schwierigkeiten gerät. Ähnlichkeiten mit den Kollegen in der Bank oder seinem Arbeitgeber selbst gibt es allerdings keine. Darauf hat Bartel streng geachtet, wie er sagt.

Ganz anders ist das allerdings beim Vater seines Protagonisten. Der ist, wie sollte es auch anders sein, seinem eigenen sehr nah. Sogar dessen Lieblingsgedicht hat er in dem Buch noch untergebracht: „Stufen“ von Hermann Hesse.