Hamburg. Vor einem Jahr wurde die Einkaufsstraße umgebaut. Jetzt beschweren sich viele, nicht selten übereinander.
Für die einen war es ein längst überfälliger Schritt in Richtung nachhaltiger und zukunftsweisender Mobilität: Fahrräder fahren auf der Straße, es gibt massenhaft neue Fahrradbügel, dafür weniger Parkplätze für Autos und eine deutlich schmalere Fahrbahn. Für die anderen war es vor allen Dingen das: 100 Parkplätze weg und eine Fahrbahn, auf der im Grunde keiner mehr richtig Platz hat.
Rund ein Jahr ist es her, dass die Osterstraße mit einer feierlichen Zeremonie eingeweiht wurde. Dass die Straße noch vor Fertigstellung mit einem Verkehrsplanerpreis ausgezeichnet wurde, hatte allen Beteiligten mächtig Rückenwind gegeben. Und so schaute die ganze Stadt auf die Straße, auf der die Planer auf 1,3 Kilometern all das untergebracht haben, was für den Verkehr der Zukunft steht. Vorangegangen war zudem ein vorbildhafter Beteiligungsprozess, in dem Wünsche und Forderungen diverser Institutionen, sowie von Anwohnern und Gewerbetreibenden eingegangen sind.
Wer sich heute, rund ein Jahr nach der Fertigstellung, vor Ort umhört, wie sich die Straße der Zukunft in der Realität bewährt hat, der erfährt zusammengefasst: Unabhängig von der Aufenthaltsqualität und gestalterischen Aspekten gehen die Meinungen über die weggefallenen Parkplätze weit auseinander. In einem anderen Punkt herrscht dafür große Einigkeit: Das mit den Fahrradfahrern läuft nicht rund.
ADFC: Situation noch nicht zufriedenstellend
Angela Struckmann von der Glaserei Struckmann im unteren Teil der Osterstraße etwa sagt: „Ich fahre hier kein Fahrrad mehr, das ist mir zu gefährlich geworden.“ Dass der Radverkehr auf die Straße verlegt wurde, finde sie zwar grundsätzlich gut, aber die Streifen seien viel zu schmal, es gebe zu wenig Schutzraum beim Überholen und so würden viele Radfahrer dann doch auf den Gehweg ausweichen.
„Und dort sind sie dann oft in einem Tempo unterwegs, dass man nur noch schnell zur Seite springen kann“, so Struckmann. Das Verhalten erinnere sie bisweilen an „Snowboarder auf einer Skipiste“, die sich irgendwie durchschlängeln. „Und zum Durchschlängeln gibt es jetzt noch mehr Platz als früher.“
Ebenso sieht es Peter Witthöft, Geschäftsführer von Betten Sievers im oberen Abschnitt der Osterstraße. „In anderen Stadtteilen ist das Auto die größte Gefahrenquelle, auf der Osterstraße sind es ganz klar die Fahrradfahrer.“ Und auch die Inhaberin des Bekleidungsgeschäftes „Derbe“ ein paar Meter weiter ist sauer: „Die Radfahrer haben doch damals alle gesagt, dass sie unbedingt auf die Straße wollen und jetzt fahren viele doch auf dem Gehweg.“ Aus ihrer Sicht hätte man den ursprünglichen, klassischen Fahrradweg einfach besser sichtbar gestalten müssen, dann wäre es für alle besser gewesen.
Auch für Dirk Lau vom Fahrradclub ADFC ist die Situation noch nicht zufriedenstellend. „Für Radfahrer ist es zwar grundsätzlich besser geworden an der Osterstraße, aber Tempo 50 in einer solch belebten Einkaufsstraße ist weiterhin absurd.“ Besonders im oberen Teil der Osterstraße stadtauswärts werde es oft richtig eng, sodass hier dringend Tempo 30 geboten wäre.
Parksituation ist zweites großes Thema
Dieser Forderung schließt sich auch Peter Gutzeit, verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion in Eimsbüttel, an. Er bestätigt: „Viele ältere Radfahrer benutzen die Osterstraße mit dem Fahrrad nicht mehr, weil keine ausreichende Sicherheit gegeben ist.“ Es seien eben keine echten Fahrradstreifen, sondern nur sogenannte Schutzstreifen installiert worden. „Und diese werden eben regelmäßig von den Pkws und großen Gelenkbussen überfahren, sodass der erforderliche Sicherheitsabstand von 1,50 Meter zum Fahrrad nicht eingehalten wird“, sagt Gutzeit. „So kommt es tatsächlich immer häufiger dazu, dass die nun breiten Fußwege häufig gerade von älteren Fahrradfahrern verkehrswidrig benutzt werden.“
Das zweite große Thema im Zusammenhang mit dem Umbau der Osterstraße ist die Parksituation. Der Wegfall von rund 100 Parkplätzen war von Anfang an für viele das große Manko an dem Konzept. Laut Angela Struckmann von der Glaserei würden besonders Kunden aus anderen Stadtteilen regelmäßig über die mangelnden Parkplätze klagen. Auf der anderen Seite gebe es aber auch „unglaublich viele junge Menschen, die gerne auf das Auto verzichten und die sehr flexibel sind“. „Die holen hier selbst große Rahmen ab und transportieren die einfach mit dem Fahrrad. Da hat ein Umdenken stattgefunden.“
Für Peter Witthöft von Betten Sievers ist es „der beste Kompromiss, der möglich war.“ Das Thema Parkplätze sei nur deshalb so groß gewesen, weil „früher alle geparkt haben, wie sie wollten“. Sievers ist überzeugt: „Es gibt genug Parkplätze und vor allen Dingen auch ein meist nicht ausgelastetes Parkhaus bei Karstadt. Wer hier parken will, findet auch einen Parkplatz.“
Evaluation im Frühjahr soll Klarheit bringen
Wenn Tanja Müller von „Derbe“ so etwas hört, verdreht sie nur die Augen. „Das Parkhaus ist ja schön und gut. Aber ich hab hier noch nirgendwo ein Schild gesehen, das darauf hinweist, dass es das Parkhaus gibt. Viele meiner Kunden wissen das einfach nicht.“ Und so seien die Folgen gravierend: „Vor den Umbaumaßnahmen konnten hier 25 Autos in direkter Nähe parken. Jetzt sind es fünf, und das auch nur, wenn zwei Smarts dabei sind.“ Besonders stört sie auch, dass es die sogenannte „Brötchentaste“ nicht mehr gibt, mit der man kurz halten konnte, um etwas aus einem Geschäft abzuholen.
„Jetzt werden für sechs Minuten 20 Cent berechnet. Und bei einer Minute drüber hat man garantiert einen Strafzettel“, so Müller weiter. „Vielen Kunden ist das zu anstrengend geworden, die kommen nicht mehr.“ Und so blickt sie oft missmutig auf den breiten Fußweg, die Verkehrsinseln und geschwungenen Bänke und sagt:„Ich brauche keinen Tanzsaal vor meiner Tür, sondern Parkplätze.“ Und so wünsche sie sich manchmal sogar die Baustelle zurück: „Damals konnte man wenigstens halbwegs gut parken.“
Sicherste Variante
Die Einschätzung von Bezirksamtsleiter Kay Gätgens (SPD) klingt etwas anders: Der Verkehrsfluss und die Parksituation hätten sich „sehr gut eingespielt“. „Wir haben auch nach Rückmeldung der Polizei praktisch keine Beschwerden mehr dazu“, so Gätgens.
Was die Fahrradfahrer anbelangt, sagt er: „Bei fast allen Maßnahmen, die Radfahrer vom Gehweg auf die Straße bringen, ist es hamburgweit so, dass einige sich noch unsicher auf der Straße fühlen oder sich noch besseren Schutz wünschen.“ Dabei sei es nach allen Erkenntnissen die sicherste Variante, den Radverkehr auf die Straße zu legen. „Wie angekündigt, wollten wir erst einmal alles ein Jahr sacken lassen.“ Um dann verlässliche Erkenntnisse gewinnen zu können, soll im Frühjahr eine Evaluation in Auftrag gegeben werden.