Hamburg. Dariush Beigui ist Binnenschiffer im Hamburger Hafen – und Seenotretter aus Überzeugung. Nun droht ihm ein Prozess in Italien.

Dass sich Dariush Beigui hauptberuflich auf Schiffen herumtreibt, das sähe man dem Hamburger auch an, wenn er nicht gerade ein 60 Meter langes Bunkerschiff an den Landungsbrücken angelegt hätte. Gut, ein Vollbart, der wäre das i-Tüpfelchen, aber sonst entspricht der 40-Jährige dem Seemanns-Klischee vom bemützten Kopf bis zu den Sicherheitsschuhen. Was Beigui aber in seiner Freizeit macht, das unterscheidet ihn von fast allen anderen seines Berufs: Die italienische Regierung hält ihn deswegen für einen Verbrecher, ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft und eine Geldstrafe in Millionenhöhe. Denn Beigui hat Menschen aus Seenot gerettet – Flüchtlinge, die in morschen Kähnen das Mittelmeer zu überqueren versuchten.

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Die "Iuventa" bei einem Einsatz im Mittelmeer. Das Schiff des Vereins "Jugend Rettet" wurde 2017 von italienischen Behörden beschlagnahmt. © picture alliance/Jugend rettet/dpa

Er ist – zuerst als zweiter Steuermann, dann als Kapitän – insgesamt dreimal mit dem privaten Seenotrettungsschiff „Iuventa“ über das Mittelmeer gefahren und hat „Menschen vor dem Tod bewahrt“; so sieht es Beigui. Für die italienische Regierung hingegen haben er und neun andere Besatzungsmitglieder der „Iuventa“ „Beihilfe zur illegalen Einwanderung“ geleistet. Im August 2017 wurde die „Iuventa“ beschlagnahmt, sie liegt seitdem im Hafen von Trapani auf Sizilien. Im Sommer 2018 bekam Beigui Post: Das Schreiben der Staatsanwaltschaft schildert in dürrer Amtssprache, dass nun gegen ihn und weitere Besatzungsmitglieder ermittelt werde. Anklage ist auch sechs Monate später nicht erhoben worden – dass es zum Prozess kommt, da ist sich sein Anwalt jedoch sicher. Ob ihm eine mögliche Verurteilung Angst macht? „Man kann sich nicht immer fürchten.“

Wie ein junger Punk auf die Elbe kam

An Bord der "Bunker Service 14" schenkt Beigui Kaffee nach, aus der „Kleckerkanne“, die ihren Namen sehr zu Recht trägt. Das Bunkerschiff, das er hauptberuflich durch den Hamburger Hafen fährt, schaukelt hin und wieder sanft. Dass er Binnenschiffer geworden ist, hat mit Alkohol zu tun – und dem Internet: Die Selbsterkenntnis, dass das mit ihm und einem Studium nichts werden würde, führte bei Beigui in der elften Klasse dazu, dass er sich vom Gymnasium und der Schule insgesamt verabschiedete und erstmal sein Glück als Punk suchte – „Bier trinken, in Bands spielen, auf Konzerte gehen“ beschreibt er diese Zeit und grinst.

Eine Zeitlang später stolperte der spätere Flüchtlingsretter im Internet über eine Liste. Das Arbeitsamt hatte schon 1999 eine Webseite, und auf der waren sämtliche Ausbildungsberufe aufgeführt. Der Nachwuchspunk studierte sie eifrig: „Am liebsten wäre ich Drahtzieher geworden. Aber das konnte man nur in Bayern lernen. Und ‘Hafenschiffer’ war der zweitlustigste Beruf der ganzen Liste.“ Eine Bewerbung bei der Hadag später fand er sich auf statt neben der Elbe wieder – aus dem bierseligen Blödsinn wurde Ernst: „Das habe ich bis heute keinen Tag lang bereut. Der tollste Job, den ein junger Punk machen kann.“ Beigui fährt auf Hafenfähren, Schubschiffen („Wie ein Sattelzug, nur dass man die Ladung schiebt“) und Tankschiffen, die Elbe hinunter bis nach Dresden, arbeitet sich hoch zum Schiffsführer („In der Binnenschifffahrt sagt man nicht Kapitän.“).

Dariush Beigui an den Landungsbrücken.
Dariush Beigui an den Landungsbrücken. © HA | Michael Rauhe

Seit drei Jahren schippert er Diesel für die Nord- und Westdeutsche Bunker GmbH durch den Hamburger Hafen. Sein Arbeitgeber hat nicht nur kein Problem mit Beiguis Freizeitgestaltung, er unterstützt ihn sogar, lässt ihn zusätzlich zu seinem Urlaub Überstunden abbummeln – auch diese Zeit fließt fast komplett in die Seenotrettung. „Bis vor vier Wochen konnte ich sagen, dass ich in den letzten drei Jahren keinen Urlaub gemacht habe – jetzt war ich zehn Tage in Dänemark.“

"Bannig aufgeregt" vor dem ersten Einsatz

Schon weit vor seiner ersten „Mission“ wollte Beigui als Seenotretter aufs Mittelmeer. Mission nennen Organisationen wie „Jugend rettet“ und „Sea-Watch“ die zwei bis drei Wochen langen Einsätze, nach denen die Besatzung ausgetauscht wird. Zum einen, weil viele nicht länger Urlaub nehmen können, aber auch aus Erschöpfungs- und psychischen Gründen. Die erste „Sea-Watch“ wurde im Frühjahr 2015 in Hamburg umgebaut. Das hat ihn damals beschäftigt, er wollte mitfahren: „Ich dachte aber relativ lange, man müsste richtiger Seemann sein, mit nautischem Patent.“

Doch die Schiffe sind als Sportboote angemeldet, die teure Ausbildung, über die er bereits nachgedacht hatte, konnte Beigui sich sparen. Dann eine Enttäuschung: Die „Sea-Watch“ war bereits „durchgecrewt“ für die nächsten Missionen, hatte keinen Platz mehr. Eine Freundin erzählte ihm, dass der Verein „Jugend rettet“ ein Schiff gekauft und ausgerüstet hat. Beigui bewarb sich – schon anderthalb Wochen später saß er im Flugzeug: „Das ging so schnell, ich hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, was ich da eigentlich gerade mache.“

„Bannig aufgeregt“ war er, als er in Malta landete. Ein paar Tage Training im Hafen, dann legen sie ab. Was danach kam, „das lässt sich nicht vorbereiten. Ich kann mich auf zwei Wochen Urlaub vorbereiten, oder darauf, mit zehn Leuten oder 14 Leuten auf sehr engem Raum zu sein. Aber auf das, was man auf dem Mittelmeer erlebt, nicht.“

"Die Wahl zwischen Tod und Tod"

Wenn Beigui von diesem ersten Einsatz erzählt, vom ersten maroden Boot, von dem er zusammen mit den anderen Besatzungsmitgliedern der „Iuventa“ geschwächte, verängstigte Menschen gerettet hat, passiert etwas, was man nicht erwarten würde von diesem gemütlichen, lebenslustigen, begeistert von Beruf und Berufung gleichermaßen erzählenden Mann. Seine Augen werden feucht, er ist den Tränen nahe. „Das geht immer noch nicht in meinen Kopf, warum Menschen sich in Lebensgefahr begeben müssen, um einer Hölle zu entkommen. Nichts anderes sind die libyschen Auffanglager. Die Menschen haben die Wahl zwischen Tod und Tod – nur, dass in einem Fall manchmal jemand vorbeikommt, um sie zu retten.“

Auf seinen späteren Einsätzen wird Beigui als Kapitän meistens auf der Brücke bleiben müssen, wenn die „Iuventa“ Schiffbrüchige an Bord nimmt. Beim ersten Mal aber steht er an der Reling. Seine Stimme bricht auch Jahre später, als er davon erzählt, wie er ihnen an Bord der „Iuventa“ geholfen hat: „Die Leute waren schwach, schlapp, fühlten sich schlapp an, konnten sich kaum bewegen. Und dann realisierten sie langsam: ‘Ich hab’s überlebt. Ich bin nicht ertrunken.’“

Die persönlichen Schicksale der Menschen, die sie gerettet haben, kennt Beigui oft nicht – will sie gar nicht kennen: „Da würde ich kaputt gehen, könnte keine Nacht mehr schlafen.“

Schleuser? "Diese Menschen sind Abschaum"

Dariush auf der
Dariush auf der "Iuventa" © privat

Rausgefahren ist er trotzdem immer wieder: Nach den drei Missionen auf der „Iuventa“ fuhr der Binnenschiffer einmal auf der „Sea-Watch 3“ und zuletzt im September auf der „Mare Liberum“ mit – die fährt durch die Ägäis. Sein Anwalt hat ihm davon abgeraten, während der Ermittlungen in die Nähe der italienischen Küstenwache zu kommen. „Das würde die Chance auf Untersuchungshaft extrem nach oben schnellen lassen. Außerdem würde ich dann als Wiederholungstäter gelten.“

Die Ermittlungen gegen ihn und seine Mitstreiter empfindet Beigui als Hohn. Er habe nichts falsch gemacht: „Es kann doch nicht falsch sein, Menschenleben zu retten.“ Der Vorwurf, die Seenotretter hätten mit Schleusern zusammengearbeitet, empört ihn: „Das ist das Allerletzte, war mir einfallen würde. Diese Menschen sind für mich Abschaum.“ Er erzählt von einem Boot, in dem eine Leiche lag – mit einer Schusswunde. Der Schleuser, so hätten es die Geretteten erzählt, wollte die Mütze des Mannes haben. Als er sie nicht hergab, schoss der Schleuser und nahm sie sich. Den Toten ließ er auf dem Boot zurück.

Ein anderer Mann sei bereits zum dritten Mal auf einem Flüchtlingsboot gewesen: Die libysche Küstenwache hätte ihn zuvor zwei Mal zurück in den Hafen gebracht, die Schlepper ihn wieder in ein Boot gesetzt. Es seien dieselben Männer gewesen. „Es gibt keine libysche Regierung – oder vielmehr: Es gibt drei.“ Mit einer echten Küstenwache hätten die auch von der EU finanzierten Milizionäre nichts zu tun. Dazu fehlte ihnen die Infrastruktur: Anrufe der Libyer erreichten die Seenotretter von einem italienischen Anschluss – koordiniert werden die Einsätze der libyschen Küstenwache von einem italienischen Flugzeugträger aus.

Er hat „mehr Leichen gesehen als ich jemals gedacht hätte“ und ihm droht eine Haftstrafe. Warum kehrt Dariush Beigui – der Punk, der Binnenschiffer, der Flüchtlingsretter – trotzdem immer wieder seiner geliebten Elbe den Rücken, um Menschen aus Seenot zu retten? „Es kann ja nicht jeder weggucken.“

Hilfe für die Crew – und Schutz vor Verfolgung

Die Crew der "Iuventa", gegen die ermittelt wird, hat sich zusammengetan: Als "Solidarity At Sea" informieren Dariush und die anderen Besatzungsmitglieder online über den Fortgang der Ermittlungen und werben um Spenden für die zu erwartenden Prozesskosten.

Gleichzeitig hat eine weitere private Seenotrettungsorganisation eine neue Mission begonnen, ebenfalls mit einem Hamburger Kapitän: Sea-Eye hat die "Professor Albrecht Penck" gekauft und ist kurz vor Weihnachten unter dem Kommando von Klaus Merkle vom spanischen Hafen Algeciras aus zu einer "Beobachtungsmission" vor der libyschen Küste aufgebrochen. Das Besondere: Erstmals fahren private Seenotretter unter deutscher Flagge. Davon erhofft sich die Organisation besseren Schutz vor Beschlagnahmung oder der Verweigerung von Ein- und Auslaufgenehmigungen. Sea-Eye-Sprecher Gorden Isler: "Als Betreiberin unseres neuen Schiffes bekamen wir bereits in Spanien einen Vorgeschmack von dem, was uns erwartet, wenn wir unseren Flaggenstaat brauchen." Ohne die Hilfe der deutschen Behörden – speziell des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie und des Auswärtigen Amtes, "wäre es nicht mehr gelungen vor dem Wochenende auszulaufen und wir hätten vielleicht schon die erste Mission ins neue Jahr verschieben  müssen", so Isler weiter.