Hamburg. Seit 17 Jahren dreht Schauspieler Rudolf Pogats auf dem Weihnachtsmarkt seine Runden. Die Rolle seines Lebens.
Als Schauspieler ist Rudolf Pogats schon in viele Rollen geschlüpft. Klassiker wie den Woyzeck von Büchner, aber auch mal eine Nebenrolle in „Being John Malkovich“. Die Rolle seines Lebens aber hat der 60-jährige Wiener allerdings weit entfernt von seiner Heimat gefunden, nämlich auf Roncallis Historischem Weihnachtsmarkt auf dem Rathausmarkt. Seit 17 Jahren ist er hier als Marktgendarm Rudi unterwegs. Eine Kunstfigur mit historischer österreichischer Polizeiuniform, irgendwas zwischen Blockwart, Mädchen für alles und Seelentröster. Obwohl Pogats die Rolle des Rudi im Grunde gar nicht wirklich spielen muss. „Im Grunde bin ich einfach Rudi“, sagt er.
Geboren wurde die Idee des Marktgendarmen, wie viele andere Ideen auch, in einer weinseligen Runde unter Freunden. Damals, vor etwas mehr als 17 Jahren, sitzen Rudolf Pogats und sein alter Freund, der Roncalli-Chef Bernhard Paul, in Wien zusammen. Der Abend wird lang, sie spinnen rum, und irgendwann steht die Figur im Raum. „Die Idee war, dass es jemanden geben müsse, der dem Weihnachtsmarkt ein Gesicht und eine Seele gibt“, erinnert sich Pogats.
Er verbraucht pro Saison zwei Paar Stiefel
Er verspricht in die Hand: „Ich teste das mal ein Jahr aus, und wenn es läuft, suchen wir jemanden, der das übernehmen will.“ Aber das erste Jahr lief so gut, dass Pogats auch im folgenden Jahr übernahm und dann noch mal und noch mal, und irgendwann sprach niemand mehr über eine Alternative. „Die Rolle von Rudi passt zu mir, als wäre sie mir auf den Leib geschneidert worden“, sagt Pogats.
Aber was macht so ein Gendarm ohne Dienstmarke eigentlich den ganzen Tag? „Vor allen Dingen laufen“, sagt Pogats. Zwei Jahre lang habe er mal einen Schrittzähler dabeigehabt. „Der Rekord lag bei 1700 Kilometern für eine Marktsaison.“ Und so kommt es, dass Pogats antizyklisch im Vergleich zur Restbevölkerung ausgerechnet im Advent abnimmt. „Wenn die Weihnachtszeit vorbei ist, bin ich meist acht Kilo leichter und habe zwei Paar Stiefel verbraucht“, erzählt er.
Ansprechpartner für alle
Der Gendarm-Tag beginnt für Rudi kurz bevor der Markt öffnet mit einem Kontroll- und Begrüßungsgang. Ist alles sauber? Liegen die Lieferanten in der Zeit? Öffnen alle Stände nach Plan oder muss er etwas Tempo machen? Im Anschluss folgt eine Besprechung mit Vertretern von Roncalli. Was ist für den Tag geplant? Stehen Veranstaltungen oder Pressetermine an? Was muss noch organisiert werden? Und danach geht das Rundendrehen los. Rudi versteht sich als Ansprechpartner für alle, als Bindeglied zwischen den Standbetreibern und den Organisatoren und auch als einer, der einfach die Augen offen hat und Dinge sieht, bevor sie passieren.
„Wenn jemand offensichtlich zu viel getrunken hat, versuche ich ihn freundlich davon zu überzeugen, dass es besser wäre, es erst mal gut sein zu lassen, und am nächsten Tag wiederzukommen.“ Genauso hat er einen Blick auf achtlos offen gelassene Handtaschen und ähnliche „Einladungen“ an Taschendiebe. „Ernsthafte Zwischenfälle hat es aber zum Glück in all den Jahren noch nicht gegeben“, sagt er.
Wildfremde erzählen ihm, was sie beschäftigt
Auf seinen Runden wird Pogats auch immer wieder von Menschen angesprochen, die einfach mit ihm plaudern wollen. „Manche kenne ich seit vielen Jahren, aber immer wieder kommen auch Wildfremde auf mich zu und erzählen mir Dinge, die sie gerade beschäftigen“, so Pogats. Warum das so ist, kann er sich auch nicht wirklich erklären. Aber es sei im Grunde schon immer so gewesen. „Egal wo ich hinkomme, wenn jemand etwas auf dem Herzen hat, erzählt er es mir“, sagt der Österreicher. Dagegen gesträubt habe er sich noch nie.
„Ich spreche einfach wahnsinnig gerne mit Menschen.“ Für die Rolle als Rudi wäre alles andere auch schwierig gewesen. 200 bis 300 Gespräche können es am Tag schon werden, schätzt er. Dass ihn jemals mal jemand nicht gefunden habe, sei noch nie vorgekommen. Und so verstehe er auch nicht, warum er neuerdings noch dieses Handy, oder „Geh-Telefon“, wie er es nennt, dabeihaben müsse. Aber die Zeiten änderten sich eben.
Wie im Theater
Pogats bleibt jeden Tag bis zum Schluss, also je nach Wochentag bis 21 oder 22 Uhr. Und die Tage enden, wie sie begonnen haben. Mit einer Runde über den Weihnachtsmarkt. Wenn alles in Ordnung ist, kann sich Rudolf Pogats auf den Heimweg machen.
Während des Engagements in Hamburg kommt er immer in einem Hotel unter. Dort wechselt er die Uniform gegen Alltagskleidung und genießt – das erste Mal am Tag – Ruhe, bevor es in ein paar Stunden wieder auf den Weihnachtsmarkt geht. Ans Aufhören habe er übrigens noch nie gedacht. „Ich werde das weitermachen, solange ich kann“, sagt er. Denn im Grunde sei es auf dem Weihnachtsmarkt wie im Theater – nur noch schöner. „Bei einer Vorstellung muss ich auf der Bühne auf das Feedback bis zum Ende warten. Auf dem Weihnachtsmarkt kommt die Rückmeldung sofort und ist vor allen Dingen immer positiv.“