Hamburg. Hamburgs Top-Schauspieler, der als Rechtsmediziner ins Kino kommt, über Rollen und Momente, in denen er ein Weichei ist.

Eigentlich spielt er doch immer ganz taffe Männer. Aber im Interview verrät uns Moritz Bleibtreu, dass er kein Blut sehen kann. Das überrascht. Immerhin spielt er in seinem neuen Film „Abgeschnitten“, einem Thriller nach Sebastian Fitzek, der am Donnerstag in die Kinos kommt, einen Rechtsmediziner, der ständig Leichen auf dem Tisch hat und dann auch noch eine arme junge Frau (Jasna Fritzi Bauer) telefonisch anweisen muss, wie man Leichen seziert. Wir sprachen mit dem 48-Jährigen in Berlin – obwohl er doch in Hamburg aufgewachsen ist und in Reinbek lebt. Dabei gab er auch noch tiefere Einblicke in seine Karriere. Dass er etwa schon als kleines Kind Schauspieler werden wollte – auch wenn er in einem Umfeld aufgewachsen ist, das da eher abschreckend wirkte.

Herr Bleibtreu, können Sie eigentlich Blut sehen?

Moritz Bleibtreu: Nein, gar nicht. Solche Filme sind grundsätzlich gar nicht mein Ding. Sind es nie gewesen. Schon bei Krankenhausserien wie „Grey’s Anatomy“ steige ich sofort aus, wenn da nur Skalpelle oder weiße Kittel zu sehen sind. Wenn dann noch Blut fließt oder wenn es gar um Splatter geht, dann bin ich ein Weggucker, ein echtes Weichei.

Weggucken bringt bei „Abgeschnitten“ aber auch nichts. Man hört ja weiter die Schabegeräusche am Knochen.

Bleibtreu: … und das muss bei einer echten Autopsie auch eins der schlimmsten Dinge sein. Und der Geruch natürlich – was man ja in den Filmen nie erlebt. Viele meiner Kollegen haben so eine Autopsie zur Vorbereitung des Films mitgemacht. Ich nicht. Ich habe mich geschickt davor gedrückt. Ich hatte richtig Schiss. Ich habe in meinem Leben Dinge gesehen, von denen ich heute weiß, dass ich sie gerne nicht gesehen hätte. Ich glaube, das wäre so ein Moment gewesen. Mir haben in den Autopsie-Szenen schon die Leichen-Dummys gereicht. Die wurden noch mit echten Lebern und Herzen verfeinert, das hat dann auch einen Geruch. Appetit hatte ich an diesen Tagen keinen mehr.

Wie kommt es dann, dass Sie hier mitspielen? In einem Film, dessen Titel durchaus wörtlich zu verstehen ist?

Bleibtreu: Ich wähle Filme nicht danach aus, ob sie ein populäres Potenzial haben. Das ist unschwer zu erkennen, wenn man sich die Filme anguckt, die ich so mache. Aber hier und da gibt es doch eine Geschichte, wo sich mein Geschmack mit dem Mainstream trifft.

Sie haben zuletzt Filme nach Stoffen von Martin Suter und Ferdinand von Schirach gedreht, jetzt von Sebastian Fitzek. Sind Sie der Mann für Bestsellerverfilmungen?

Bleibtreu: Das ist eher dem Zufall geschuldet. Es ist wohl eher so, dass diese Autoren eine Thematik verbindet. Es geht in all diesen Filmen um Schuld und den Umgang damit, der Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit, zwischen Strafe und Recht. Das sind Themen, die auch mich sehr umtreiben und in vielen meiner Filme eine Rolle spielen.

Sebastian Fitzek spielt in einer Szene Ihren Anwalt. War der auch sonst dabei? Guckte er bei den Dreharbeiten über die Schulter? Und ist das schwierig, wenn der Autor selbst mitspielt, ist man da gehemmt?

Bleibtreu: Dass ein Autor mitspielt, habe ich schon öfter erlebt, ich werde es, ohne mehr zu verraten, demnächst auch wieder erleben. Das machen Autoren, habe ich das Gefühl, ganz gern. Ich glaube, wenn da jemand angespannt wäre, dann eher die Autoren selbst, weil die sich ja in deinem Beruf versuchen und plötzlich in ihren eigenen Fantasien eine Rolle übernehmen. Vielleicht haben die alle einen gewissen Drang zur Schauspielerei. In diesem Fall war das übrigens sogar der erste Drehtag, so haben Sebastian und ich uns überhaupt erst kennengelernt.

Was auffällt: Sie spielen in letzter Zeit oft in Genrefilmen, produzieren sie teils auch. Ist das etwas, was es Ihrer Meinung nach zu selten gibt im deutschen Kino?

Bleibtreu: Schon immer. Natürlich haben die es immer schwer in einer Maschinerie, wenn das Kinoticket am Ende dasselbe kostet wie für einen großen Mainstreamfilm, dessen Budget 200 Millionen Dollar schwer ist. Aber ich liebe das Kino, auch als einen Ort, um etwas gemeinschaftlich zu erleben. Ich habe 17 Jahre lang versucht, nur Kino zu machen und kein Fernsehen. Jetzt ändern sich die Zeiten, und mit der komplexeren Erzählstruktur der Serie ist eine ganz neue Tür aufgegangen. Da wird gerade das Rad neu erfunden.

Bedeutet das womöglich auch das Ende vom Kino?

Bleibtreu: Nein, das Kino wird immer existieren. Aber das Genre stirbt aus. Es wird zu einer Zuspitzung kommen, wo wir uns nur noch zwischen Arthouse und absolutem Mainstream bewegen. Das ist schade. Denn die Filme, mit denen ich groß geworden bin, die mich am meisten geprägt haben, das waren Genrefilme, die sich zwischen Kunstanspruch und Populärem bewegt haben, wie „Taxi Driver“. Darum werde ich damit so lange weitermachen, bis es nicht mehr geht.

Wenn man so blutige Thriller wie „Abgeschnitten“ dreht, muss man da auch eigene Ängste, Vorbehalte überwinden?

Bleibtreu: Nein. Ich habe da eine ganz gute Distanz. Ich habe die Schauspielerei zwar von früh auf als meinen Beruf gesehen, aber halt „nur“ als Teil meines Lebens. Ich habe diese Distanz zu dem Beruf immer gesucht, einfach weil ich die nie hatte. Meine Eltern waren Schauspieler, ich bin damit aufgewachsen, ich musste eine Distanz suchen, weil die Nähe von Anfang an viel zu groß war. Und weil ich nie davon wegkam. Dieses ganze, ich sag mal, existenzielle Gesülze, bis morgens um drei in irgendwelchen Theaterkantinen, das hat mich als Kind oft massiv überfordert.

Moritz Bleibtreu als Rechtsmediziner in dem Thriller „Abgeschnitten“ nach Sebastian Fitzek
Moritz Bleibtreu als Rechtsmediziner in dem Thriller „Abgeschnitten“ nach Sebastian Fitzek © Warner Bros.

Sie saßen als Kind bis morgens um drei in der Theaterkantine?

Bleibtreu: So blöd das klingt, aber mit 19 habe ich mehr gewusst über den Beruf als viele andere. Deshalb musste ich ihm eine Form geben, die anders war, als die, in der ich groß wurde. Ich musste da neu würfeln. Und das führte dann dazu, ihn aus einer gewissen emotionalen Distanz zu betrachten. Ohne dabei natürlich die künstlerische Nähe zu verlieren.

Das klingt nach einem schwierigen Abnabelungsprozess. Auch von Ihrer Mutter Monica Bleibtreu?

Bleibtreu: Nicht von meiner Mutter! Die hat mich bei allem unterstützt. Ich meine die, die damals das Regietheater der 70er-, 80er-Jahre geprägt haben. Ich habe voll mitgekriegt, wie existenziell die Arbeit für die war. Das war nichts für mich. Ich wollte immer, mein Leben lang, Schauspieler werden, aber ich will es mein Leben lang nicht so machen wie „die“.

Sind Sie auch deshalb nach New York gegangen, um Schauspiel zu studieren?

Bleibtreu: Wenn man so will, ja. Ich brauchte Distanz. Film hat mich ohnehin immer mehr gereizt als Theater. New Hollywood hat mich begeistert. Also wollte ich da studieren, wo De Niro studiert hat. Habe „hardcore method“ studiert und mich mit Lee Strasberg und Elia Kazan auseinandergesetzt. New York war damals noch weit weg, da kam man nicht mit dem Billigflug für 96 Euro hin. Das war damals eine ganz klare Entscheidung: Ich will den Beruf machen, auch mit aller Leidenschaft und Liebe, aber anders als „die“. Ich habe gelernt, ich kann alles spielen, aber ich will nichts sein. Ich bin das nicht. Und wenn ich jetzt so zurückblicke: Ich habe so viel mehr erleben dürfen, so viel mehr geschenkt bekommen, als ich mir je hätte träumen lassen.