Hamburg. Unternehmen sei Neutralität verpflichtet. Plakate für Gedenkveranstaltung seien klar politisch. Auschwitz-Überlebende ist empört.

Knickt Hamburg vor dem Druck vom rechten Rand ein? So hat das deutsche Auschwitz-Komitee eine Absage der Hochbahn für Gedenkplakate interpretiert und sich deshalb in einem offenen Brief bei Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) beschwert.

In dem Schreiben beklagt die Vorsitzende und Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano, dass die Hamburger Hochbahn als städtisches Unternehmen dem Komitee das Plakatieren für eine Podiumsdiskussion unter dem Titel "Gemeinsam gegen den Hass" verbietet. Die Matinee mit dem Untertitel "Gegen das Vergessen" diene dem Gedenken – 74 Jahre nach der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar.

Auschwitz-Überlebende: "Das ist ein einmaliger Vorgang"

Der Vorgang, schreibt Bejarano, besorge das Komitee zutiefst und erwecke den Eindruck, "als würde sich ausgerechnet ein öffentliches Unternehmen, die Hochbahn Hamburg, im vorauseilenden Gehorsam dem möglichen Druck rechter Kreise beugen". Die Vorsitzende: "Das ist ein bisher einmaliger Vorgang, denn wir plakatieren unsere Veranstaltungen zur Erinnerung an die Pogromnacht und an die Befreiung des KZ Auschwitz dort regelmäßig ganz problemlos."

Mit dem aktuellen Werbeplakat des Komitees hat die Hochbahn, im Gegensatz zur S-Bahn, aber erhebliche Probleme, wie Hochbahn-Sprecher Christoph Kreienbaum auf Abendblatt-Anfrage einräumt. Das gewählte Foto und einer der Podiumsteilnehmer verließen das politische Neutralitätsgebot des Unternehmens, deshalb habe man die Bereitsstellung der Flächen verweigert. In der offiziellen Antwort des Vorstandes an das Komitee heißt es: "Grund unserer Ablehnung ist das gewählte Bildmotiv, das klar eine politische Haltung in den Vordergrund rückt."

Flyer zeigt Demo-Bild aus Hamburg

Dieses Bild zeigt eine Abbildung der "Seebrücken-Demonstration" in Hamburg am 29. September 2018. Auf den gezeigten Demo-Bannern steht: "Gemeinsam gegen den Hass" und "Hamburg zum sicheren Hafen! Schluss mit dem Sterben im Mittelmeer – für sichere Fluchtwege". Außerdem wird mit David Begrich ein "Aktivist aus der Antifa" als Podiumsteilnehmer angekündigt. Offensichtlich zu viel politische Stoßrichtung für die Hochbahn.

"Als öffentliches Unternehmen müssen wir sicherstellen, nur parteipolitisch neutralen Inhalten oder solchen, die überparteilichem Konsens entsprechen, eine Präsenz auf unseren Flächen zu gewähren. Die bedingungslose Aufnahme von Flüchtlingen, für die das Banner steht, ist nicht überparteilicher Konsens. Auch die Besetzung Ihrer Podiumsdiskussion verleiht einer politischen Idee ein besonderes Gewicht."

Kritik an Antifa-Teilnehmer sei "empörend"

Das Auschwitz-Komitee interpretiert diese Absage anders. Bejarano verweist auf einen Bürgerschaftsbeschluss mit dem Titel: "Hamburg ist sicherer Hafen für Flüchtlinge – Kriminalisierung von Seenotretterinnen und -rettern beenden." Zudem sei die geäußerte Kritik an den Podiumsgästen "schlicht empörend".

Für Bejarano ist das nicht kommentarlos hinzunehmen. Sie habe versprochen, ihr ganzes Leben dafür zu kämpfen, "dass es keine Faschisten, keine Nazis mehr gibt. Nirgendwo." Erinnern hieße handeln. Angesichts des erstarkenden Extremismus sagt sie: "Für mich, für uns bedeutet das, heute aktiv zu sein, uns mit den Verhältnissen auseinanderzusetzen, bevor es wieder zu spät ist für eine Gegenwehr gegen rechts."

Neutralität gelte "in alle politischen Richtungen"

Hochbahn-Sprecher Kreienbaum will das nicht auf sich sitzen lassen: "Die Bewerbung der Veranstaltung wäre möglich gewesen. Auf dem Flyer des Auschwitz-Komitees wird aber mit einem Foto für ein klares politisches Ziel geworben, für das es keinen überparteilichen Konsens gibt. Deshalb haben wir die Werbung mit diesem Foto abgelehnt."

Wenn dazu ein Antifa-Aktivist an der beworbenen Podiumsdiskussion teilnimmt und als solcher genannt wird, sei das ebenfalls eine klare politische Stellungnahme, die über das Neutralitätsgebot des Unternehmens hinausgehe und den parteipolitischen Konsens verlasse. "Den Vorwurf, dass es sich dabei um vorauseilendem Gehorsam vor Beschwerden aus dem rechtskonservativen Lager handelt, weisen wir entschieden zurück", sagt Kreienbaum. "Politische Neutralität gilt für uns in alle Richtungen."

Linke: Hochbahn habe "bizarres Verständnis" von politischer Neutralität

Für Sabine Boeddinghaus, Vorsitzende der Fraktion Die Linke, ist das Werbeverbot „völlig inakzeptabel“. Wie auch das Auschwitz-Komitee argumentiert Boeddinghaus mit dem Bürgerschaftsbeschluss, mit dem sich Hamburgs Politik über viele Parteigrenzen hinweg hinter die Forderungen gestellt habe die die Hochbahn jetzt als ,parteipolitisch nicht neutral‘ ablehnt.

Boeddinghaus: "Wegen Parolen wie ,Gemeinsam gegen den Hass‘ eine gleichnamige Gedenkveranstaltung von KZ-Überlebenden wegzudrücken – da fehlen mir einfach die Worte.“ Die Fraktion unterstütze deshalb ausdrücklich den Offenen Brief des Auschwitz-Komitees an den Ersten Bürgermeister und die Präsidentin der Bürgerschaft. „Wir hoffen, dass Peter Tschentscher und Carola Veit bei der städtischen Hochbahn ein weniger bizarres Verständnis von Neutralität wecken können."

Esther Bejarano hofft in ihrem Brief ebenfalls auf ein Umdenken bei der Hochbahn. Sie schreibt dem Bürgermeister: "Ich hoffe, dass Sie uns in diesen Auseinandersetzungen unterstützen und erwarte gern Ihre Antwort. Zu unserer Matinee am 13. Januar um 13 Uhr laden wir Sie herzlich ein."