Hamburg. Wohnimmobilie in bester Lage galt als Symbol für Leerstand. Nun hat die Eigentümerfamilie umgedacht – aber sorgt weiterhin für Ärger.


Eine Schmiererei an der Stahltür zeugt noch vom Streit. „Hier könnten 50 Refugees seit Jahren leben“, hat jemand quer über den Hauseingang geschrieben, und darunter: „Fuck Spekulation.“ Protest am prachtvollen Wohnhaus mit Gründerzeitfassade im Herzen des Schanzenviertels, das zum Symbol für Leerstand kostbaren Wohnraums in Hamburg wurde. In das „Geisterhaus“ scheint nun neues Leben eingekehrt zu sein – gleichzeitig sorgt die Eigentümerfamilie weiter für Empörung, nicht nur im Schanzenviertel.

Ein Sprecher des Bezirksamts Altona bestätigte auf Anfrage, dass „nach Kenntnis des Amts alle vermietbaren Wohnungen“ in dem 1893 erbauten Gebäude an der Piazza des Schulterblatts nun offiziell vermietet sind. Eine Mieterin lebt bereits seit den 1980er-Jahren dort, im Erdgeschoss wird auf einer Gewerbefläche Pizza verkauft; der Rest des Gebäudes stand jedoch mehr als 13 Jahre lang leer.

Unklar bleibt, was den Sinneswandel ausgelöst hat

Dem Bezirk fehlte eine Handhabe, weil die Eigentümerfamilie stets angab, in den leeren Wohnungen liefen noch Bauarbeiten. Mal wurden dafür einzelne Wasserhähne montiert, mal eine Wand gestrichen. Erst im Herbst 2017 stellte die Familie eine sogenannte Baufertigstellungsanzeige und vermietete zwei Wohnungen mit jeweils etwa 120 Qua­dratmetern Fläche, Dielenböden und hübschem Stuck. Auch auf einem prominenten Grundstück am Schulterblatt, das die Familie jahrelang brachliegen ließ, wird seit Ende August ein neues Gebäude mit zehn Wohnungen gebaut, wie der Bezirk weiter bestätigte.

Was den vermeintlichen Sinneswandel ausgelöst hat, ist unklar. Die Eigentümer-Familie ließ zwei telefonische Anfragen sowie einen schriftlichen Fragenkatalog in der vergangenen Woche unbeantwortet, ist selbst für die Verwaltung oft schwerlich zu erreichen. Nach Abendblatt-Informationen steht eine Wohnung in dem ehemaligen „Geisterhaus“ weiterhin leer, weil es dort keine Sanitäranschlüsse gibt. Außerdem sind neue Sanktionsverfahren wegen weiterer leerer Immobilien denkbar. „Uns liegen mehrere Hinweise auf Immobilien im Zusammenhang mit der genannten Eigentümerfamilie vor, bei denen ein Verstoß gegen das Wohnraumschutzgesetz vorliegen könnte“, so der Bezirkssprecher.

Familie sollen 50 Immobilien gehören

Insgesamt sollen der Familie mehr als 50 Immobilien gehören, oft große und zentral gelegene Altbauten. Rechtsanwalt Marc Meyer vom Verein „Mieter helfen Mietern“ glaubt nicht daran, dass die Familie ihre Praxis wirklich tiefgreifend verändert hat. „Wir erleben seit 20 Jahren, wie die Familie den Wohnungssuchenden im Viertel aus undurchsichtigen Motiven schadet.“ Aktuell lasse die Familie auch mehrere Immobilien im Schanzenviertel ganz oder teilweise leer stehen: Sowohl eine Gewerbefläche in unmittelbarer Nähe der Kreuzung Schulterblatt/Juliusstraße als auch an der Susannenstraße – Letztere sogar, obwohl die Wohnungen offiziell als vermietet gelten. „Es gelingt der Familie leider, sich dem Zugriff der Stadt zu entziehen“, sagt Meyer.

In den vergangenen Jahren hat die Familie auch damit für Kritik gesorgt, dass sie die Mietverträge mit mehreren etablierten Geschäftsleuten und Gas­tronomen nicht verlängerte. „Das Viertel wandelt sich und verliert seine Alltagslebendigkeit“, kritisierte etwa der Altonaer Grünen-Politiker Holger Sülberg, als gleich mehrere Gewerbe­flächen gleichzeitig leer standen. Zuletzt übten auch im Rahmen des Abendblatt-Projekts „Wem gehört Hamburg?“ mehrere Mieter scharfe Kritik an der Familie – so sei etwa auch die Hälfte der Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus auf der Uhlenhorst dauerhaft unbewohnt. Andere Betroffene berichteten von vermeintlich verwahrlosten Gebäuden, es würde stets nur das Nötigste an Instandsetzung durchgeführt. „Zu keiner anderen Privatperson haben Mieter so viele Geschichten geteilt“, sagt Jonathan Sachse vom Recherche-Netzwerk Correctiv, das die Daten des Projekts auswertete.

Die Motive der Familie liegen im Dunkeln

Bislang scheint es keine Anzeichen zu geben, dass etwa die beschmierte Tür an dem Gründerzeitgebäude im Schanzenviertel erneuert wird. Welche Ziele die Eigentümer verfolgen, erscheint rätselhaft. Für „übliche“ Spekulation sei die Zeitspanne der Leerstände zu lang und damit zu unrentabel, so der Rechtsanwalt Marc Meyer. „Im Übrigen wäre es nach derselben Logik wahrscheinlicher gewesen, dass etwa das unbebaute Grundstück am Schulterblatt nach einiger Zeit gewinnbringend verkauft wird.“

Stattdessen nutzte die Familie erst jedoch eine Baugenehmigung nicht, um die Fläche am Schulterblatt nun doch zu bebauen. „Das ist wohl der einzige Gefallen, den sie den Anwohnern je gemacht hat“, so Meyer. So ziehe hoffentlich in Zukunft der Lärm der Straße nicht mehr in die Hinterhöfe aller Nachbarn.