Harburg. Bis zu 240 Besucher kommen täglich ins Abrigado. Ausgerichtet war es einmal auf 80. Politik will helfen.

Darüber herrschte Einigkeit in der Bezirksversammlung: Der Drogenhilfeeinrichtung Abrigado muss geholfen werden. Ein entsprechender Antrag von SPD, Grünen und Linken wurde mit großer Mehrheit angenommen. Darin wird eine Personalaufstockung und der räumliche Ausbau des Projekts auf dem Schwarzenberg gefordert, damit die Sozialarbeiter und Krankenpfleger des Abrigado an sechs Tagen in der Woche ihre Klientel versorgen können, die mittlerweile so stark angewachsen ist, dass die Besucherzahl die ursprünglich angedachte Kapazität der Einrichtung um 200 Prozent überschreitet.

Mittags 13 Uhr. Noch dauert es eine halbe Stunde, bis das Abrigado öffnet. Trotzdem sind schon viele Besucher da. Einige haben das Gelände gar nicht erst verlassen. Obdachlosigkeit ist ein Problem, das zwar längst nicht alle Drogensüchtigen betrifft, aber unter Süchtigen häufiger vorkommt, als bei anderen Gruppen. Trotz des trüben Wetters ist die Stimmung gut. Im Haus sind die ersten Mitarbeiter schon bei den Tagesvorbereitungen, draußen haben die Übernachtungsgäste schon ihre Nachtlager beiseite geräumt und den Hof gefegt.

„Das passiert von ganz alleine“, sagt Sozialarbeiter Jonny Schanz. „Diese Besucher sehen den Hof als ihren Verantwortungsbereich an.“

Drinnen ist es noch ruhig. Es riecht nach Desinfektionsmitteln und Kaffee. Das Haus hat vier Bereiche: Den Konsumbereich mit Spritzentausch und sterilem Mobiliar, den Aufenthaltsbereich mit Café, einen Krankenpflegebereich und die Sozialarbeiterbüros. „Im Idealfall sind wir mit sechs Leuten hier, drei besetzen Konsumraum, Spritzentausch und Café, drei machen Sozialberatung in den Büros. Zur Hälfte der Schicht wird gewechselt. Aber der Idealfall tritt selten ein. Oft sind wir unterbesetzt.“

Der Idealfall wären auch 80 Besucher pro Tag. Das wird jeden Tag überschritten. Bis zu 240 kommen mittlerweile täglich auf den Schwarzenberg, zumal andere, ähnliche, Einrichtungen in Hamburg geschlossen wurden. Es sind längst nicht mehr nur Heroinabhängige, die das Abrigado aufsuchen. Auch das Kokainderivat Crack spielt eine wichtige Rolle. „Ich schätze das Verhältnis auf 50 zu 50“, sagt Schanz.

„Akzeptierende Drogenarbeit“ hat in Hamburg in den 1990er-Jahren begonnen. Damals gab es eine große offene Drogenszene in der Stadt. Nahezu wöchentlich wurden Herointote gefunden. AIDS, Hepatitis und andere Infektionskrankheiten grassierten in der Szene. Die Arbeit dagegen begann mit dem kostenlosen Tausch benutzter gegen sterile Spritzen. Bald kamen sogenannte Fixerstuben dazu.

„Dazu gewann man damals auch die Erkenntnis, dass es gegen die Verelendung hilft, wenn man in den Fixerstuben Dinge ermöglicht, die sonst im Süchtigenleben zu kurz kommen, wie Körperpflege, Ernährung und Gesundheitspflege“, sagt Schanz.

Im Abrigado kümmern sich die Mitarbeiter auch um die Vermittlung in Hilfen von Wohnungssicherung bis zu Suchttherapien und sie leisten eine grundlegende klinisch-pflegerische Versorgung. Bei allen Angeboten des Abrigado, die über die reine Konsumermöglichung hinaus gehen, gibt es unter den Abrigado-Gästen so etwas, wie eine Zweiklassengesellschaft: Knapp ein Fünftel der Besucher stammt aus Russland oder Südosteuropa.

„Diese Menschen sind hier von allen Sozialleistungen ausgeschlossen“, sagt Jonny Schanz, „auch wenn sie einmal legal eingewandert sind, hier gearbeitet haben und erst dann in die Sucht abgerutscht sind. Wenn diese Leute obdachlos sind, dürfen wir ihnen nicht einmal einen Schlafsack herausgeben. So etwas organisieren wir dann außerhalb der Arbeitszeit über private Sachspenden.“

Auch ohne diese Zusatzbelastung haben die Abrigado-Mitarbeiter stets alle Hände voll zu tun. Und wenn der Andrang zu groß und die Wartezeit auf einen Konsumplatz zu lang wird, siegt bei manchem Gast doch wieder die Sucht über das Sozialverhalten und die Spritze wird im Gebüsch gesetzt. Auch das ist ein Grund, warum die Mehrheit der Bezirksabgeordneten für den Antrag stimmte.

„Wir brauchen wirklich dringend mehr Platz und Stellen“, sagt Jonny Schanz. Er schließt die Tür auf. Der Abrigado-Tag beginnt.

Freiraum

Der Träger des Abrigado ist der Verein „Freiraum Hamburg e.V.“. Der Verein hat als erster Träger in Deutschland Gesundheitsräume mit Konsummöglichkeiten, so genannte “Fixerräume“ eingerichtet.

1994: eröffnete „Freiraum“ das „Drug-Mobil“ in Billstedt und das „Abrigado“ in Harburg;

1995 den „FixStern“ in Altona.

„Drug-Mobil“ und „FixStern“ wurden vom Senat vonBeust/Schill 2003 endgültig geschlossen. Verblieben ist nur das

„Abrigado“ als niedrigschwellige und akzeptierend arbeitende Kontakt- und Beratungsstelle mit einem integrierten Gesundheitsraum / Konsumraum.