Hamburg. Mit einem im Profifußball einzigartigen Genossenschaftsmodell soll die Wettbewerbsfähigkeit erhalten werden.

Als Oke Göttlich in der vergangenen Woche auf der Mitgliederversammlung des FC St. Pauli das Thema zum ersten Mal ansprach, tat der Präsident des Stadtteilclubs dies ganz offenbar so beiläufig, dass niemand unter den mehr als 700 erschienenen Personen auch nur eine Nachfrage dazu stellte. Dabei hatte die Clubführung eigens einen Experten für Genossenschaftsrecht angeheuert, der Detailfragen zu einem der ungewöhnlichsten Finanzierungsmodelle im deutschen Profifußball hätte beantworten können.

Doch jetzt ist die Angelegenheit publik. St. Paulis kaufmännischer Geschäftsführer Andreas Rettig erläuterte am Dienstag, nur knapp 16 Stunden nach dem 3:1-Sieg beim VfL Bochum, in einem kleinen Kreis von Medienvertretern, was es nun mit der Genossenschaft, die der FC St. Pauli zu gründen plant, auf sich hat. „Über allem steht unser Grundsatz, dass wir auf jeden Fall unsere Unabhängigkeit bewahren wollen. Gleichzeitig aber stellt sich die Frage, wie wir unsere Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten können, ohne unsere DNA aus den Augen zu verlieren“, erläuterte Rettig die Motivation für die Pläne.

Vereinsführung will Reaktion der Mitglieder und Fans abwarten

Diese DNA bedeutet, dass der FC St. Pauli als Ganzes weiter die Rechtsform eines eingetragenen Vereins (e. V.) behalten soll und keine Kapitalgesellschaft wird. Auch eine Ausgliederung der Profiabteilung kommt nicht infrage. Zudem ist laut Mitgliederbeschluss ein Verkauf des Stadionnamens an einen Sponsor nicht möglich. Dies alles bringt zwar viel Sympathie ein, aber auch einen Wettbewerbsnachteil gegen direkte Konkurrenten in der Zweiten Liga mit sich. So plane beispielsweise der gerade erst besiegte und auf den siebten Tabellenplatz zurückgedrängte VfL Bochum durch den Verkauf von Anteilen eine frische Kapitalzufuhr von 20 Millionen Euro. Ähnliches gilt für den FC Ingolstadt. Die Konkurrenz droht also massiv aufzurüsten.

Auf eine auch nur halbwegs konkrete Summe, die nun der FC St. Pauli mit seiner künftigen Genossenschaft einsammeln möchte, wollte sich Andreas Rettig bewusst noch nicht festlegen. Die Vereinsführung werde erst einmal abwarten, wie die Reaktionen der eigenen Mitglieder und Anhänger auf die nun öffentlich gewordene Idee ausfallen.

Mindestens 51 der Anteile bleiben beim Mutterverein

Im Detail geht es darum, dass die Millerntor-Stadion Betriebs GmbH und Co. KG zu maximal 46 Prozent den künftigen Mitgliedern der Genossenschaft gehören soll. Mindestens 51 der Anteile bleiben beim Mutterverein, dazu halten weiterhin der Fanräume e. V., Hans-Jochen Becker und – durch seine Geschäftsführer-Funktion – Andreas Rettig je ein Prozent. Bevor St. Pauli die ersten Genossenschaftsanteile verkaufen kann, müssen der Wert der Millerntor-Stadion-Betriebsgesellschaft bestimmt und die bereits entworfene Satzung genehmigt werden. „Sollte das Genossenschaftsmodell kommen, rechnen wir damit, zu Beginn der kommenden Saison auf Werbetour gehen zu können“, sagte Rettig am Dienstag. Grundsätzlich sei man an einer großen Zahl an Genossenschaftsmitgliedern interessiert. Diese müssten übrigens nicht später weitere Umlagen befürchten (zum Beispiel für Instandhaltung) wie bei Wohnungsbaumodellen üblich.

„Das Modell trifft den Zeitgeist. Es geht eher um eine emotionale Rendite“, sagt Andreas Rettig, Geschäftsführer des FC St. Pauli.
„Das Modell trifft den Zeitgeist. Es geht eher um eine emotionale Rendite“, sagt Andreas Rettig, Geschäftsführer des FC St. Pauli. © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Lukas Schulze

Mit einer hohen Rendite, wie etwa der sechsprozentigen Verzinsung der im vergangenen Sommer ausgelaufenen Fan-Anleihe, ist bei der Genossenschaft nicht zu rechnen. „Es geht eher um eine emotionale Rendite und nicht vordergründig um Gewinnbeteiligung“, sagte Rettig. So sei angedacht, dass die Genossenschaftsmitglieder eine Fanbekleidung bekommen könnten, die es nicht zu kaufen gibt. Ob es eine jährliche Mindestrendite, etwa in Höhe der Inflationsrate, geben soll, sei ebenso noch nicht entschieden wie der Mindest- und Höchstbetrag. Fest steht allerdings, dass jedes künftige Genossenschaftsmitglied unabhängig von seiner investierten Summe nur eine Stimme hat. Dies ist ein Grundsatz einer Genossenschaft und soll in diesem Fall auch verhindern, dass ein gut betuchter Geldgeber größeren Einfluss auf Entscheidungen nehmen kann als ein Kleininvestor. Rettig: „Bei einer Gesamtsumme X ist es uns lieber, sie kommt von 10.000 Personen als von 5000.“

Erfolg der Fan-Anleihe hat St. Paulis Führung überzeugt

Auch wenn es grundsätzlich ein anderes Modell ist, hat der Erfolg der Fan-Anleihe über acht Millionen Euro St. Paulis Führung bestärkt, dass ebenfalls auf viele Geldgeber setzende Modell einer Genossenschaft voranzutreiben. „Die Zeichner der Fananleihe haben ein hohes Maß an Vertrauen in den Verein gezeigt“, sagte Rettig dazu.

Gleichzeitig räumte er ein, mit dem Modell „Neuland zu betreten“. Aus diesem Grunde habe man Vertreter der Wohnungsgenossenschaft Altoba sowie der ebenfalls als Genossenschaften organisierten Edeka und Volks- und Raiffeisenbanken zu Rate gezogen. Zudem hat St. Paulis Vereinsführung nach Informationen des Abendblatts Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel über seine Genossenschaftspläne informiert.