Hamburg. Radwegetest, Teil 11: Auf der Veloroute 10 im Süden gibt es viel zu sehen. Doch Teile der Strecke führen durch starken Lkw-Verkehr.

Die Welt ist noch in Ordnung auf der Bergstraße. Beschweren will sich hier niemand. Das kommt später. Denn die Veloroute 10, die den motivierten Radfahrer aus der City über die Veddel und Harburg bis nach Neugraben-Fischbek führt, hält so manche Überraschung bereit. Vor allem für das Nervenkostüm. Fertig ist sie nämlich noch lange nicht.

Am Startpunkt Bergstraße, Ecke Mönckebergstraße, ahnt man davon jedoch noch nichts. Gemächlich radelt die Testgruppe die breite Straße entlang, die sie sich mit den Autofahrern teilt. Doch es ist genug Platz für alle. Niemand drängelt, niemand pöbelt. „Hier kann man schön bräsig fahren“, sagt Georg Küchler, Harburger Experte des Fahrrad-Clubs ADFC. Auch auf der Schmiedestraße in Richtung Brandstwiete rollt es sich gemütlich auf glattem Asphalt.

Baustelle und nicht befahrbar

Auf diesem Stück halten die Radwegeplaner jedoch eine erste Irritation bereit. Die Radwegeführung teilt sich plötzlich und animiert, im letzten Moment über einen Huckel auf den Bordstein aufzufahren, anstatt intuitiv auf der Straße weiterzufahren. „Der direkte Weg wäre an dieser Stelle sicherer“, sagt Amrey Depenau von der ADFC-Bezirksgruppe Hamburg-Mitte.

Weiter geht es auf der Straße Bei St. Annen durch die HafenCity, die abseits der Elbphilharmonie ohne Trubel daherkommt. Die fertige Veloroute 10 soll irgendwann einmal durch die Überseeallee und die Versmannstraße führen, doch dieses Stück ist noch Baustelle und daher nicht befahrbar. Gut beraten ist, wer Experten dabei hat. Um die Testfahrt nicht bereits an dieser Stelle ab­brechen zu müssen, wird am Internationalen Maritimen Museum auf die „Oberhafen­-Connection“ – wie sie von Radliebhabern genannt wird – am Großmarkt ausgewichen. Sie ist Teil der Veloroute 9. Hier erwarten einen „traumhafte Radfahrbedingungen“ – da sind sich die beiden ADFC-Tester einig. Und in der Tat bietet die Strecke am Wasser entlang in Richtung Elbbrücken mit Blick auf die alten Fabrikgebäude reichlich Industriecharme – und vor allem keinen Verkehr. Hier sind die Radfahrer unter sich. Na ja, fast. Auch Fußgänger dürfen sich hier aufhalten. Doch es sind nur wenige. Die Ruhe sollte man genießen, denn es geht in Richtung Autobahn.

Ab auf die Neuen Elbbrücken. Hier ist der Weg für Radfahrer extrem schmal. „Wir haben schon längst angeregt, dass die Busspur in der Mitte für den Radverkehr umgebaut wird“, sagt Georg Küchler. Bislang ohne Erfolg. Doch eine sehr ungünstige Planung erwartet einen erst auf der anderen Elbseite. Am Veddeler Marktplatz müssen zwei Ampelphasen durch einen Lkw-Zubringer hindurch überwunden werden. „In der Hauptverkehrszeit steht man hier ewig im tosenden Verkehr“, bemängelt Küchler. „Hier wurde die Priorisierung ganz klar auf den Autoverkehr und nicht auf die Radfahrer gelegt.“

Top und Flop gleichzeitig

Hat man schließlich beide Ampelphasen überwunden, erwartet einen eine Beschilderung, die zum Innehalten einlädt. Fußgänger und Radfahrer sollen sich hier einen Weg teilen, so scheint es, doch die Fußgänger müssen dafür auf einem weiß markierten Abschnitt auf der Straße gehen. Als Fußgänger auf die Straße? Doch das Konzept scheint aufzugehen. Gemächlich schlendern zwei ältere Herren brav auf dem für sie vorgesehenen Weg vorbei. Die Radfahrer haben freie Bahn. Dieser Abschnitt ist zudem bereits fertig ausgebaut. Eine Seltenheit auf der Veloroute 10.

Das Rot des neuen, glatten Asphalts glänzt erhaben im Nieselregen und trotzt dem Grau der Autobahn. „Dieses Stück ist top und Flop gleichzeitig“, sagt Amrey Depenau. „Der Radweg-Ausbauzustand ist super. Die Ampelführung nicht nachvollziehbar.“

Über den Sieldeich geht es auf die Veddeler Brückenstraße. Hier fährt es sich entspannt durch die von Backsteinfassaden gesäumte Wohnstraße, vorbei am Goldenen Haus, dem umstrittenen Kunstwerk des Künstlers Boran Burchhardt, das auf der sonst eher grauen Strecke eine willkommene Abwechslung für das Auge bietet.

Vom Bahnhof Veddel führt die Route zur Wilhelmsburger Brücke und dann scharf links an der BallinStadt und dem Müggenburger Zollhafen vorbei. Es gibt viel zu sehen. „Sightseeing-lastig“ nennt ADFC-Testerin Depenau diesen Teil der Strecke, den sie vom Ausbau und der Wegeführung „super“ findet. Das wird kurz genossen, denn die Gruppe nähert sich dem schwierigen Teil der Strecke – es naht der Niedergeorgswerder Deich. Starker Lkw-Verkehr bestimmt diesen Streckenabschnitt. Und die Radler müssen sich die schmale Straße mit den Schwertransportern teilen. Begrenzungen sind nicht vorhanden.

Autos überholen zu eng

Doch zu Beginn bleibt die Stimmung gut, die Laster nehmen Rücksicht auf die zweirädrigen Verkehrsteilnehmer. „Irre, wer für uns gerade alles gewartet hat, ohne zu hupen“, sagt Depenau. „Hier müsste eigentlich nicht viel geändert werden, nur eine Tempo-30-Zone einzuführen wäre sinnvoll.“ Für die passionierte Radlerin sei das eh die angenehmste Art zu fahren: Auf der Straße im Mischverkehr bei vorgeschriebenen – und eingehaltenen – Tempo 30. Die 53-Jährige befürchtet jedoch, dass einfach nur ein Schutzstreifen auf der Fahrbahn angebracht wird, da für einen Radfahrstreifen kein Platz ist. „Das führt häufig dazu, dass Autos zu eng überholen.“

Der Streckenverlauf der neuen Veloroute 10 führt den Niedergeorgswerder Deich entlang, bis rechts auf die Kirchdorfer Straße abgebogen wird. An der Kreuzung Otto-Brenner-Straße/Neuenfelder Straße wird die Straße vierspurig. Durch den Zubringer aus dem Industriegebiet gibt es an dieser Stelle viel Verkehr. Es wird unübersichtlich und eng. Selbst Amrey Depenau bevorzugt es, an dieser Stelle auf den Radweg auszuweichen. Dieser gleicht phasenweise jedoch eher einer von Moos überwucherten Buckelpiste. Die Gruppe ruckelt stattdessen über den Gehweg, da der Radweg teilweise nicht mal mehr vorhanden ist.

Während die Lastwagen auf diesem Streckenabschnitt stetig an einem vorbeirauschen, fängt hier auch ein Stück ländliche Idylle an. Felder und Wiesen säumen den Weg und stehen im Kon­trast zu den Hochhaussiedlungen daneben. Die Kühe lässt das unbeeindruckt. Sie grasen friedlich und lassen ein bisschen­ Landleben zwischen den Betonriesen aufblitzen. Die Fahrrad-Club-Experten bemängeln jedoch die neue Streckenführung, denn die alte führte über die Wilhelmsburger Dove Elbe und dann parallel zur Hauptstraße durch ein Wohngebiet. „Gerade für Schulkinder ist das viel sicherer“, sagt Amrey Depenau. Außerdem sei die Streckenführung durch ein Wohngebiet angenehmer, als an der Hauptstraße entlangzufahren.

Auch die Beschilderung ist irreführend

Nun geht es weiter die Kornweide entlang durch ein Neubaugebiet. Immer mit Blick auf die Autobahn. Doch der Weg ist hier gut ausgebaut und vor allem bis zur Alten Süderelbebrücke gut ausgeschildert. Die 1899 eingeweihte Stahlbogenbrücke ist bei jedem Wetter ein beliebtes Fotomotiv – und autofrei. Auch der Regen kann der Schönheit nichts anhaben.

Doch kurz darauf wird es wieder ungemütlich. Altes Kopfsteinpflaster begrüßt den Fahrradfahrer in Harburg. „Nur die harten kommen in den Garten“, scherzt der in Harburg wohnende Georg Küchler. Auch das Stück über die Nartenstraße und den Veritaskai bis zur Harburger Schlossstraße ist eng, laut und – mittlerweile ist man es gewohnt – voller Lastwagen. „Keine schöne Ecke“, sagt Amrey Depenau. Auch die Beschilderung ist erneut irreführend.

Durch eine nicht zu erkennende Unterführung, bei der die Gruppe um die Wette klingelt, um auf der schmalen Rundspur nicht versehentlich jemanden aus dem Gegenverkehr zu rammen, geht es unter den Bahnschienen hindurch auf die Buxtehuder Straße, die am Ende der Unterführung wieder überquert werden muss. Von hier an offenbart sich das grundsätzliche Problem der Veloroute 10: Sie existiert im Grunde nur auf dem Papier. „Die gesamte Route ist ein einziger Flickenteppich“, sagt Depenau. Für den künftigen Verlauf soll eine Lösung gefunden werden, die es den Radfahrern ermöglicht, die Buxtehuder Straße nicht zweimal überqueren zu müssen. Wie das gelingen soll, ist nicht nur eine Kosten-, sondern auch eine Planungsfrage.

Um nicht im Autoverkehr unterzugehen, bietet die Abzweigung auf die Unterelbestraße eine willkommene Abwechslung. Der Straße wird bis zu einer weiteren Abzweigung gefolgt, die einen über einen ungesicherten Bahnübergang zum Bostelbeker Hauptdeich bringt.

Jetzt geht es immer geradeaus, parallel zu den Bahnschienen, auf der Straße Am Radeland. Hier fährt es sich wieder angenehmer. Die Tour endet, passend zum Tagesmotto „Verkehr“, unter der A 7. Vor einer Fußgänger-Unterquerung geht der Blick ins Leere. Hier soll die Veloroute erst noch ausgebaut werden. Sie soll ab hier wieder auf die B 73 führen. Die weitere Streckenführung ist fraglich. „Bis zur S-Bahn-Station Neugraben mäandert man durch die Stadtteile“, sagt Amrey Depenau. Die Experten vom ADFC plädieren daher dafür, an dieser Stelle umzudrehen. „Die 10 ist einfach noch keine richtige Veloroute“, lautet das Fazit der ADFC-Expertin.

Am Mittwoch lesen Sie: Veloroute 11 – vom Portugiesenviertel bis nach Eißendorf