Hamburg/Berlin. Verbraucherschützer und ADAC prozessieren – betroffene Bürger können sich kostenlos der Musterfeststellungsklage anschließen.
Als besonders umweltschonend hatte Volkswagen seinen 2007 eingeführten Turbodiesel vom Typ EA 189 angepriesen. Ein leitender Entwickler der Konzerntochter Audi sprach in den USA gar vom „saubersten Diesel der Welt“. In Wahrheit erzeugte der vermeintliche Primus nur bei offiziellen Tests vergleichsweise wenige gesundheitsschädliche Stickoxide, weil dann eine Software die Motorsteuerung änderte. Im realen Betrieb auf der Straße stießen entsprechend motorisierte Autos jedoch erheblich mehr Abgase aus, wie zuerst Prüfer in den USA feststellten – und damit den Dieselabgas-Skandal auch hierzulande ins Rollen brachten.
Laut VW gibt es in Deutschland 2,25 Millionen Autos mit dem Motor EA 189. In Hamburg sind mindestens einige Tausend betroffene Fahrzeuge zugelassen, schätzt der ADAC. Sie alle müssen eine neue Software erhalten, die die Abschalteinrichtung ersetzt. So hat es das Kraftfahrt-Bundesamt bestimmt. Die Kosten muss VW tragen. Laut VW ist ein Großteil der Fahrzeuge schon umgerüstet worden.
Wer darf klagen?
In Hamburg dürfen Besitzer auch nach diesem „Update“ nicht die Max-Brauer-Allee befahren, weil dort eine Durchfahrtsbeschränkung für alle Diesel-Pkw gilt, die nicht die Abgasnorm Euro 6 erfüllen – darunter fällt auch der Motortyp EA 189. Davon abgesehen haben Halter durch die neue Software zwar wieder freie Fahrt. Ein Ärgernis blieben die Manipulationen trotzdem, VW habe Käufer „vorsätzlich sittenwidrig geschädigt“ und schulde ihnen daher Schadenersatz, heißt es vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Er wird in Kooperation mit dem ADAC am 1. November eine Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG einreichen.
Dieser Klage anschließen können sich auch Hamburger Käufer von Autos der Marken VW, Audi, Seat und Skoda mit einem Dieselmotor des Typs EA 189, für die ein Rückruf ausgesprochen wurde. Weil das neue Klageinstrument über die Dieselabgas-Affäre hinaus in vielen anderen Fällen zum Einsatz kommen könnte, bietet die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz am 29. Oktober eine Infoveranstaltung für die Hamburger an. „Für dieses neue Recht ist zehn Jahre lang gekämpft worden. Es stärkt den kollektiven Verbraucherschutz“, sagt die Juristin Elena Kristina Kurok von der Behörde.
Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was ist eine Musterfeststellungsklage?
Ein Verband oder Verein klagt stellvertretend für viele Menschen gegen einen Konzern. Eingeführt wird dieses neue Rechtsinstrument zum 1. November.
Wer darf klagen?
Nur „qualifizierte Einrichtungen“, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, darunter etwa die Verbraucherzentralen und Mietervereine.
Welche Anlässe kann es geben?
Eine Musterfeststellungsklage ist grundsätzlich möglich, wenn ein Massenschaden entstanden ist. Das kann sich auf Manipulationen bei Dieselmotoren beziehen, aber auch auf unrechtmäßige Bankgebühren oder rechtswidrig erhöhte Preise eines Stromanbieters, die viele Menschen betreffen. Auf solche Probleme können Kunden etwa die Verbraucherzentralen aufmerksam machen, die dann eine Klage einreichen. Bisher wirkten die hohen Kosten einer Klage, langwierige Gerichtsverfahren und die Ungewissheit, ob ein Rechtsverstoß vorliegt, für den Einzelnen oft abschreckend, heißt es vom VZBV. „Die Folge: Kaum ein Verbraucher klagt; Unternehmen können das Geld behalten, das sie durch Rechtsverstöße verdient haben.“ Das soll sich künftig durch die Option „Eine Klage für alle“ ändern.
Wie läuft das Verfahren ab?
Das zuständige Gericht prüft zunächst, ob ein Schaden in mindestens zehn Fällen glaubhaft gemacht worden ist. Ist dem so, eröffnet das Bundesamt für Justiz ein Klageregister. Darin können sich unbegrenzt Personen eintragen und so der Klage anschließen, die betroffen sind. Worauf die Besitzer von EA-189-Dieseln beim Eintragen achten müssen, wollen der VZBV und der ADAC bald online erläutern (www.musterfeststellungsklagen.de). Ein Verfahren kommt zustande, wenn sich innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Betroffene in das Klageregister eingetragen haben.
Welche Vorteile haben Verbraucher?
Es ist kostenlos, sich der Klage anzuschließen. Wer sich der geplanten Musterklage gegen VW anschließt, hemmt laut VZBV die Verjährung in seinem Fall.
Welche Folgen hat ein Urteil?
Bei den Manipulationen des Motortyps EA 189 geht es darum, ob das Gericht feststellt, dass VW den betroffenen Kunden einen Schadenersatz schuldet. Das Gericht würde dann allerdings keinen konkreten Schadenersatz festlegen. Vielmehr könnten die Kunden dann individuell auf Schadenersatz klagen, wobei das Musterurteil ihnen die Durchsetzung ihrer Ansprüche erleichtere, sagt der VZBV. Alternativ könnte der Konzern einen Vergleich anbieten, von dem alle an der Klage beteiligten Kunden profitieren. „Allein die Musterfeststellungsklage ist schon ein Risiko für den Ruf eines Unternehmens“, sagt Michael Knobloch von der Hamburger Verbraucherzentrale. Durch einen Vergleich lasse sich ein weiterer Imageschaden abwenden.
Was sagt VW zu der Klage?
Gegenüber dem Abendblatt erklärt der Konzern: „Das Instrument der Musterfeststellungsklage ändert nichts an unserer Position: Es gibt keine Rechtsgrundlage für kundenseitige Klagen im Zusammenhang mit der Diesel-Thematik in Deutschland. Schon heute bleiben vor Landgerichten die Klagen von Volkswagen-Kunden überwiegend erfolglos. Es gibt aktuell zwölf OLG-Urteile, die allesamt im Sinne von Volkswagen beziehungsweise im Sinne der Händler ausgefallen sind. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Zurückweisungsbeschlüsse von Oberlandesgerichten, die ganz überwiegende Mehrheit hiervon ebenfalls zugunsten von Volkswagen bzw. der Händler.“