Hamburg. Radwegetest, Teil 12: Die Veloroute 11 wartet mit Höhenflügen und Tiefschlägen auf. Wie Radwege von morgen aussehen könnten.
Spektakulär, eigentlich. Manchmal reichen schon zwei Wörter für eine Zusammenfassung. Im Fall der Veloroute 11 sagt dieses Extrakt, dass die Radwege auf einem reizvoll geführten Kurs in den Hamburger Süden schon recht gut geraten sind – mit einigen Abstrichen. Und das kann im Jahr 2018 ja auch mal über eine städtische Radstrecke geschrieben werden, wenn auf so vielen anderen Velorouten noch so viel Stückwerk mit so viel Handlungsbedarf zu besichtigen ist. Auf der Veloroute 11 zeigen dagegen heute schon viele Abschnitte, wie Radwege von morgen aussehen können.
Abgesehen von einigen unschönen Passagen in der Altstadt und im Harburger Zentrum, dem unerwartet auftauchenden Kopfsteinpflaster sowie der stellenweise fehlenden Beschilderung, ist diese gut 16 Kilometer lange Route durchaus eine Empfehlung. Und zwar nicht nur, weil sie so sehenswerte Punkte wie den Michel, das Portugiesenviertel, den Alten Elbtunnel, den Hafen, das Wilhelmsburger Zentrum und die Alte Harburger Elbbrücke verbindet. Sie fährt sich auch oft komfortabel, sicher und gut. „So, wie’s sein soll“, sagt ADFC-Tester Jens Deye.
Aller Start ist allerdings hart, zumindest, wenn man in der City startet. Hinter Rathaus und Großer Burstah knickt der Anfang der Route 11 abrupt nach links auf den Rödingsmarkt ab – bisher ein einziges Durcheinander für Radfahrer, aber wegen der Baustelle gibt es mildernde Umstände vom ADFC-Tester. Wie der Radverkehr künftig über den Knoten und die Willy-Brandt-Straße geführt wird, bleibt spannend. Dahinter sorgt ein Radstreifen bereits jetzt für durchaus angenehmes Gleiten, der harte Rechtsschwenk auf die Schaartorbrücke könnte, nun ja, harmonischer sein. Kopfsteinpflaster im Schaarsteinweg und die Führung durch kreuzende Fußgänger auf den Michelwiesen sind auch nicht optimal, um nicht zu sagen: konfliktträchtig.
Glanzpunkt der Tour
Im Portugiesenviertel an der Ditmar-Koel-Straße staunen sich Touristen die Augen aus, für Alltagsradfahrer ist die Fahrbahn mit Autos je nach Verkehrslage er- oder unerträglich. Vorm Alten Elbtunnel, an den Landungsbrücken, bietet ein Schutzstreifen wieder kurz eine schmale Komfortzone, die Straßenquerung zum Tunneleingang kann man so machen – muss man aber nicht.
Ein Glanzpunkt der Tour ist natürlich die Fahrstuhlfahrt abwärts in den historischen Tunnel. Je nach Tageszeit und Richtung kann gefahren werden, ansonsten ist das eine Schiebestrecke. Wenn Rot-Grün die Pläne zum autofreien Tunnel durchsetzt, dürfte wohl allzeit durchgerollt werden. Ein Erlebnis ist es aber schon heute, selbst wenn an Sonntagen Obacht geboten ist: Die Smartphone-Selfie-Fraktion hat nur Augen für die Eigendarstellung auf den Bildschirmen. Die temporeduzierenden Buckel auf der Fahrbahn hätte man sich laut ADFC-Tester sparen oder flacher gestalten können. Insgesamt aber: das erste Hochgefühl der Route.
Im Gegensatz dazu ist die Hermann-Blohm-Straße auf der anderen Elbseite wieder ein kleiner Tiefschlag. Der Tunnel spuckt Radfahrer auf üblem Kopfsteinpflaster aus, der bald folgende Radweg ist eher unterdimensioniert. Fußgänger und in beide Richtungen verkehrende Radfahrer teilen sich die Strecke durch das Hafengebiet. Das wäre mit Radwegen auf beiden Fahrbahnseiten besser gegangen, meint der ADFC. Platz genug wäre jedenfalls. Immerhin ist die Fahrt bis zum Reiherdamm auf relativ neuem Asphalt ruckelfrei. Gefährlich sind neben dem Gegenverkehr aber die Ein- und Ausfahrten der ansässigen Betriebe hinter den schwer einsehbaren Flutschutzmauern. Für Auto- und Lkw-Fahrer ist die Lage auf dem Radweg kaum einzuschätzen, für alle gilt vorsichtiges Herantasten. „Die wichtige Anbindung vom alten Elbtunnel nach Wilhelmsburg entspricht noch lange nicht dem Veloroutenstandard und muss überarbeitet werden“, sagt der Tester.
Linienführung ist logisch
Die Linienführung durch den Hafen ist allerdings logisch und wird durch Piktogramme auf der Fahrbahn vereinfacht, selbst wenn es auf der Ellerholzbrücke und der neuen Querung für Fußgänger und Radfahrer, der Argentinienbrücke, noch ein wenig enger wird. Da die Brücke aber extra eingehängt wurde, um die Hafenpassage zu Fuß und per Rad vom Schwerlastverkehr zu trennen (und einen tollen Blick auf die Stadt zu gewähren), ist das Bauwerk als Erfolg für den Radverkehr zu werten.
Über den Reiherstieg-Hauptdeich muss sich Tester Jens Deye dann aber wieder hangeln. Sind wir noch richtig? Eindeutige Radinfrastruktur gibt es bis zum Knick in die Fährstraße mit seinen hübschen Altbauten nicht. Aber zack, ist man trotzdem drin, im alten Wilhelmsburger Zentrum, das man relativ entspannt auf der Veringstraße durchqueren kann. Abgesehen von zu nah überholenden Autos kann das auch ohne Radstreifen so bleiben. Da meist trotzdem einer pöbelt, gibt es an einer Ampel kurz Meinungsverschiedenheiten über den angemessenen Überholabstand.
Überholabstand? Beim Linksbogen auf den sogenannten Loop, einen kombinierten Rad- und Fußweg durch den Stadtteil, ist dieser Ärger vergessen. Denn hier beginnt das kleine Paradies. „Es gibt nicht viele Orte in Hamburg, wo es sich bereits so gut Rad fahren lässt wie rund um Wilhelmsburg auf dem Loop“, sagt ADFC-Experte Jens Deye. „Hier hat die IBA einen Innovationssprung gebracht, der anderswo in Hamburg noch auf sich warten lässt.“
Die 6,5 Kilometer lange Schleife (Loop) führt als eigenständiger Weg über die Elbinsel. Dort haben Fußgänger, Radfahrer, Jogger und Inlineskater barrierefrei Vorrang. Erkennbar an blauen Markierungen auf der Fahrbahn. Bis zum Bürgerhaus Wilhelmsburg bedeutet das, gemessen an sonstigen Hamburger Verhältnissen, einen absoluten Fahrgenuss, der nur durch die zu querende Mengestraße unterbrochen wird.
Parallel zur Wilhelmsburger Reichsstraße führt die Veloroute entweder sehr komfortabel auf die Veddel Richtung Norden. Oder, fast genauso komfortabel, auf einem gesonderten Weg entlang der Reichsstraße Richtung Süden. Zumindest, wenn man den Eingang in den Wilhelmsburger Inselpark findet und sich dort vom kurzen Schotterweg nicht abschrecken lässt. Im Winter oder bei Matsch sei der kein Spaß, sagt Deye. Danach wartet aber wieder: ein astreines, angemessen breites und kilometerlanges Asphaltband nur für Radfahrer und Fußgänger. Einziges Manko: die Beleuchtung ist spärlich.
Der Fahrspaß endet aber auch im Sommer, und zwar am König-Georg-Deich. Eine etwas unklare Beschilderung führt zur Alten Harburger Elbbrücke – für sich genommen ein hinreißender Streckenpunkt, allein wegen der historischen Portale, des tollen Blicks und des fehlenden Autoverkehrs. Doch auf die folgende Hannoversche Straße führt: Kopf! Stein! Pflaster! Bis zum Harburger S-Bahnhof gibt es dann immerhin zufriedenstellende Radwege auf Hochborden neben der Straße, Denn dort, auf der Straße, drücken sich zur Hauptverkehrszeit die Lkw aneinander.
Wirrwarr an der Kreuzung zur B 73
Nach dem baustellenbedingten Wirrwarr an der Kreuzung zur B 73 wird es an der Moorstraße heikel: schmale, alte Radwege, hohe Fußgängerdichte, abschüssige Straße – keine ideale Kombination. Auch auf dem Bogen über die Wilstorfer Straße, den Herbert-Wehner-Platz und den Harburger Ring herrscht alte Radinfrastruktur vor. Immerhin weisen verhältnismäßig viele Schilder den richtigen Weg durch die recht kurvige Harburger Innenstadt bis zur Eißendorfer Straße. Dennoch ist das alles noch nicht veloroutentauglich.
Am Irrgarten ist der Name Programm: den Abzweig von der Eißendorfer Straße muss man erst mal finden. Aber dann: Nur noch geradeaus. Nach der Technischen Universität besteht die Veloroute 11 aus der leicht, aber kontinuierlich ansteigenden Denickestraße in Richtung Eißendorf. Den Platz teilen sich auf diesem Abschnitt Radler mit Autos, als Nebenstraße sei diese Koexistenz aber zu verschmerzen. Kurz hinter dem Harburger Krankenhaus ist nach dem Schlussanstieg an der Triftstraße wirklich Schluss.
Eigentlich ist Jens Deye auch zufrieden. Aber eben nur eigentlich. „Der Kontrast vom Loop zu den katastrophalen Radverkehrsverhältnissen im Harburger Zentrum könnte kaum größer sein.“ Insgesamt falle abseits der Veloroute auf, dass Harburg hohen Nachholbedarf beim Radverkehr hat. Das zeige sich in den minimalen Investitionen: Die Stadt gibt dort laut Verkehrsbehörde jährlich 115.000 Euro für den Radverkehr aus – also 70 Cent pro Kopf. Das kann auf diesen im Grunde reizvollen Strecken durch Hamburgs Süden nur besser werden. Eigentlich.
Am Montag lesen Sie: Veloroute 12 – von der City nach Altona