Hamburg. Cornelius Speinle, der junge Küchenchef aus dem Luxushotel The Fontenay, gilt als sicherer Anwärter auf mindestens einen Stern.

Als kleiner Junge, Ende der 80er-Jahre in der Schweiz, hat er davon geträumt, später einmal Pilot zu werden. Doch schon in der Grundschule entschied er: Koch ist noch besser. Und er sollte recht behalten. Denn heute, gut 25 Jahre später, ist Cornelius Speinle näher dran an den Sternen, als er es in einem Flugzeug je hätte sein können. Dass der „Guide Michelin“ den jungen Küchenchef aus Klaus-Michael Kühnes Luxushotel The Fontenay im Februar mit mindestens einer der unter Köchen begehrtesten Auszeichnungen bedenkt, gilt unter Gourmets als sicher.

 Das Fontenay an der Außenalster hat fünf Sterne – das Restaurant hofft auf die ersten
 Das Fontenay an der Außenalster hat fünf Sterne – das Restaurant hofft auf die ersten © The Fontenay | The Fontenay

Gerade erst hat der „Gault Millau“ an das Restaurant Lakeside 17 von 20 Punkten vergeben. „Es hat uns natürlich wahnsinnig gefreut, dass wir aus dem Stand heraus so hoch bepunktet wurden“, sagt Cornelius Speinle. Das Team, bestehend aus 14 Köchen und sieben Mitarbeitern im Service, darunter Stefanie Hehn, die gleichzeitig zur „Sommelière des Jahres 2018“ gekürt wurde, sei schließlich noch sehr jung – in doppelter Hinsicht. „Zum einen arbeiten wir erst seit neun Monaten zusammen, zum anderen bin ich mit meinen 32 Jahren schon fast der Senior hier“, sagt Speinle. Doch jeder aus der Mannschaft verfüge über erstaunlich viel internationale Erfahrung. Wie der Küchenchef selbst.

Speinles Mutter kocht leidenschaftlich gern

Als jüngstes von fünf Geschwistern wächst Cornelius Speinle in Schaffhausen, berühmt für den Rheinfall, in einer Familie auf, für die das gemeinsame Essen ein festes Ritual ist und Genuss zum Leben gehört. Vater Walter, ein Jurist, hat einen wohl sortierten Weinkeller, und Mutter Astrid kocht leidenschaftlich gern – „und richtig gut“, wie der jüngste Sohn stolz sagt. Auch wenn sich heute die ganze Familie im Elternhaus treffe, was so zwei- bis dreimal im Jahr der Fall sei, könne man davon ausgehen, dass die Mutter einen Schmorbraten oder auch mal ein kleines italienisches Büfett vorbereitet habe. „Ich glaube nicht, dass wir es jemals erleben werden, dass der Kühlschrank unserer Eltern leer ist.“

Die Interessen der Kinder – zwischen Cornelius Speinle und seinem ältesten Bruder liegen 20 Jahre – seien naturgemäß sehr unterschiedlich gewesen. „Umso wichtiger war meinen Eltern, dass wir gemeinsam am Tisch sitzen“, sagt Speinle. Die goldene Regel: Ihr dürft noch auf eine Party gehen, aber zuerst wird zu Hause gegessen. Von seiner Mutter habe er viel gelernt, sagt Speinle, der nach der Schule zunächst eine Kochlehre im örtlichen „Theaterrestaurant“ absolviert. Der Chef dort erkennt schnell das Potenziel des jungen Mannes und schickt ihn 2006 in die große Stadt nach Basel. Im Les Quatre Saisons, damals schon mit 18 Punkten und einem Stern dekoriert, verliebt sich Cornelius Speinle in die Haute Cuisine – und in Kirstin aus dem Service, mittlerweile seine Ehefrau.

Sein Lebensmotto: Make it nice or twice

Als sie an der Hotelfachschule in Heidelberg angenommen wird, legt sie Cornelius Speinle abends den „Guide Michelin“ hin und meint: „Schau da mal rein. Da wird doch auch in Deutschland ein Laden dabei sein, der dich interessiert.“ Cornelius Speinle lacht, als er im lichten Restaurant Lakeside mit Blick über die Alster diese Anekdote erzählt. „Ich muss zugeben, dass wir Schweizer den Deutschen damals kulinarisch nicht viel zugetraut haben.“ Deutsche Küche, das sei doch eine riesige Portion Eisbein, die in einem Meer von Sauce schwimme.

Dieses Vorurteil sollte sich nicht bestätigen, als Cornelius Speinle nach Saarbrücken zu Klaus Erfort wechselt. Dessen „GästeHaus Erfort“ hatte zwei Sterne, kurz darauf folgte der dritte. „Dieser Sprung war gigantisch. Der Druck auf das Team wuchs enorm, der Ton in der Küche wurde auch mal rau.“

Es folgen zwei Jahre in Singapur, danach zieht es Cornelius Speinle und seine Frau zurück nach Europa. „Ich hatte mir genau überlegt, wo ich gern hinwollte“, sagt Speinle, der sich als ambitioniert beschreibt. Dazu passt sein Lebensmotto („Make it nice or twice“, sinngemäß: Mach es richtig oder lass es), dass der junge Schweizer als Plakat und zur täglichen Motiviation des Teams in der Fontenay-Küche aufgehängt hat.

Und wo wollte er hin? Zu Heston Blumenthal, dem wohl berühmtesten Koch-Autodidakten, in dessen legendäres Dreisternehaus The Fat Duck im britischen Bray. Da musste die Bewerbung schon kreativ sein. „Ich habe ein Rezept auf essbarem Papier hingeschickt, das den Geschmack meines Gerichts, Tatar von der Wassermelone, transportierte.“ Es muss Heston Blumenthal geschmeckt haben, die Zusage kam umgehend. „Auf dieser Station habe ich so viel gelernt. Egal, wie man vorher ein Püree zubereitet oder eine Sauce angesetzt hat – Heston macht es anders. Weil er eben nicht nach Lehrbuch kocht, sondern neu denkt.“

Cornelius Speinle will unorthodox bleiben und überraschen

Das versucht Cornelius Speinle mit seinen beiden Souschefs David Perez und John Ho, den er aus dem Fat Duck abgeworben hat, auch in seinem Restaurant in Hamburg umzusetzen. „Ich hole mir auch mal eine Idee aus dem Baumarkt“, sagt Cornelius Speinle. So benutzten sie zum Beispiel Metallstangen in der Küche, die ihnen ursprünglich mal beim Bodenverlegen aufgefallen seien.

„Die haben wir nachgekauft, weil man super Teig darum wickeln kann und auf diese Art dünne Röllchen entstehen.“ Seinen Stil – auf der Karte stehen derzeit zum Beispiel Reh mit Sellerie, Knochenmark und Spitzkohl oder Jakobsmuschel mit Petersilie, Sauce Tatar und Blumenkohl – beschreibt der Schweizer als „moderne Klassik“. Doch was gibt es eigentlich bei Cornelius Speinle, der mit Kirstin und dem zweijährigen Sohn Vince Carlos in Lokstedt lebt, zu Hause? „Ich glaube, die Gäste wären enttäuscht. Bei uns gibt es ganz normales Abendbrot oder vielleicht mal ein gutes Schnitzel.“

In Hamburg fühlt sich Speinle sehr wohl. Das eigene, mit einem Stern dekorierte Restaurant „dreizehn Sinne im Huuswurz­“ in Schlattingen aufzugeben, um ins The Fontenay zu wechseln, habe er noch keine Sekunde bereut. „Unser eigener Laden in der Schweiz war toll, aber auch sehr klein. Kirstin und ich haben unten gearbeitet und oben gewohnt. In der Küche waren zwei Herdplatten, und wenn die Gäste weg waren, war der Raum unser Wohnzimmer.“

Bei Fehling hat Speinle noch keinen Tisch bekommen

Mit Kind sei diese Vermischung von Arbeit und Privatleben schwierig gewesen. Außerdem habe ihn Hoteleigentümer Klaus-Michael Kühne, der übrigens ein sehr unkomplizierter Gast sei, schnell überzeugt. „Wir haben hier als Küchenteam alle Freiheiten, und das war mir wichtig.“ Auch der Kontakt zu den anderen Hamburger Top-Köchen sei sehr gut und von gegenseitigem Respekt geprägt. „Wenn mir mal die Trüffel ausgehen, ist es selbstverständlich, dass mir Christoph Rüffer aus dem Vier Jahreszeiten aushilft, und umgekehrt gilt das natürlich auch.“

Eines habe er in Hamburg allerdings noch nicht geschafft, sagt der 32-Jährige: „Ich muss unbedingt mal bei Kevin Fehling essen, aber da ist es richtig schwierig, einen Tisch zu bekommen.“ Zum Glück sei auch das Lakeside mit seinen 40 Plätzen hervorragend gebucht, sagt Speinle, der im Urlaub gern auch mal Zeit unter Wasser verbringt. Im Februar, wenn die Sterne vergeben werden, wird er allerdings nicht abtauchen können. „Mal sehen“, winkt Speinle bescheiden ab. „Ich koche ja nicht für die Tester. Hauptsache, meine Gäste sind zufrieden und kommen wieder.“ Da darf er durchaus zuversichtlich sein.