Hamburg. Die S-Bahn-Linie 4 soll Hamburg und Stormarn verbinden – ein Vorteil für Pendler. Doch die Anrainer der Strecke haben große Sorgen.
Alle zehn Minuten eine S-Bahn: Wo jetzt noch im Abstand von meist 30 Minuten die Regionalbahn RB 81 von Hamburg Hauptbahnhof nach Bad Oldesloe fährt, beginnt voraussichtlich 2020 die Realisierung eines der ehrgeizigsten Nahverkehrsprojekte im Norden: der Bau der S 4 auf dieser Strecke. Doch nicht nur das. Darüber hinaus werden zwischen Hamburg Hauptbahnhof, Wandsbek, Rahlstedt und Ahrensburg künftig mindestens doppelt so viele Güterzüge fahren wie bisher, teilweise sind sie 835 Meter lang. Dieses Projekt heißt „Schienenanbindung der festen Fehmarnbelt-Querung“.
Die Unruhe der Anwohner ist groß. Sie fürchten um den Wert ihrer Grundstücke und sorgen sich vor Lärmbelästigung sowie Gefahrgut- und sogar Atomtransporten, die mitten durch die Wohngebiete führen könnten.
Bis 2027 soll die S-Bahn-Strecke fertig sein
Die Deutsche Bahn AG hat auf Abendblatt-Anfrage jetzt den aktuellen Planungsstand für den Bau der Bahnlinie S 4 vorgelegt und in Einzelfällen den Eigentümern Kompromissbereitschaft signalisiert. Erst vor wenigen Tagen wurde die S-Bahn-Trasse vom Bundesverkehrsministerium im Bundesverkehrswegeplan 2030 in den „vordringlichen Bedarf“ hochgestuft. Sollten die Bauarbeiten im Jahr 2020 beginnen, könnte die erste Teilstrecke zwischen Hamburg-Hauptbahnhof und Rahlstedt 2025 fertig sein. Die Inbetriebnahme der gesamten Strecke ist für 2027 geplant.
Das S-4-Projekt sieht vor, zwei zusätzliche Gleise auf der insgesamt 35,9 Kilometer langen Strecke von Altona nach Bad Oldesloe zu bauen, und zwar auf einem Gesamtabschnitt von 17 Kilometern bis Ahrensburg. Darüber hinaus gibt es an den Bahnhaltepunkten umfangreiche Modernisierungen sowie neue Stationen wie Holstenhofweg und Am Pulverhof. Von Ahrensburg-Gartenholz bis Bad Oldesloe ist dagegen kein Streckenausbau vorgesehen, dafür umfangreiche Modernisierungen an den Bahnhöfen. 950 Millionen Euro werden von Bund, Ländern und Bahn investiert.
Bei der Bahn ist Bettina Gnielinski S-4-Projektleiterin. Die Hamburgerin sagt: „Die S 4 ist ein Nahverkehrsprojekt. Die Pendlerströme sollen dank der S 4 den Hauptbahnhof Hamburg entlasten.“ Für den ersten Abschnitt von Hasselbrook zur Luetkensallee seien die Planungen schon sehr weit gediehen. Hier habe es bereits den Erörterungstermin gegeben. Als nächste Stufe folge der Planfeststellungsbeschluss. „Das dauert einige Monate.“ Das Eisenbahnbundesamt prüfe als Aufsichtsbehörde alls drei Planfeststellungsabschnitte. Für den zweiten und dritten Abschnitt werde von der Behörde die Erstprüfung und Sichtung vorgenommen.
"einigen Hundert" Eigentümern droht Grundstücksverlust
Ein Papier der Münchner Verkehrsberatung Vieregg – Rössler GmbH fasst erstmals die Folgen für die Anwohner zusammen (das Abendblatt berichtete). Nach den bisherigen Bahnplänen auf der Gesamtstrecke von Hamburg bis nach Bad Oldesloe würden „einige Hundert“ Hauseigentümer Teile ihrer Grundstücke verlieren, damit die Bahn die Strecke auf vier Gleise verbreitern könne, hieß es.
Allein auf einem 250 Meter langen Abschnitt nahe Hasselbrook wären 45 Eingriffe in Privatgrund sowie die Räumung von Kleingärten erforderlich. „Der Bau der S 4 ist somit mit einem hohen Aderlass der vielen Betroffenen verbunden.“ Die Studie wurde von der „Bürgerinitiative an der Bahnstrecke Hamburg–Lübeck e. V.“ in Auftrag gegeben.
Sieben geplante Abrisse in Wandsbek
Wie die Deutsche Bahn nun auf Abendblatt-Anfrage mitteilte, sind durch den Ausbau der S-Bahn-Linie S 4 (Ost) zwischen Hasselbrook und Luetkensallee in Wandsbek sieben Häuser betroffen. Die Gebäude sollen nach jetziger Planung abgerissen werden. Die Eigentümer wurden angeschrieben. „Es gibt leider eine nicht geringe Anzahl von ihnen, die mit uns derzeit noch nicht reden will, wohl erst dann, wenn es um die Höhe der Entschädigung geht“, sagt Gnielinski. Der Richtwert für die Entschädigungsansprüche sei der Verkehrswert. „Bei Nicht-Einigung wird ein vereidigter Gutachter bestellt.“ Das sei das übliche Prozedere.
Es sind aber nicht nur Häuser, sondern auch Grundstücke und Parzellen betroffen. Nach Bahnangaben handelt es sich dabei insgesamt um „141 Parzellen“, auf denen Carports, Gartenlauben, Garagen und Container stehen. Die meisten Flächen gehörten der Stadt Hamburg und der Bahn. Und die Pächter wüssten bereits seit Jahren, dass Veränderungen auf sie zukämen.
Bahn-Projektleiterin sucht persönliche Gespräche
Während die Bürgerinitiative das Vorgehen der Bahn scharf kritisiert und sich offenbar immer mehr Anwohner zu einer gerichtlichen Klage entscheiden, heißt es bei der Bahn: „Bei den Gesprächen vor Ort ging es, bis auf wenige Ausnahmen, sehr fair und hanseatisch zu. Es gibt ein Miteinander.“
Die Projektleiterin Bettina Gnielinski berichtet von einem Grundeigentümer, den sie getroffen habe. „Er erzählte mir von einem Baum, den er gemeinsam mit seinem Großvater gepflanzt hatte. Wir prüfen im Einzelfall vor Ort, ob Bäume erhalten werden können. Der Austausch auf einer persönlichen Ebene ist in solchen Fällen für mich sehr wichtig – und sensibilisiert beide Seiten. Wir haben auch viele positive Botschaften bekommen. Etwa, wenn aufgrund neuer Erkenntnisse eine Baustraße doch entgegen der Erstplanung noch verschiebbar ist. Was wir im Großen und Kleinen helfen können, das tun wir auch.“
Allein im Herbst fanden Gespräche mit 39 Haushalten in den Planungsabschnitten I und II statt. Die Bahn sei „offen für weitere persönliche Termine“. Beim Bau der S 4 hätten Anwohner einen Rechtsanspruch auf Lärmschutz. Rechts und links der Strecke sowie in der Mitte entstehen Lärmschutzwände auf einer Gesamtlänge von 45 Kilometern. Die Höhe der Wände variierten zwischen zwei und sechs Metern. Wie bisher führen die Züge auch durch das Stellmoorer und Ahrensburger Tunneltal, das Relikte aus der letzten Eiszeit vor gut 12.000 Jahren birgt. Um einen Beitrag zum Schutz zu leisten und weitere archäologische Arbeiten zu ermöglichen, will die Deutsche Bahn eine 120 Meter lange Netzwerkbogenbrücke auf diesem Abschnitt bauen.
Bahn kann Atomtransporte auf Güterstrecke nicht ausschließen
Bei dem zweiten Großprojekt, der "Schienenanbindung der festen Fehmarnbelt-Querung“, werden insgesamt 2,2 Milliarden Euro investiert. Der weiter steigende Fern- und Güterverkehr auf der Strecke zwischen Hamburg über Bad Oldesloe und Lübeck Richtung Skandinavien wird nach Bahnangaben nicht die neuen geplanten S-Bahn-Gleise nutzen, sondern die Bestandsgleise.
Erwartet wird, dass sich der Güterzugverkehr mindestens verdoppelt. Fahren derzeit etwa innerhalb von 24 Stunden 30 Güterzüge am Bahnhof Tonndorf vorbei, gehen Zugprognosen für das Jahr 2030 von 78 Güterzügen aus, die aus Skandinavien über Fehmarn nach Deutschland rollen.
Ein Teil davon werde zwar bei Lübeck über Bad Kleinen geführt; 50 bis 60 Güterzüge fahren aber weiter nach Hamburg. Es seien außerdem weitere Güterzüge zu erwarten, die vom Travemünder Hafen Richtung Hamburg starten. Sie werden mit neuen Flüsterbremsen ausgestattet und haben eine Länge von 835 Metern. Dass eines Tages Atomtransporte auf dieser Strecke in nukleare Endlager nach Skandinavien rollen, kann die Bahn nicht ausschließen.