Prof. Hans-Raimund Casserist Ärztlicher Direktor am DRK Schmerz-Zentrum in Mainz.
Über das „Schmerzgedächtnis als Ursache für chronische Rückenschmerzen“ sprach das Abendblatt mit Prof. Hans-Raimund Casser, Vizepräsident der Interdisziplinären Gesellschaft für orthopädische/unfallchirurgische und allgemeine Schmerztherapie (IGOST), einer Sektion der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) sowie Ärztlicher Direktor am DRK Schmerz-Zentrum Mainz.
Was ist das Schmerzgedächtnis?
Schmerzgedächtnis bedeutet, dass sich lang anhaltende oder starke Schmerzreize im Gehirn festsetzen, und unabhängig von der einstigen Ursache weiter verspürt werden. Wenn ein Reiz immer wieder oder dauernd auftritt, wird sein Weg über das Rückenmark ins Gehirn gebahnt. „Das bedeutet, dass der Schmerz schneller weitergeleitet wird“, sagt Casser. Das habe zur Folge, dass der Schmerz immer stärker erlebt werde und die normalerweise im Gehirn vorhandene Schmerzhemmung mit der Zeit immer schwächer. Deswegen ist der empfundene Schmerz oft stärker als man es bei einem bestimmten Reiz erwarten würde. Gefühle wie Angst und Stress können den Schmerz verstärken.
Welche Rolle spielt es bei der Entstehung chronischer Rückenschmerzen?
Die umfangreiche Aufgabe der Wirbelsäule als Stütz- und Bewegungsorgan mit ein- und ausgehenden Nerven für den gesamten Körper führt zu zahlreichen und ständigen Empfindungen, die bei Regulationsstörungen z. B. durch Stress oder Angst bevorzugt zu chronischen Schmerzen führen. Hinzu kommt noch, dass der Rücken im Gehirn nicht so gut repräsentiert ist. „Das bedeutet, dass man den Schmerz im Rücken oft nicht so genau lokalisieren kann wie zum Beispiel an den Fingern“, sagt Casser.
Wie kann man das Schmerzgedächtnis positiv beeinflussen?
Man kann das Schmerzgedächtnis nicht auslöschen. „Aber man kann es überschreiben, zum Beispiel durch neue Erfahrungen“, sagt Casser. Weder Medikamente noch Operationen könnten hier entscheidend helfen, sondern in erster Linie aktive Verhaltensänderungen des Patienten.
Wie lässt sich eine Chronifizierung verhindern?
Man sollte einen akuten Schmerz weder ignorieren noch überbewerten. „Wenn Rückenschmerzen länger als drei Tage anhalten und sich durch keinerlei Maßnahmen lindern lassen, sollte man einen Arzt aufsuchen“, rät Casser.