Hamburg. Fernverbindungen, S-Bahnen: Gewerkschaft legt Hauptbahnhof lahm und droht „Steigerungspotenzial“ für weitere Streiks an.
30 Minuten Verspätung für den ICE nach München, 60 Minuten Verspätung für die Regionalbahn nach Cuxhaven, der Zug nach Kiel fällt gleich ganz aus: Die Folgen des Warnstreiks waren am Hamburger Hauptbahnhof auch mittags noch zu spüren. Dabei hatten die Mitglieder der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ihren Ausstand schon gegen 9 Uhr beendet. „Der Streik war auf jeden Fall ein Erfolg“, sagt Frank Maur, der Chef der Geschäftsstelle Hamburg. Rund 250 Gewerkschafter hätten mitgemacht.
Im Hamburger Hauptbahnhof war es am Montagmorgen ruhiger als üblich. Viele hatten sich offenbar auf den Streik eingestellt. Auf den Info-Tafeln stand hinter jedem zweiten Zug „fällt aus“. Vor dem Informationscenter der Bahn bildete sich eine Schlange. „Ich denke, dass viele schon vorher gesagt haben, dass sie es heute morgen gar nicht erst probieren“, sagte Simon Jacobsen. Er war auf dem Weg nach Oldenburg und zeigte Verständnis für die Aktion der EVG.
Das sagen Leidtragende des Bahn-Streiks
Petra Richter, die auf dem Weg zu ihrer Schwester in Berlin war, war der gleichen Meinung. „Ich finde es schön, dass sie überhaupt noch streiken können. In der Pflege geht das ja gar nicht mehr“, sagte sie. Sie hatte am Montag ihren ersten Urlaubstag und war deshalb nicht unter Zeitdruck. „Die Geschäftsleute hingegen fluchen wahrscheinlich.“
Ein Geschäftsreisender, der mit dem Zug von Hamburg nach Darmstadt wollte, hielt es am Morgen für wahrscheinlich, dass für ihn die Weihnachtsfeier in Darmstadt flachfällt. Mit gutem Grund: Sein Zug war ausgefallen. „Ich glaube, ich gehe nach Hause und sage die Reise ab“, sagte er. Er könne nicht nachvollziehen, wieso die Gewerkschaftsmitarbeiter ihren Frust „auf andere Leuten abwälzen“.
Auch Christian Krück glaubte, dass es bei den Streiks immer die Falschen trifft: die Bahnreisenden und eben nicht die Arbeitgeber. „Irgendwo habe ich aber trotzdem Verständnis für die Streikenden“, sagt er.
Baumstamm blockiert Strecke Sylt-Altona
Der Ausstand hatte am frühen Morgen begonnen. Die Gewerkschaft hatte in Hamburg zwar nur zu punktuellen Streiks aufgerufen, dennoch waren die Folgen gravierend. Weil ein Stellwerk in Stade bestreikt wurde, konnten zwischen Hamburg und Cuxhaven keine Züge verkehren. Auch die S-Bahnlinie 3 fiel aus. „Wir haben einige Busse als Ersatzverkehr organisieren können“, sagte HVV-Sprecher Christoph Dross. Ansonsten gab es im S-Bahnnetz keine größeren Störungen – von gelegentlichen Verspätungen abgesehen.
Auch der Regionalverkehr von Hamburg ins Umland lief weitgehend reibungslos. Zwei Ausnahmen gab es. Auf der Strecke von Altona nach Sylt blockierte zwischen 16.45 Uhr und 18.30 Uhr ein Baumstamm auf der Höhe Husum/ Bredstedt die Gleise, ein Busersatzverkehr war währenddessen eingerichtet. Außerdem wurde der Bahnverkehr von und nach Kiel eingestellt, weil das Stellwerk am Kieler Bahnhof bestreikt wurde. Ab dem frühen Nachmittag verkehrten jedoch die meisten Züge wieder planmäßig.
Beim Fernverkehr sah das deutlich anders aus. Die Bahn hatte große Probleme, die morgendlichen Zugausfälle zu kompensieren. „Wir werden bis in die Abendstunden hinein Verspätungen haben“, sagte Egbert Meyer-Lovis, Sprecher der Deutschen Bahn in Hamburg. „Wir müssen die Umläufe erst einmal wieder hinbekommen.“ Ein Zug, der von Hamburg aus Richtung München fährt, ist in der Regel zuvor aus München nach Hamburg gekommen. Wenn aber dieser Zug streikbedingt ausfällt, ist die „Umlauf“ genannte Abfolge von Fahrten unterbrochen.
Fahrgastverband fordert Mindestfahrpläne
„Es ist ein Unding, morgens zum Hauptbahnhof zu kommen und dann fährt der Zug nicht“, sagte Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn Schleswig-Holstein/Hamburg. Auch er bekam den Streik zu spüren, sein Zug nach Berlin fiel aus. „Zum Glück hatte ich mir bereits ein Ticket für den Flixbus gesichert“.
Naumann fordert Mindestfahrpläne im Falle einer Arbeitsniederlegung. „Wenn zum Beispiel nur jeder zweite Zug fahren würde, wäre der Schaden für die Bahn trotzdem da. Er wäre nur nicht so massiv für die Fahrgäste“, erklärte er. Spezielle Streikfahrpläne hätten sich in Italien sehr bewährt. Dadurch könnten die Bahn-Mitarbeiter „streiken, ohne die Fahrgäste in Geiselhaft zu nehmen“.
Von Geiselhaft wollte die EVG am Montag nichts wissen, die Stimmung war gut. „Wir hatten gar nicht genug Personal, um alle streikwilligen Kollegen begleiten zu können“, sagte Geschäftsstellenleiter Maur. Der Regionalverkehr war von der EVG offenbar bewusst verschont worden. „Man muss auch noch Steigerungspotenzial für den nächsten Warnstreik haben“, so Maur.
Bei den Stellwerken in Hamburg gibt es noch jede Menge Steigerungspotenzial. 17 S-Bahn-Stellwerke und 15 Stellwerke, über die der Regional- und Fernverkehr abgewickelt wird, leiten die Züge durch die Stadt. Nur eines dieser Stellwerke wurde bestreikt – das in Eidelstedt. Darunter hatte insbesondere der Güterverkehr zu leiden, viele Züge fielen aus. Die Folgen dürften sich in manchen Ladenregalen niederschlagen.
Die Rechte der Betroffenen
In den kommenden Tagen sind vorerst keine weiteren Streiks geplant. Vom Bahnstillstand betroffene Reisende können nun auf eine Entschädigung pochen. Fahrgäste könne sich 25 Prozent des Ticketpreises zurückerstatten lassen, wenn ihr Zug mindestens 60 Minuten zu spät kommt. Bei mindestens zwei Stunden bekommen sie 50 Prozent zurück.
Wer ein Flexpreis- oder Sparpreis-Ticket für diesen Montag gekauft hat, der kann damit auch an anderen Tagen und zu anderen Zeiten reisen. Die Tages- und Zugbindung für diese Fahrkarten wird aufgehoben.