Hamburg. Warum nur ein Bruchteil der mutmaßlichen Diebstähle zur Anklage kommt und was nun mit den anderen Rädern passiert.
Vor anderthalb Jahren gelang der Polizei ein spektakulärer Erfolg, dem ersten Anschein nach ein Volltreffer im Kampf gegen Fahrraddiebe: Auf dem Gelände einer Firma in Rothenburgsort stießen die Ermittler auf rund 1500 mutmaßlich gestohlene Fahrräder. Der Jubel war groß, der bürokratische Aufwand immens. Der Ertrag? Dann doch recht überschaubar.
Über Monate hatten Ermittler den dubiosen Elektroeinzel- und Großhandel an der Billstraße überwacht – bei dem Zugriff am 25. April 2017 mit 200 Beamten entpuppte sich das Gelände zunächst als wahres Hehlernest. Offenbar seit Jahren hatten die Brüder Sabrin (45) und Fardin S. (44) dort mutmaßlich deutschlandweit gestohlene Räder auf- und dann weiterverkauft. Gegen die beiden nicht vorbestraften Männer hat die Staatsanwaltschaft jetzt Anklage wegen „gewerbsmäßiger Hehlerei“ erhoben. Wann verhandelt wird, steht noch nicht fest.
1500 Fahrräder gefunden – im Prozess wird es nur um 20 gehen
Sicher ist aber schon jetzt, dass es nicht um 1500 Fahrräder gehen wird, sondern lediglich um 20, die die Brüder laut Anklage „in Kenntnis ihrer deliktischen Herkunft“ aufgekauft und an der Billstraße aufbewahrt haben sollen, um damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dabei handele es sich um Bikes von Marken wie Boccas und Raleigh mit einem Wert von 200 bis 1000 Euro, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nana Frombach. Bei den übrigen Rädern, kurz nach der Razzia mit 15 Polizei-Lkw abtransportiert, konnte nicht ermittelt werden, wem sie gehören.
Das verweist auf ein grundsätzliches Dilemma. Entdeckt die Polizei wie an der Billstraße Fahrräder, die mit einiger Wahrscheinlichkeit gestohlen worden sind, könnten 90 Prozent keinem Eigentümer zugeordnet werden, sagte LKA-Chef Frank-Martin Heise vor Kurzem. Ein Problem: Viele Räder, ältere vor allem, sind nicht codiert. Der in den Rahmen eingefräste Code enthält in verschlüsselter Form die individuellen Daten des Eigentümers, seine Adresse und seine Initialen. Bundesweit kann die Polizei so ermitteln, wo er wohnt. Zudem wird nicht jeder Fahrradklau angezeigt – und wenn, fehlen häufig detaillierte Angaben zum Modell, die eine rasche Zuordnung ermöglichen.
Wem gehören die Räder? Eine schwierige Frage
„Die Polizei muss aber in jedem einzelnen Fall die Eigentumsverhältnisse zweifelsfrei klären“, sagt Polizeisprecher Ulf Wundrack. Ein aufwendiges Prozedere. Nach dem spektakulären Fund an der Billstraße hatte die Polizei sämtliche Räder fotografiert und die Bilder online gestellt. 850 Menschen meldeten sich daraufhin. Doch sowohl im Internet als auch bei zwei Besichtigungsterminen scheiterte die Rückgabe der Räder in den meisten Fällen an einem glasklaren Eigentumsnachweis.
Fahrräder, die nicht zugeordnet werden können, landen im Fundbüro, werden irgendwann versteigert – pro Jahr sind es rund 1500. Mitunter kommt es auch vor, dass als gestohlen gemeldete Räder von der Polizei gefunden werden, der Eigentümer aber längst von der Versicherung entschädigt worden ist. „Die Räder landen dann ebenfalls im Fundbüro, für die Versicherungen scheint es sich vielfach nicht zu lohnen, die Räder wieder zurückzunehmen“, heißt es aus Polizeikreisen.
Fahrraddiebstähle werden nur selten aufgeklärt
Den Weg ins Fundbüro fanden die überwiegend alten und schrottreifen Razzia-Räder jedoch nicht. Im April 2018 rollten die Polizei-Laster mit den Rädern an Bord erneut zur Billstraße – zurück zu den beschuldigten Brüdern. Grund: „Gegenstände, die beschlagnahmt worden sind, müssen, sofern sie nicht der Einziehung unterliegen, an den letzten Gewahrsamsinhaber herausgegeben werden“, sagt Oberstaatsanwältin Frombach. „Eine Einziehung kam hier nicht infrage, weil nicht sicher festgestellt werden konnte, dass die Räder aus Straftaten stammen.“
In Hamburg wie in jeder anderen deutschen Großstadt auch werden kaum Fahrraddiebstähle aufgeklärt – die Quote liegt in der Hansestadt bei nur 3,3 Prozent. Ein Massendelikt, immerhin ein rückläufiges: Die Zahl gestohlener Fahrräder sank von 17.485 im Jahr 2016 auf 14.506 im Vorjahr. Allerdings bringen Betroffene längst nicht jeden Diebstahl zur Anzeige – insbesondere, wenn es sich um ältere, eher geringwertige Modelle handelt.
Vor sechs Wochen wurden rund 100 hochwertige Räder gefunden
Anders verhält es sich bei hochwertigen Bikes: Als sie vor sechs Wochen ein nur wenige Meter vom Riesenlager an der Billstraße entferntes Gelände durchsuchten, stießen die Ermittler auf rund 100 mutmaßlich gestohlene Fahrräder, darunter Tausende Euro teure E-Bikes, Mountainbikes und Rennräder. Nach 30 davon wurde bereits gefahndet, sie konnten sofort einer Diebstahlstat zugeordnet werden. Der Verdacht richtet sich in diesem Fall gegen die Ankäufer, einen 59 Jahre alten Vater und seinen Sohn (24). Die Ermittlungen laufen noch.
Im Fokus der „Arbeitsrate Fahrrad“, die bei der Polizei seit 2016 die Ermittlungen in größeren Diebstahls- und Hehlerei-Fällen verantwortet, stehen Banden, die durch Hamburg fahren und gezielt Beute in Transporter einladen; Gelegenheitstäter, die schlecht gesicherte Räder stehlen und Menschen, die so ihre Drogensucht finanzieren. Die Räder, so heißt es, würden vor allem in Osteuropa oder in Afrika versetzt.
Immer öfter bieten die Diebe ihre Beute im Internet an
Hierzulande finden geklaute Bikes auf Flohmärkten Abnehmer, jedoch bekommen die klassischen Umschlagplätze zunehmend „Konkurrenz“ von den Anzeigenportalen im Internet. Die Polizei beobachtet auch die digitalen Vertriebskanäle der Kriminellen mit Argusaugen. So fasste sie im Sommer den Niederländer Nils D. Der 35-Jährige soll auf der Straße Hollandräder fotografiert und die Bilder bei „Ebay-Kleinanzeigen“ veröffentlicht haben. Biss ein Interessent an, stahl er das begehrte Rad.
Nachdem Radbesitzer ihre Bikes auf dem Portal entdeckt hatten, alarmierten sie die Polizei. Bei einem von Ermittlern initiierten Scheinkauf wurde Nils D. festgenommen, seit dem 17. Juni sitzt er in U-Haft und steht vom kommenden Montag an vor Gericht – zur Last legt ihm die Staatsanwaltschaft gewerbsmäßigen Diebstahl und Betrug.
So schützen Sie Ihr FahrradDie Polizei rät dringend, das eigene Fahrrad codieren zu lassen. Damit erhöhen Betroffene ihre Chance, ihr gestohlenes Fahrrad zurückzuerhalten rapide. Auf der Website polizei.hamburg.de/fahrradcodierung bietet die Polizei eine Übersicht von Händlern und Terminen, um das Rad kennzeichnen zu lassen. Zudem sollten möglichst alle Details zum eigenen Fahrrad festgehalten werden – heute geht das per Handy-App („Fahrradpass“). Drei Minuten, so eine Faustregel, bringen die Täter maximal auf, um ein Fahrrad zu knacken. Die Polizei rät daher zu zwei stabilen und zertifizierten Schlössern unterschiedlicher Bauart. Diebe sind häufig nur auf eine Art von Fahrradschlössern spezialisiert. Empfohlen werden Bügel- und Faltschlösser. Kettenschlösser können meist einfach mit dem Bolzenschneider geknackt werden. Als verlässlich gelten Schlösser mit dem VdS-Siegel – die haben allerdings ihren Preis. |