Neustadt. Bluttat am S-Bahnhof Jungfernstieg hatte bundesweit Betroffenheit ausgelöst. Ex-Freundin und Tochter mit Messer angegriffen

    Eben noch hat Mado Bido M. reglos dagesessen, starr. Doch nun beginnt der 34-Jährige zu weinen. Es ist der Moment, als ein Notruf über den Doppelmord am Jungfernstieg im Schwurgerichtsprozess abgespielt wird, ein erschütterndes Zeugnis eines menschlichen Dramas und von brutaler Gewalt. Mado Bido M. hat schluchzend seinen Kopf in den Armen vergraben, sein ganzer Körper bebt. Kann er die Schilderung des Verbrechens nicht ertragen? Oder weint er über den Verlust der Tochter? Der Ex-Freundin? Dabei ist er es selbst, der für den Tod der Frau und seines 21 Monate alten Kindes verantwortlich ist. Für eine entsetzliche Bluttat, die die Hamburger aufgewühlt und fassungslos zurückgelassen hat.

    Noch Wochen nach dem Verbrechen hatte ein Meer von Blumen den Ort im Herzen der Stadt markiert, einen Bahnsteig am Jungfernstieg, wo etliche Menschen Zeugen geworden sind, wie die kleine Mariam starb und Sandra P. tödliche Verletzungen erlitt. Die Mutter hinterließ vier Söhne im Alter zwischen drei und 15 Jahren. Ihr Jüngster war dabei, als seine Mutter niedergestochen wurde.

    Mado Bido M. ist ein zierlich wirkender Mann in leuchtend türkisfarbenem Pullover. Unsicher blickt der aus Niger stammende Mann drein, als er den Verhandlungssaal betritt, wo er sich wegen zweifachen Mordes verantworten muss. Die Fragen zu seinen Personalien beantwortet der Angeklagte kurz und knapp, danach lässt er seinen Verteidiger verlesen, was er zu der Tat vom 12. April dieses Jahres sagen will: Sein Mandant gebe zu, seine Tochter Mariam und deren Mutter „getötet zu haben“, erklärt der Anwalt. „Was er ihnen und ihren Angehörigen angetan hat, ist bei Gott eine Sünde.“ Der Angeklagte „betet für Mariam und Sandra“, heißt es. Auch die Tat gegen die Mutter sei „kein Versehen“. Nach dem Verbrechen war Mado Bido M. zunächst geflohen. Doch schon kurz nach seiner Festnahme hatte er die Messerstiche gestanden.

    Dem Angeklagten droht eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes. Auch die Frage der besonderen Schwere der Schuld wird zu prüfen sein. Sollte das Gericht diese feststellen, dann wäre eine vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis nach 15 Jahren für den 34-Jährigen ausgeschlossen. Die Verbrechen seien aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch erfolgt, so die Staatsanwaltschaft. Sie geht davon aus, dass das leitende Motiv für den Doppelmord ein Sorgerechtsstreit um das gemeinsame Kind des Vaters und Sandra P. war. Einen Tag vor der Bluttat hatte ein Familiengericht dem seit 2013 in Hamburg lebenden Mann signalisiert, dass sein Antrag auf ein gemeinsames Sorgerecht für die 21 Monate alte Tochter keine Aussicht auf Erfolg habe. Zudem habe er missbilligt, dass der neue Freund von Sandra P. Kontakt zu seiner Tochter haben durfte, während ihm ein unbegleiteter Umgang verwehrt blieb. Am Vormittag des 12. April traf Mado Bido M., wie seit Ende 2017 üblich, seine Tochter unter Aufsicht eines vom Jugendamt beauftragten Trägers. Am vereinbarten Treffpunkt holte Sandra P. ihr Kind eine Stunde später ab. Die beiden nahmen mit dem neuen Freund der 34-Jährigen und dem dreijährigen Sohn eine S-Bahn. An der Station Stadthausbrücke stieg Mariams Vater mit in den Wagen. Es kam zum Streit.

    Nachdem die Kontrahenten alle am Jungfernstieg aus der Bahn stiegen, habe Mado Bido M. ein Messer mit einer Klingenlänge von 19 Zentimetern gezogen und das Kleinkind und die Mutter tödlich verletzt, heißt es in der Anklage weiter. Er habe die Taten „zur demon­strativen Durchsetzung seiner eigensüchtigen Macht- und Besitzansprüche“ begangen. Laut Staatsanwaltschaft stach der Mann dem in einem Buggy sitzenden Mädchen in den Bauch und versetzte ihm dann einen sehr tiefen Schnitt in den Hals. Das Kind starb noch am Tatort. Den Angriff auf die Tochter soll die Mutter nicht bemerkt haben. Als sie sich wieder dem Buggy zuwandte, stieß ihr der Angeklagte den Ermittlungen zufolge das Messer in den Rücken. Die 34-Jährige erlitt unter anderem eine Verletzung der Leber und der Bauchaorta und starb später im Krankenhaus.

    Als kurz nach der Bluttat eine Frau einen Notruf bei der Polizei tätigt, weiß sie noch nicht, dass zwei Menschen dem Tode geweiht sind. „Da ist gerade jemand angestochen worden“, ist die entsetzte Stimme der Frau zu hören, als eine Aufzeichnung des Gesprächs im Gerichtssaal abgespielt wird. „Eine Dame wurde von einem Schwarzen angestochen“, sagt die Frau weiter. Der Täter sei „vorbeigelaufen und weggelaufen. Ich weiß nicht, ob das Kind auch etwas abbekommen hat.“ Auf Nachfrage erfährt die Frau von anderen Zeugen, dass das Mädchen ebenfalls schwer verletzt worden ist. Der Schnitt in den Hals ist so tief, dass für manche Zeugen der – falsche – Eindruck entstanden ist, der Kopf des Mädchens sei abgetrennt worden. „Scheiße“, ruft die Frau immer wieder erschüttert. „Scheiße!“

    Auch Mado Bido M., der zunächst geflohen war und das Messer in einen Mülleimer geworfen hatte, setzte einen Notruf ab. Er eröffnete das Gespräch mit „Schönen guten Tag“, dann sagte er: „Ich habe Fehler gemacht. Ich habe ein Messer gehabt.“ In hektischen, nur sehr schwer zu verstehenden Schilderungen in gebrochenem Deutsch erzählt der Anrufer, seine Ex-Freundin habe einen neuen Freund, und er habe versucht, sein Kind zu sehen. „Ich liebe meine Tochter.“ Aber seine Frau habe „neuen Mann“. Nun sei das Kind verletzt. „Und jetzt wollen Sie sich stellen?“, fragte der Beamte. Wenig später ließ Mado Bido M. sich widerstandslos festnehmen. Eine Blutprobe ergab, dass er zur Tatzeit weder unter Alkohol-, Drogen- noch Medikamenteneinfluss stand.

    In dem Prozess sind bislang 15 Verhandlungstage terminiert. Die Söhne von Sandra P. sind Nebenkläger. Dass einer von ihnen auch zum Prozess kommt, gilt aber als unwahrscheinlich. Das Urteil könnte am 4. Dezember gesprochen werden.