Billwerder. Dorfgemeinschaft plant Bürgerbegehren. Aktionsgruppe lehnt das Bauprojekt mit 7000 Wohnungen in dem neuen Stadtteil ab.
Es gibt kaum ein Grundstück, an dem nicht ein großes Schild am Gartenzaun oder am Haus die Haltung der Bewohner zum geplanten Neubaugroßprojekt verdeutlicht: „Nein zu Oberbillwerder. Paradies Billwerder erhalten!“
Billwerder ist ein Straßendorf mit gut 1300 Einwohnern, „hier kennt jeder jeden“, sagt Willibald Weichert von der Aktionsgruppe des Vereins „Dorfgemeinschaft Billwärder an der Bille“. Seit die Pläne für Hamburgs 105. Stadtteil Oberbillwerder mit 7000 Wohnungen bekannt geworden sind, sei man noch enger zusammengerückt. Auf 124 Hektar soll hier, wo derzeit nur Wiesen und Felder sind, der Modellstadtteil unter der Marke „Active City“ entstehen, in dem Sport, Bewegung und Gesundheit eine zentrale Rolle spielen sollen. Zudem sollen bis zu 5000 Arbeitsplätze entstehen, außerdem Schulen und bis zu 14 Kindertagesstätten.
Mehr als 500 Follower auf Facebook
Weichert, emeritierter Professor der Uni Hamburg, und seine Mitstreiter wollen sich mit dem Vorhaben nicht abfinden, sie lehnen es grundsätzlich ab. Mehr als 500 Follower haben sie bereits auf Facebook, auch auf Twitter sind sie aktiv, bei einer Onlinepetition haben mehr als 3000 Menschen unterschrieben. Nun wollen die Initiatoren noch weitergehen: „Wir wollen ein Bürgerbegehren starten“, sagt Weichert. Im Bezirksamt Bergedorf habe man ihnen zwar mitgeteilt, dass ein Bürgerbegehren nicht zulässig sei, weil das Projekt eine Senatsentscheidung sei. Doch man lasse sich anwaltlich beraten, um eine gültige Formulierung für ein Bürgerbegehren zu finden, sagt der pensionierte Erziehungswissenschaftler kämpferisch.
Die Aktionsgemeinschaft führt vielfältige Bedenken ins Feld: „Wir fürchten die Vertreibung seltener Tier- und Pflanzenarten“, sagt Mitstreiter Jens Rosenberger, der seit 25 Jahren mit seiner Familie hier lebt. „Die Feldlerche lässt sich nur schwer umsiedeln. Sie braucht eine großflächige feuchte Grabenlandschaft“, sagt der Lehrer. Auch den Wachtelkönig hätten Bauern mehrmals gehört. Stefan Laetsch, Sprecher der IBA Hamburg GmbH, die den Stadtteil in Abstimmung mit dem Bezirk und der Stadtentwicklungsbehörde entwickelt, sagt dagegen: „Derzeit werden die Flächen intensiv landwirtschaftlich genutzt. Es handelt sich hier also nicht um seit vielen Jahren gewachsene, großflächige Biotope, und die Anzahl an schützenswerten Pflanzen- und Tierarten ist entsprechend gering.“
Auch die Entwässerungsproblematik sei ebenso wenig geklärt wie die Verkehrsfrage, sagen die Gegner. „Erst war es autofrei geplant, dann autoarm, jetzt wird mit 0,4 Autos pro Haushalt gerechnet. Laut einer Verkehrsstudie werden pro Tag bis zu 23.000 Mehrfahrten für Bergedorf entstehen“, sagt Rosenberger, davon seien ganz viele Stadtteile im Bezirk Bergedorf betroffen. „Das Problem ist, man kommt durch Wohngebiete nach Bergedorf, wo die Straßen schmal sind.“ Auch für die Ortsdurchfahrt Billwerder sei ein Schleichverkehr mit bis zu 3000 Mehrfahrten pro Tag prognostiziert. Die S-Bahn sei schon jetzt oft so überfüllt, dass die Fahrgäste eine Bahn abwarten müssten, bis sie einsteigen könnten, sagt er.
Gegnern geht es um Zerstörung des Grüns
„Die verkehrliche Anbindung war und ist ein zentrales Thema im gesamten Planungsprozess seit Dezember 2016. Der Kfz-Verkehr wird über eine Hauptringstraße geführt und über drei Anbindungen an das vorhandene Straßennetz angeschlossen“, sagt Stefan Laetsch. Oberbillwerder sei bereits seit 1973 als Bauland ausgewiesen, erste Pläne für eine Bebauung waren aber nicht umgesetzt worden. Natürlich geht es den Gegnern des Bauprojekts, zu denen auch Mitstreiter aus anderen Stadtteilen wie Nettelnburg, Neuallermöhe oder Lohbrügge gehören, auch um die Zerstörung des Grüns in ihrem Umfeld. Der Grünkorridor sei schon durch den Bau der Flüchtlingsunterkunft eingeschränkt worden. In der Unterkunft am Mittleren Landweg, der größten Flüchtlingssiedlung Deutschlands, leben 2500 Bewohner.
„Viele seltene Tiere und Pflanzen würden verschwinden, aber natürlich wollen wir das Grün auch für uns selbst erhalten“, sagt Weichert. Mitstreiterin Carmen Franke ist in Billwerder geboren und hat ihr Leben lang hier gewohnt: „Die Natur soll erhalten bleiben, sonst sind die Flächen unwiderruflich versiegelt“, sagt die 62-Jährige. „Es sollten vorrangig Flächen bebaut werden, die noch vorhanden sind.“
Rainer Stubbe ist ebenfalls fest verwurzelt in Billwerder. Seine Familie sei hier seit 300 Jahren ansässig, sagt der 55-Jährige. Er habe mit 34 Hektar den kleinsten Bauernhof im Stadtteil und müsse für den Bau von Oberbillwerder von der Stadt gepachtete Flächen abgeben. Seine Bentheimer Schweine leben auf Wiesen nahe dem Hof, seine 38 Galloway-Rinder grasen dagegen auf Weiden, auf denen Häuser gebaut werden sollen. Der studierte Landschaftsplaner hat aber nicht nur deshalb Einwände: „Ich lehne das Projekt auch ab, weil sich das ganze Landschaftsbild verändert.“
Finanzbehörde hat Land in Mecklenburg-Vorpommern gekauft
Die Hamburger Finanzbehörde hat, vertreten durch ihren Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundbesitz (LIG), inzwischen 48 Hektar in Mecklenburg-Vorpommern aufgekauft, um verlagerungswilligen Landwirten Ersatzflächen anbieten zu können. Für Stubbe keine Option: „Ich muss überlegen, ob ich die Zahl der Galloways reduziere“, sagt der Landwirt, der auch einen Hofladen betreibt. Er hofft, dass die Stadt den Bauern wenigstens die Hofstellen, die ebenfalls nur gepachtet seien, zum Kauf anbietet.
Unterstützung bekommt die Aktionsgruppe von der CDU im Bezirk Bergedorf. Deren Fraktionschef Sven Noetzel sagt: „Wir lehnen das Projekt, wie es vorliegt, ab, weil die Bürgerbeteiligung eine Farce war und es keine Entscheidungskompetenz im Bezirk gab. Es muss auch erst nachgewiesen werden, dass man für den Wohnungsbau zwingend auf die grüne Wiese muss.“
Jens Rosenberger: „Wir haben ja auch Wahlen. Der Senat muss sich entscheiden, ob er den Bürgerwillen ignoriert. Es geht ja nicht nur um Oberbillwerder, es gibt viele Beispiele im Stadtgebiet. An den Infoständen merke er oft, dass „die Leute zornig sind, weil sie das Gefühl haben, dass Hamburg macht, was es will“.