Hamburg . Der Richter kritisiert zwar „sklavenähnliche Zustände“ im Transportgewerbe – der Angeklagte muss dennoch ins Gefängnis.
Die Uhr im Altonaer Amtsgericht rückt auf 9 Uhr, als ein Justizbeamter den schmächtigen Mann mit Handschellen in den Saal 201 bringt. Der 36-jährige Litauer wird einer Tat beschuldigt, die man kaum für möglich hält. Er soll den Lieferwagen, das er als Paketbote fuhr, angezündet und zerstört haben. Als der Richter fragt, ob er diese Tat begangen habe, nickt der Mann.
Der Fall ist schnell erzählt: Der Fahrer hatte im September 2018 das Fahrzeug eines erkrankten Kollegen mit mehr als 100 Warensendungen übernommen. Doch statt die Pakete auszuliefern, fuhr er nach Hamburg, verhökerte einen Teil der Beute am Hauptbahnhof – und zündete schließlich mit einem Komplizen das Auto auf einem Parkplatz in der Nähe der Volkspark-Arena an. Der Mercedes-Sprinter (Zeitwert 10.000 Euro) wurde komplett zerstört, mindestens hundert Pakete verbrannten.
Warum begeht ein Bote eine solche Brandstiftung?
D. sagte aus, er habe zwei Monate für einen Subunternehmer in Diensten von GLS gearbeitet, dieser habe ihm 1800 Euro im Monat in bar versprochen, das Arbeitsverhältnis sei illegal gewesen. Er habe nicht einen Cent bekommen: „Ich habe nur gegessen, was im Kühlschrank des Unternehmens stand.“ Auch aus Frust habe er sich dann entschieden, das Fahrzeug zu entwenden und später zu zerstören.
Skurril wird der Prozess, als der Richter ein Schreiben von GLS verliest, in dem das Unternehmen dem Fahrer unmittelbar nach der Tat 3000 Euro in bar sowie einen BMW im Wert von 5000 Euro versprach, wenn er das Auto zurückgebe. Auf Abendblatt-Anfrage schreibt GLS, dies sei nur ein Lockmittel gewesen, der Täter habe ebendiese Forderungen gestellt.
Bewährung ist nicht möglich
Die Staatsanwältin forderte ein Jahr und zehn Monate Haft, der Verteidiger plädierte auf ein Jahr – schließlich sei die Tat auch eine Folge der Ausbeutung in diesem Gewerbe: „Ich habe fast jede Woche einen solchen Fall, wo einem Litauer sein Lohn vorenthalten wird.“ Natürlich hätte sich D. an einen Anwalt wenden müssen, um seinen Lohn zu einzuklagen. „Aber das trauen sich diese Menschen dann nicht.“
Der Gericht verurteilte ihn am Ende zu 18 Monaten Haft, angesichts seiner Vorstrafen sei eine Bewährung nicht möglich. Der Richter kritisierte in seiner Urteilsbegründung die „sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen im 21. Jahrhundert“, gerade im Transportgewerbe.
GLS weist diesen Vorwurf zurück: „Transportpartner werden bei der Erledigung von Transportaufträgen von GLS vertraglich zur Beschäftigung von Fahrern in rechtskonformen, sozialversicherungspflichtigen Anstellungsverhältnissen verpflichtet. Dazu gehört auch, dass die Transportunternehmer ihren Fahrern mindestens den Mindestlohn zahlen und die geltenden Arbeitszeitregelungen einhalten.“